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Stellprobe unterm Scheinwerfer-Himmel. „Mittagsmagazin“-Regisseur Thomas Neuner (mit Mikrofon) gibt bei den Proben den Moderatoren Jessy Wellmer und Sascha Hingst letzte Anweisungen.

© Kurt Sagatz

Öffentlich-rechtliche Arbeitsteilung: Ein "Mittagsmagazin" aus Berlin für die ganze Republik

Ab Januar kommt das ARD-„Mittagsmagazin“ aus Berlin. Im neuen Studio beim ZDF wird mit Hochdruck geprobt. Ein Werkstattbericht über eine ungewöhnliche Kooperation.

„Gut macht ihr das“, lobt RBB-Intendantin Patricia Schlesinger die Moderatoren Jessy Wellmer und Sascha Hingst, die gerade eine weitere Probesendung des neuen ARD-„Mittagsmagazins“ absolviert haben. „Wenn ich das so sehe, bekomme ich richtig Lust, selbst wieder zu moderieren“, sagt Schlesinger und weiß, wovon sie spricht, schließlich hat sie vier Jahre lang die Zuschauer durch das Programm des ARD-Magazins „Panorama“ geführt. Auch die Tücken kennt sie: „Mir ist es passiert, dass ich eine Sendung moderieren musste, in der zu Beginn erst ein Beitrag fertiggestellt war.“

Mit heißer Nadel wird bei aktuellen Informationssendungen auch jetzt gestrickt. Daran wird sich auch bis zum 2. Januar 2018 nichts ändern, wenn das neue ARD-„Mittagsmagazin“ Premiere haben wird. Seit der Gründung der Sendung 1989 hatte der Bayerische Rundfunk das Magazin für das ARD-Gemeinschaftsprogramm produziert. Mit Beginn des neuen Jahres übernimmt der Rundfunk Berlin-Brandenburg diese Aufgabe.

Gerade die rote Laterne abgegeben

Für den RBB ist das „Mittagsmagazin“ ein wichtiges Prestigeobjekt, nachdem der Sender gerade die rote Laterne als quotenschwächstes Drittes Programm an den Hessischen Rundfunk abgegeben hat und nun viel unternimmt, um das TV-Programm in der Prime Time weiter aufzuwerten. Ein frisches „Mittagsmagazin“ könnte dem RBB zusätzliche Reputation im ARD-Verbund verschaffen. So viel tägliche Sendezeit hat abgesehen vom „Morgenmagazin“ kein anderes Informationsformat. Und durch den Umzug von München nach Berlin bekommt das Magazin eine unmittelbare Nähe zu den Entscheidungsträgern in der Hauptstadt, wo neben der Bundesregierung und den Ministerien auch viele wichtige Organisationen ihren Sitz haben. Politiker oder Experten können so mal eben in der Mittagspause in der Sendung vorbeischauen.

Das „Mittagsmagazin“ wird von der ARD und dem ZDF im Wochenwechsel produziert. Das ZDF wird noch bis Ende März aus Mainz senden, dann zieht auch das Zweite mit der Redaktion nach Berlin – und zwar ins gleiche Studio im Zollernhof, dem Sitz der Berliner ZDF-Dependance.

Die ersten Planungen liegen inzwischen ein Jahr zurück, seit August ist die Redaktion im RBB installiert. Seit Anfang Dezember wird in den ARD-Wochen der Echtzeit-Betrieb des RBB-„Mittagsmagazins“ geprobt, damit die Premiere nicht zur Pannenshow wird. Der Tagesspiegel konnte sich vor Ort ein Bild machen.

Themenkonferenzen, Technikabstimmung, Stellproben für Kameras, Licht, Moderatoren, Maske – am vergangenen Mittwoch hielt der Regieplan nach diversen Änderungen und Erweiterungen auf sieben Seiten 74 Positionen für Moderation, Clips, Schalten, „Tagesschau“, Börse und Studiogespräch fest. Um sieben Uhr, sechs Stunden vor Beginn der einstündigen Sendung um 13 Uhr, nimmt das Team des Magazins im dritten Untergeschoss des Zollernhofs die Arbeit auf.

Noch hakt es an einigen Stellen. Die meisten davon würden Laien vermutlich nicht einmal bemerken. Vor allem aber müssen sich die Abläufe noch einspielen. Ein weiterer Punkt auf der Liste: Der Teleprompter. Die Software vom ZDF ist nicht mit der vom RBB kompatibel, ein eigener Server des ARD-Senders musste her. Doch um während der Sendung den Text für den Teleprompter zu ändern, wird noch ein Laptop im Studio benötigt, wie sich bei der Probe herausstellt. Auch mit der Inneneinrichtung wird noch herumexperimentiert. Gerade wurde eines der beiden Podeste genommen, um den vier Kameras einen besseren Blick auf die Bildwände zu erlauben. Ob sich das durchsetzt?

Drei raumhohe LED-Wände und eine Doppelmoderation

Das Studio des „Mittagsmagazins“ aus Berlin ist deutlich größer als das in München und mit seinen gleich drei raumhohen LED-Bildwänden erheblich moderner. Über die darauf abgebildeten Fotos oder Animationen kann das Studio bei jedem Beitrag ein komplett anderes Gefühl vermitteln. Der Aufwand für die richtige Bildersuche ist allerdings erheblich. Die Hälfte der einstündigen Schaltkonferenz am Morgen zwischen Masurenallee und Zollernhof dreht sich um die Fotofrage.

Zu den Neuerungen der RBB-Sendung gehört zudem die Doppelmoderation. Dadurch kann erheblich flexibler auf eine geänderte Nachrichtenlage reagiert werden. Während Sascha Hingst in der Probesendung noch das Gespräch mit dem Anwalt der Opfer des Breitscheidplatz-Anschlags führt, überarbeitet Jessy Wellmer noch schnell die Moderation zu dem erst kurz zuvor fertig gewordenen Beitrag über den Dopingverdacht von Radrenner Chris Froome.

Die Proben finden unter verschärften Bedingungen statt. Sascha Hingst kämpft noch mit den Nachwirkungen einer fiebrigen Erkältung, auch Jessy Wellmer ist nicht wirklich gesund. Aber beide sind lange genug im Geschäft, um solche Situationen zu meistern. Jessy Wellmer hat für die Spätausgabe der „Abendschau“ gearbeitet, sie war im ZDF-„Morgenmagazin“ für den Sport zuständig und gehört seit Kurzem auch zum festen „Sportschau“-Moderatorenteam. Und falls es mal nicht wie gewünscht läuft, hat sie auch für einen Blackout ein Rezept: „sich eine gefühlte Sekunde Zeit geben, nicht hyperventilieren, dann geht es wieder“. Sascha Hingst kennen die Berliner seit inzwischen zehn Jahren als Moderator der „Abendschau“. Seine Wünsche an das neue „Mittagsmagazin“: „Nicht ganz so bunt sein wie eine Morgensendung, aber eben auch nicht ganz so seriös wie die ,Tagesschau‘.“

Keine zweite "Abendschau" am Mittag

Die Gefahr, dass das „Mittagsmagazin“ zu einer zweiten „Abendschau“ nur zur Mittagszeit wird, sieht Bettina Schön, die Redaktionsleiterin des „Mittagsmagazins“, nicht. Dafür unterscheidet sich die Themenmischung doch zu stark. Allerdings wissen alle Beteiligten: Die Quoten-Messlatte liegt hoch. Durchschnittlich über zwei Millionen Zuschauer und ein Marktanteil von 22 Prozent müssen erst einmal erreicht werden. Da dürfen keine Zuschauer vergrault werden. Dennoch hat sich der RBB einiges vorgenommen. Die Sendung soll durch die Nähe zur Bundespolitik relevanter werden. Schön wäre auch etwas mehr Lebendigkeit. Aber Regisseur Thomas Neuner kennt die Grenzen. „Wir sind kein MTV“, sagt er.

Der Wechsel vom BR zum RBB hat vor allem finanzielle Gründe. Anders als die Bayern profitiert der RBB von der Umstellung der Rundfunkgebühr auf die Haushaltsabgabe. Gespart werden muss aber auch in Berlin und Brandenburg. Die Zusammenarbeit von ARD und ZDF beim „Mittagsmagazin“ hat darum Vorbildcharakter. Die Kooperation soll den Fernsehzuschauern signalisieren, dass die öffentlich-rechtlichen Sender die Zeichen der Zeit erkannt haben.

In der praktischen Arbeit stellt das Redaktion und Technik allerdings vor erhebliche Herausforderungen. Viele Gerätschaften wie Kameras und Mischpulte stammen zwar von den gleichen Herstellern, doch bei den eingesetzten Programmen und dem Workflow gibt es erhebliche Unterschiede – die erst mit zunehmender Routine an Bedeutung verlieren.

Gravierender ist das Platzproblem: Beinahe im fliegenden Wechsel werden sich ARD und ZDF den kleinen Redaktionsraum im Untergeschoss des Zollernhofs teilen müssen. Die RBB-Redaktion des „Mittagsmagazins“ wurde darum geteilt. Eine Gruppe arbeitet in der Masurenallee, wo zum Beispiel auch die eingehenden Korrespondentenbeiträge abgenommen werden. Unter den Linden ist nur Platz für jene Redakteure, die unmittelbar an der Produktion beteiligt sind. Wenn die roten Kontrollleuchten auf den Kameras angehen, spielt die Musik künftig im Zollernhof – auch wenn dort noch Büros für die Moderatoren fehlen, in denen sie nicht zuletzt ihre Garderobe für die Woche unterbringen können.

Und wird Patricia Schlesinger, die ehemalige „Panorama“-Moderatorin und jetzige RBB-Intendantin, künftig auch mal durch das „Mittagsmagazin“ führen, und sei es auch nur vertretungsweise, wenn Jessy Wellmer im Februar im Olympia-Studio in Pyeongchang steht? Nein, das schließt die Senderchefin dann doch aus.

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