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Knallhart. Alexander Schubert als Reporter Albrecht Humboldt in der „heute-show“.F.: ZDF

© Willi Weber

Porträt: Das lange Wettrennen zu sich selbst

In der DDR, sagt Alexander Schubert, war er weit hinten. Jetzt sieht sich der Schauspieler auf guter Strecke – aber noch nicht ganz vorn.

Einmal hat Alexander Schubert den Hamlet gespielt. Er empfand ihn als eitel, packte viel Gel auf die Haare und kämmte sich eine tolle Frisur. Eine Surferwelle aus schwarzem Gummi. Als er damit auf die Bühne kam, brach schallendes Gelächter aus. Statt mit Hamlet zu leiden, war das Publikum von ihm amüsiert.

Alexander Schubert ist Schauspieler. Regelmäßig tritt er in der „heute-show" im Zweiten auf. Als Außenreporter Albrecht Humboldt berichtet er über politische Ereignisse: Angela Merkels Besuch in Washington, bevorstehende Wahlen, Sexismus-Debatte. Albrecht Humboldt ist bekennender Anhänger der Union und der Kanzlerin. So konservativ seine Überzeugung, so unverändert ist auch sein Aussehen. Blasiert, akkurat, schnörkellos.

Der Mann, der da gerade an seinem Pfefferminztee schlürft, sieht nicht so geschniegelt aus. Wir sitzen in einem Potsdamer Café, Alexander Schubert trägt eine schwarze Kapuzenjacke und Jeans, seine dunklen Haare fallen ab und an ins Gesicht. Er könnte eben aus der Schwimmhalle gekommen sein. Ein Michael Phelps aus Potsdam, dem Beverly Hills des Ostens. Brandenburgs Hauptstadt hat eine hohe Promidichte, hier logiert die Bourgeoise in restaurierten Gründerzeitvillen. Inmitten der Hautevolée aus Zugezogenen und Neureichen wirkt Alexander Schubert immer noch wie der Hausbesetzer, der er einmal war. Ein Kumpeltyp, uneitel statt unnahbar. 1970 wurde er in Potsdam geboren, seitdem hat er die Stadt nie verlassen. Erst wohnte er im Plattenbau der Waldstadt 1, dann im Plattenbau der Waldstadt 2. Nach der Wende besetzte er ein Haus, jetzt lebt er in einer Altbauwohnung. Den Radius, in dem er sich bewegte, kann man in zweistelligen Kilometerzahlen berechnen. Potsdam forever. Er schaut aus dem Fenster und überlegt: „Die meisten Häuser sind saniert, mein Kindergarten wurde wegen Asbest abgerissen, die Polytechnische Oberschule ist jetzt eine Waldorfschule. Die Kultur, in der ich aufgewachsen bin, ist von heute auf morgen verschwunden.“ Es gibt nicht mehr viel, was ihn an früher denken lässt, sagt er. Es sei, als hätte man ihm das Fotoalbum weggenommen.

Die Bilder hat er im Kopf, Erinnerungen, wie die an seinen Vater. Günter Schubert gehörte zu den populärsten Schauspielern der DDR. Auf seinen Partys ging es mitunter hitzig zu. Meistens dann, wenn über den Beruf gesprochen wurde. Nach so einem Abend stellte der junge Alexander fest: So richtig happy sind die nicht. „Jeder Schauspieler hatte damals auch den Wunsch, Dinge beim Namen zu nennen“, meint er. „Das Land war im Arsch, trotzdem mussten sie die heile Welt spielen.“ Ein anderes Bild zeigt ihn selbst vor der Kamera. In dem Kinderfilm „Jeder träumt von einem Pferd" spielte er 1988 einen Jugendlichen, der einen alten Gaul vorm Schlachten bewahren will. In einer Szene benutzte er das Wort „Scheiße“. Das sorgte für Aufruhr. Darf ein Jugendlicher aus der DDR so etwas sagen? Die Diskussion darüber und die Erfahrungen mit seinem Vater führten Alexander Schubert zu dem Entschluss, im Osten niemals Schauspieler zu werden.

Seit der „heute-show“ wird er auf der Straße erkannt. Man bittet ihn um ein Autogramm. Anfangs ist er darüber irritiert gewesen: „Ich wusste nicht, ob die Leute, die mich ansprachen, mich vielleicht nicht einfach nur aus der Schulzeit kannten.“ Das ist natürlich ein Witz, zumindest ein halber. Wenn Alexander Schubert erzählt, dann immer in Geschichten. Sie entstehen wie ein Lagerfeuer: Wirft man einen Scheit hinein, entflammt die nächste Geschichte. Sein Leben ist voller Pointen und oft ging es dabei um Zufälle. Weil seine Mutter sich im Filmstudio Babelsberg in der Tür für die Bewerbungen geirrt hatte, landete er nach Schulabschluss bei den Stuckateuren statt bei den Tischlern. Er fertigte Dekorationen für Märchenfilme. Er war damit ganz zufrieden, zumindest so lange, bis er eines Morgens in die Werkstatt kam und sein Kollege sagte: „Noch zwei Jahre, sieben Monate und drei Stunden – dann bin ich Rentner.“ In dem Moment hat sich für Alexander Schubert das erste große Fragezeichen aufgetan. Er rechnete seine verbleibende Zeit aus. Vierzig Jahre?

Bis zum Mauerfall 1989 gab es in seinem Leben wenig Überraschungen. Er arbeitete, ging schwimmen, traf sich mit Kumpels. Am 9. November saß Alexander Schubert im Heizungskeller des Defa-Tonstudios. Im Zuge der sozialistischen Hilfe war er dorthin bestellt worden, um die Heizer zu unterstützen. Zwischen zwei Füllvorgängen hockte er vor dem Schwarz-Weiß-Fernseher, als Günter Schabowski die neuen Reiseregelungen für DDR-Bürger verkündete. Danach haute er einfach ab. „Mein Gefühl war das von Anarchie“, erinnert er sich. „Ich habe gleich zwei verbotene Dinge getan: Ich habe die Arbeit geschwänzt, und bin mit dem Motorrad in den Westen gefahren.“

Die ehemalige Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen Marianne Birthler hat in ihrer Autobiografie über ihr Leben in zwei Gesellschaftssystemen geschrieben. Sie sei dankbar für diese Erfahrung und habe manchmal das Gefühl, dass die Leute aus dem Westen sie darum beneiden. Eine Art „Revolutionsneid“. Schubert sagt, wenn er manchem Altbundesbürger seine Biografie erzähle, falle dieser vor Faszination fast um. Dabei ist er erst 44. Nach dem Mauerfall schmiss er seinen Job. Zusammen mit zwölf Leuten besetzte er in Potsdam ein Haus, oben Wohnraum, unten Bar, Baustelle und Party in einem. Das besetzte Haus wurde ein Entwurf für ein neues, viel größeres Modell: Man probte die Freiheit auf vier Etagen. Fliesenleger, Szenenbildner und Produktionsstudenten teilten eine Küche mit ihm und seiner neuen Freundin. Sie kam aus Goslar, Harz-West. Sieben Jahre lebten sie in dem besetzten Haus, ein Jahr davon ohne Strom und Wasser, aber glücklich. Schubert wusch sich in den Kneipen, in denen er arbeitete. Nachts lieh er die Videotheken leer. „Ich habe alle Filme angeschaut, die es früher nicht gab. Ich fand es sensationell, wie unverkrampft man Geschichten erzählen kann. Da dachte ich: Das will ich jetzt auch.“ Die Hochschule für Film und Fernsehen lag ja um die Ecke. 1992 fing er im ersten Schauspieljahrgang an, der Studenten aus Ost und West vereinte.

Einer seiner Kommilitonen war der Schauspieler Bjarne Mädel – der „Tatortreiniger“. Er kam aus Erlangen, sie wurden Freunde. Bjarne Mädel hat einmal auf die Frage, welche Rollen er gern spielen würde, geantwortet: „Rollen mit Vornamen“. Wenn man Alexander Schubert heute fragt, welche Rollen er gern einmal spielen würde, antwortet er das Gleiche. Rollen ohne Namen bedeuten, dass man nichts, Rollen nur mit Nachnamen, das man fast nichts zu tun hat. Lange hat er sich nach dem Studium durch das Film - und Fernsehgeschäft geschlagen: Auftritte in „Unser Charly“, „Soko Leipzig“, „Löwenzahn“. Einmal hatte er in einer Serie nur einen Satz zu sprechen. Er hieß: „Der Doktor ist im Garten.“ Er hat versucht, sein ganzes Können in diesen einzigen Satz zu packen, so, als wäre er ein Versprechen auf einen Triumph. Er erzählt diese Anekdote, als sei sie Teil einer Komödie. Was ist lustig? Loriot hat gesagt: Ein Mann mit einem Problem.

„Ich habe mindestens zehn Jahre gebraucht, um zu begreifen, dass es nicht ausreicht, sich hinten in eine Schlange anzustellen“, sagt Alexander Schubert. Heute weiß er, dass er zu Castings gehen, sich auf der Berlinale blicken lassen und mit Regisseuren reden muss. Der Schauspielberuf ist auch immer ein Geschäft. Verführen, vermarkten, verkaufen. Seit fünf Jahren tritt er jetzt in der „heute-show“ auf, neben dem Kabarettisten Olaf Schubert ist er dort der Einzige aus dem Osten. Demnächst wird er für das Zweite in einer Sitcom vor der Kamera stehen. Alexander Schubert sagt über sich, dass er ein guter Schwimmer und Läufer sei. Der 9. November 1989 war für ihn der Startschuss für ein langes Wettrennen. Im Moment, sagt er, liege er noch nicht ganz vorn. Aber auch nicht mehr weit hinten.

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