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Auf den ersten Blick machen Petitionen die Welt zu einem besseren und schöneren Ort. Sie helfen Protest digital zu organisieren und eine Öffentlichkeit herzustellen, die im besten Falle die Entscheidungsträger beeinflusst.

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Online-Petitionen: Wenn Unterschriften die Welt retten könnten

Online-Petitionen sind die Protestform im Netz-Zeitalter. Aber nur selten führt das Engagement zum Erfolg. Wenn der digitale Aktivismus nach dem Mausklick endet...

Die Dokumentation „Jäger in der Falle“ Ende Januar muss unglaublich gewesen sein. „Schluss mit tendenziöser Berichterstattung!“, lautet der Titel einer der neuesten Online-Petitionen gegen das ZDF. „Diffamierend und fachlich schlecht gemacht“ und damit nicht konform mit den „Zielen und Pflichten einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt“ sei der Beitrag gewesen. Über 37 000 digitale Unterschriften hat die Petition, die unter anderem vom Deutschen Jägerverband unterstützt wird, innerhalb von nur zwei Wochen sammeln können. Damit befindet sie sich in guter Gesellschaft: Über 233 000 Menschen wollten Programmdirektor beim ZDF spielen und Talkmoderator Markus Lanz arbeitslos machen. Online-Petitionen, das Protestinstrument der digitalen Generation, haben Hochsaison. Mitte Januar feierte die Petitionen-Seite Campact mit dem Twitter-Hashtag „WeAreMillion“ das Überschreiten der Eine-Millionen-Marke an Aktivisten.

Wo früher Menschen in Fußgängerzonen Unterschriften sammelten, wird jetzt in Blogs, Social-Media-Kanälen und E-Mail-Postfächern zur digitalen Meinungsmache aufgefordert. Auf openpetition.de, change.org oder campact.de sind die Formularfelder bereits vorbereitet. Ein aussagekräftiger Titel, ein paar Hintergrundinformationen und wenige Klicks später ist die digitale Empörung fertig.

Auf den ersten Blick machen Petitionen die Welt zu einem besseren und schöneren Ort. Die Plattformen setzen sich für die Vereinfachung und Weiterentwicklung der Instrumente der partizipativen Demokratie ein. Sie helfen Protest digital zu organisieren und eine Öffentlichkeit herzustellen, die im besten Falle die Entscheidungsträger beeinflusst. Durch das Internet ist es in den letzten Jahren um einiges einfacher geworden, eine Petition anzulegen und durchzuführen. Die Plattformen bieten dafür vom html-Code, den man in seinen Blog einfügen kann, bis zu Plugins, die das Weiterverbreiten über die sozialen Kanäle leichter gestalten, diverse Hilfestellungen.

Direkte Auswirkungen auf das politische Geschehen hat bisher aber nur die 2008 implementierte offizielle Plattform des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages. Wer innerhalb von drei Wochen mehr als 50 000 Unterstützer sammelt, dessen Anliegen wird im Petitionsausschuss besprochen. Ein Kontakt zwischen Petitionsinitiator und Unterzeichner ist aus Datenschutzgründen jedoch nicht direkt möglich. Die Bundestagsplattform sauge Engagement auf, sagte Felix Kolb von Campact auf der Republica 2013.

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Bei den übrigen Plattformen sieht das anders aus. Besonders Campact versteht sich auch als Schnittstelle zwischen Unterzeichner und Initiator und als „Kampagnentool“, das den Protest auch über die Petition hinaus begleitet. Auch openpetition nutzt personenbezogene Daten „im Kontext der jeweiligen erstellten oder unterschriebenen Petition“. Die bei Unterzeichnung angegebene Anschrift ist so beispielsweise für den Petenten sichtbar.

Während Lanz nur noch für Unmut sorgt, brachte die Todesstern-Petition Humor ins Petitionswesen: Mehrere tausend US-Bürger verlangten im Herbst 2012 per Online-Petition, dass ein Todesstern wie in „Krieg der Sterne“ von der US-Regierung gebaut werden sollte – um Jobs zu schaffen. In einer offiziellen Erklärung verwies das Weiße Haus damals auf die horrenden Kosten und lehnte die Petition ab. Bei der Plattform des Bundestages wurde das Anliegen wegen „mangelnder Ernsthaftigkeit“ gar nicht erst zugelassen. Die bürokratischen Hürden liegen hoch, und selbst bei erfolgreicher Sammlung der notwendigen Unterschriften im vorgegebenen Zeitraum ist eine Anhörung vor dem Petitionsausschuss nur ein erster Schritt: Der Einfluss der Vertreter des Gremiums ist gering.

Selbst Hunderttausende von Unterschriften sind kein Garant dafür, etwas bewegen zu können. Online-Petitionen funktionieren meist besser, wenn bereits ein öffentliches Interesse vorhanden ist und nur noch ein bestimmtes Empörungsniveau erreicht werden muss. Generell gilt: Erst wenn man mit einer Petition in den etablierten Medien vorkommt, findet sie bei den Entscheidungsträgern auch Gehör. Medien disziplinieren und fokussieren die Wahrnehmung. Je mehr Blogger und Newsseiten über die Lanz-Petition und die Gegenpetitionen berichteten, desto schneller wuchsen die Unterzeichnerzahlen.

Petitionen helfen, die interne Kommunikation unter den Aktivisten überhaupt erst aufzubauen. Im digitalen Dorf wird so eine empörte Gemeinschaft geschaffen, die sich nicht viel von der analogen unterscheidet. Durch Plattformen wie Campact oder chance.org können die Einzelpersonen aus den unterschiedlichsten Kontexten ihre kollaborativen Kräfte vereinen und ihre Bemühungen auf ein gemeinsames Ziel ausrichten.

Problematisch wird es, wenn der digitale Aktivismus nach dem Mausklick endet. Nur wenige beschäftigen sich auch nach Unterzeichnung noch weiter mit dem gerade unterzeichneten Thema. Das „Commitment“, also die Verbindung zum Thema, ist sehr gering. So einfach es ist, bei einer Petition mitzumachen oder diese zu initiieren: Onlinepetitionen bleiben lediglich ein Indikator für die öffentliche Meinung. Sie sagen, was Menschen zu einem Thema denken, sagen jedoch nichts darüber aus, wie wichtig ihnen selbiges wirklich ist. Markus Lanz will – vielleicht – niemand mehr sehen. Dass dafür Menschen auf die Straße gehen, ist jedoch unwahrscheinlich.

Politik hat außerdem viele Einflussfaktoren. Online-Petitionen sind lediglich der Anfangspunkt, sie verschieben die Themen vom analogen in den virtuellen Raum. Sie sind der Start, um eine aggregierte Meinung zu bekommen, die, im besten Falle, von einer Online-Kampagne, Demonstrationen oder Lobbyarbeit begleitet wird. Der weltrettende Mausklick fällt leicht, weil das Netz ein konstruierter und damit ideologischer Raum ist. Ohne unterstützende Faktoren sind die Erfolgschancen für Online-Petitionen jedoch gering. Denn auch die von Petitionen angesprochenen Empfänger wissen: Ein Klick ist schnell gemacht. Zuerst mag es beeindrucken, wenn Online-Petitionen zehntausende oder gar Millionen digitaler Unterschriften sammeln. Im Internet-Zeitalter ist das nicht viel. Es braucht mehr, um Commitment darzustellen.

Wobei die Erfolgsmessung immer vom selbstgesteckten Ziel abhängt. Ist die Petition erfolgreich, wenn sie in die Medienberichterstattung einfließt – oder erst bei Anhörung im Ausschuss? Fakt ist: Online-Petitionen und die Plattformen, auf denen diese lanciert werden, bieten Menschen die Chance, selbst aktiv zu werden. Die Öffentlichkeit muss nicht mehr nur auf Regierungsvertreter und sonstige Entscheidungsträger reagieren, sondern sie kann ihre eigene Öffentlichkeit installieren. Online-Petitionen als Einzelinstrument sind aber ebenso machtlos wie der Petitionsausschuss, in dem sie bestenfalls landen.

Die tatsächliche Wirkung des Online-Instruments erscheint, im Vergleich zur digitalen Mund-zu-Mund-Propaganda, die sie erzeugen kann, vergleichsweise gering. So liegt die eigentliche Kraft von Petitionen nicht in der Petition und ihren Unterstützern, sondern im Zeitgeist, den sie trifft, und in den weiteren Aktionen, die sie iniitiert. Von der Couch aus lässt sich die Welt nicht retten. Markus Lanz moderiert immer noch.

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