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Schürfende Schauspielkunst. Birgit Minichmayr gönnt sich keine Schonung.

© Reuters

Porträt: Birgit Minichmayr oder: Bleib' niemals unter deinen Möglichkeiten

Die Schauspielerin kommt mit 22 Jahren ans Burgtheater. Dann geht Birgit Minichmayr weg, wird Vagabund – und erwachsen. Eine Begegnung in Wien.

Wien im Dezember. Die Stadt leuchtet. Museumsquartier, Hundertwasserhaus, Karlskirche. Alles liegt in einem goldenen Schein von Stolz und Geschichte. Ein Theater, das sich die „Burg“ nennt, erhebt sich allein mit seinem Namen. Das reichste und größte Repertoiretheater der Welt, Traum und Ziel für jeden Schauspieler. Als man Birgit Minichmayr an das Burgtheater bat, war sie 22 und ganz am Anfang ihres Berufs. „Für mich war es gut so früh Erfolg gehabt zu haben“, sagt sie. „Es gibt einem irgendwie Gelassenheit.“

Sie spielte unter Regisseuren wie Luc Bondy, Frank Castorf, Dimiter Gotscheff, sie drehte mit Tom Tykwer, Isztvan Szabo, Oliver Hirschbiegel. Sie gewann den Darstellerpreis auf der Berlinale, den Nestroy-Theaterpreis und die Romy für die beliebteste Schauspielerin Österreichs. Sie ist jetzt 37 Jahre alt.

Ein Wiener Café, kein typisches mit ausstaffierten Damen, Oberkellnern im Pinguinlook und Sachertorte in der Vitrine. Hier trinkt man auf die Schnelle einen Espresso, während die Rauchwolken der Zigaretten die Luft verschlingen. Auf dem Tisch liegt eine Schachtel Parisienne, daneben steht eine Tasse schwarzer Tee. Birgit Minichmayr sitzt am Fenster, in dem kargen, fast leeren Raum wirkt sie wie ein Motiv aus einem Gemälde von Edward Hopper. Felljacke, rote, lange Haare. Ein schmales und zartes Wesen mit heller Haut und Sommersprossen.

Das Gespräch mit ihr dauert noch keine zehn Minuten, als ein Herr im langen Mantel sich vor ihr aufbäumt. Er bittet höflich um Entschuldigung, beteuert knapp seine „große Bewunderung“ und verneigt sich leicht. Dann erzählt er, dass er bei ihrem Vater eine Lebensversicherung abgeschlossen habe. „Beim Baba?“, ruft Birgit Minichmayr entzückt., „voll nett!“ Und dabei schallt sie in ihrem schönen Österreichisch, ganz ungenervt von seinem Zwischenruf.

Bevor ihr Vater Versicherungen verkaufte, betrieb er einen Bauernhof in Pasching, in der Nähe von Linz. Birgit Minichmayr wuchs dort zusammen mit ihren zwei Brüdern auf. Wohl behütet, aber trotzdem frei. Sie streunte über die Wiesen und durch die Wälder. Sie fuhr Traktor, setzte Kartoffeln, arbeitete auf dem Feld. Ihre Erinnerungen daran sind unbeschwert. „In der Schule habe ich mich immer auf ein neues Schuljahr gefreut“, erzählt sie. „Da konnte ich endlich die alten, chaotischen Schulhefte wegschmeißen und hatte wieder weiße, saubere Blätter vor mir.“ Sie sang im Chor, spielte Klavier, tanzte Ballett. „Ich war immer auf der Bühne. Und ich fand das toll, da drauf zu sein. Deshalb habe ich das einfach mit der Schauspielerei probiert.“

Birgit Minichmayr redet schnell und beschwingt. Oft klingelt ihr Telefon, das vor ihr liegt wie ein treuer, unvergänglicher Begleiter, trotz zersprungenen Displays. Sie wirkt so, als wüsste sie genau, was sie tut. Sie sagt Sätze wie: „Ich möchte die Sachen beherrschen und nicht von ihnen beherrscht werden.“ Oder: „Es ist lange her, dass ich etwas spielen musste, was ich nicht wollte.“ Sie studierte noch am Max-Reinhardt-Seminar, als sie von der Stelle weg an die „Burg“ engagiert wurde. Sie spielte die Dirne im „Reigen“, Ophelia in „Hamlet“ und „Die Zerrissene“. Sie bat um weitere Rollen, weil sie alles ausprobieren wollte, was sie interessierte. Ein Nimmersatt. Einer ihrer Mentoren war Klaus Maria Brandauer. „Ich liebe den“, sagt sie. „Er ist für mich der wichtigste Lehrer. Er hat mir ganz andere Sachen beigebracht, nicht, wie ich Brüche spielen soll, oder ein Wort richtig prononciere. Sondern er hat Fragen gestellt. Was willst du denn von dem Beruf? Was sagst du denn da? Weißt du was du da sagst? Wovon handelt denn das Stück? Er hatte eine andere Haltung von dem Beruf, nämlich die, dass man als Schauspieler ein Mitregisseur ist, der mitzudenken hat.“ Einmal saß sie auf einer Probe für ein Theaterstück, das in Schwierigkeiten steckte. Ein Kollege, etwa doppelt so alt wie sie, rief: „Es ist so schrecklich, mir hilft keiner.“ In dem Moment hat sie gewusst: „Lass mich bitte nie so einen Satz sagen! Lieber baue ich meine Scheiße alleine aus, bleibe autonom und eigenständig.“

Nach vier Jahren hat Birgit Minichmayr das Burgtheater schon wieder verlassen

Die Zeit am Burgtheater hat Birgit Minichmayr geprägt. Trotzdem hat sie nach vier Jahren das Haus verlassen. Warum? „Ich wusste um die Gefahr, dass man sich da so schön ausruhen kann, mit einem schönen Vertrag. Als Österreicherin am Burgtheater – bleib’ ich da jetzt 50 Jahre oder was?“ Kopfschütteln. Na! Das war ihr nix. Es ist ein wenig so wie mit den Schulheften aus ihrer Kindheit. Die Seiten waren beschrieben. Sie brauchte ein neues weißes Blatt Papier, das sie füllen konnte. Frank Castorf holte sie an die Volksbühne nach Berlin. Auf ihren letzten Vorstellungen im Burgtheater riefen die Leute: „Birgit, bleib in Wien!“

Vielleicht ist ihr Weg als Schauspielerin nicht nur eine Geschichte des Erfolgs. Sondern mehr eine Geschichte über das Erwachsenwerden, über Neugier und eine große Lust. Sie selbst bezeichnet sich als „Vagabund“.  Man kann sie sich gut so vorstellen: Als Märchenfigur, die mit einem Päckchen über der Schulter durch die Lande zieht. Von Wien nach Berlin nach München nach Wien nach Hamburg nach Wien. Theater, Film, Fernsehen. Und jedes Mal wird das Päckchen etwas größer, schwerer, wertvoller. Birgit Minichmayr hat keine Lieblingsrolle, kein Lieblingslied, keine Lieblingsfarbe. Sie sammelt, sie probiert, sie nimmt. „Sie verschwendet sich“, sagte Monica Bleibtreu in der Laudatio zum Ulrich-Wildgruber-Preis über sie.

2009 spielte sie in dem Beziehungsdrama „Alle anderen“ von Maren Ade die junge Presseagentin Gitti, die zusammen mit ihrem Freund (Lars Eidinger) in den Urlaub reist. Eine Qual aus Gesten, Worten, Taten. Man blickte mit den beiden so tief in Illusionen, Lebenslügen und Verletzungen, dass man am Ende nicht wusste, ob man auch ein Teil dieses Paares ist. Unbarmherzige, schürfende Schauspielkunst, die sich nie einfach nur selbst genügt. Birgit Minichmayr kann das: Immer ein Stück weitergehen als man es von ihr erwartet. Sie formuliert es so: „Ich gehe immer in die Vollen, im Beruf genau so wie im Privatleben. Ich schone mich nicht, in dem Sinne, dass ich den geringsten Widerstand gehe, um möglichst gefällig zu spielen. Ich versuche einfach, nicht unter meinen Möglichkeiten zu bleiben.“

Am 3. Januar spielt sie in der ARD Bertha von Suttner

Gerade gehört sie keinem Theaterensemble an, diese Ungebundenheit genießt sie. „Ich brauche im Moment keine Bestimmung von anderen“, meint sie. „Ich will nicht mehr fragen oder betteln müssen, ob ich irgendeinen Dreh machen darf oder nicht. Das konnte im Theater manchmal ganz schön mühsam sein.“ In Wien nimmt sie ein Hörspiel auf. Für das ZDF stand sie unlängst für eine neue Serie vor der Kamera. Und am 3. Januar wird sie im Ersten in dem Drama „Eine Liebe für den Frieden“ zu sehen sein. Darin spielt sie die Pazifistin und erste Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner, die eine enge Beziehung zum Dynamiterfinder Alfred Nobel pflegte. Birgit Minichmayr mag an dieser Figur, dass sie sich nicht zu bequem war, für etwas zu kämpfen. Arbeitsam bis zur Selbstaufgabe.

Vor den Fenstern des Cafés verschwinden allmählich die Passanten. Die Wiener ziehen sich in ihre guten Stuben zurück, die Stadt hüllt sich in die Stille eines auslaufenden Jahres. Vor kurzem ist Birgit Minichmayr aus München zurück nach Wien gezogen. Sie fühlt sich wohl hier, sagt sie, sie sei glücklich, sie hat jetzt mehr Zeit. Das Weihnachtsfest hat sie bei ihren Eltern verbracht, mit Raclette an  Heiligabend, Schnaps und „Stadt-Land-Fluss". Danach legte sie sich erschöpft vor den Ofen:„Wie eine faule Katze“. Birgit Minichmayr findet, sie sei ruhiger geworden als früher. Aber sie weiß, dass sie bald wieder losziehen muss.

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