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Vor dem Einlauf.  Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) und Franziska Tobler (Eva Löbau) warten darauf, von der Chefin abgekanzelt zu werden.

© SWR /Alexander Kluge

Neues "Tatort"-Team im Schwarzwald: Gestörtes Fachwerksidyll

Im „Tatort“ tritt ein neues Team im Schwarzwald an. Der Start glückt, das Duo Löbau/Wagner überzeugt.

Der „Tatort“ ist bekanntlich mehr als eine Krimireihe. Er kittet die zerfaserte Gesellschaft mit nestwarmer Verbindlichkeit. Er suggeriert die Obhut eines Staates, der sonst zügig an Zutrauen verliert. Er hüllt die Sehnsucht nach Autorität ins luftige Kleid polizeilichen Ermessens. Er sorgt bei alldem für beste Unterhaltung mit wohligem Schauder. Und nicht zuletzt gilt er als Wirtschaftsfaktor jeder Region, die in den Genuss eigener Kommissare kommt. CSU-Chef Horst Seehofer hat der Legende nach ja so lange die Luft angehalten, bis ihm die ARD einen zweiten „Tatort“ in Bayern spendierte.

Aus Baden-Württemberg ist zwar nichts dergleichen überliefert. Doch sollte Winfried Kretschmann ähnlich um den ARD-Standort Schwarzwald gekämpft haben wie sein Amtskollege, hätte er sich den Atem aus PR-Sicht sparen können: In der Hochglanzwelt touristischer Eigenvermarktung mag das Mittelgebirge gern als sonniges Fachwerksidyll gezeigt werden; unter Robert Thalheims Regie wird für den Premierenfall „Goldbach“ daraus eine bedrohlich grummelnde Schlechtwetterfront.

Kindstötung zum Auftakt

Durchs winterkahle Geäst jedenfalls dringt kein Lichtstrahl zur schneebedeckten Erde, als die Hauptkommissare Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) ins Nirgendwo fahren. Die Atmosphäre kühlt sogar noch weiter ab, als sie Jens und Barbara Reutter mitteilen, ihre Tochter läge erschossen im Unterholz. So gramgebeugt, bedrückt, so elend beginnt der Auftaktfall des neuen Freiburger Teams. Und auch sonst gibt's in „Goldbach“ kaum Hoffnungsschimmer. Kinder sterben, Kinder verschwinden, Kinder kommen ebenso als Mordverdächtige infrage wie ein lokales Industrieunternehmen, das moralisch fragwürdig Stadtsäckel, Lohnkonten, Waffenschränke füllt.

Es ist ein schweres Paket, das Autor Bernd Lange („Was bleibt“) dem SWR geschnürt hat. Der Hauptdarstellerin aber ist das ziemlich recht. „Für mich als Ermittlerin gerät die Einführung dadurch sogar sanfter“, sagt Eva Löbau in ihrer bislang größten Rolle. Aufgewachsen im Raum Stuttgart, ist sich die Schauspielerin natürlich bewusst, dass auch dieser Polizeifilm der Wirklichkeit etwas telegene Dramatik verpasst. „Solch ein Fall ist im beschaulichen Schwarzwald ja eher unüblich." Doch erst, weil der „Tatort“ so „schwer, ernst und melancholisch einsteigt“, könne sie ihre Arbeit in einem Umfeld erledigen, „dem mehr Raum gegeben wird als uns“.

Keine selbstreferenzielle Eigenbrötlerei

Umso erstaunlicher, mit welcher Wucht das „Tatort“-Gespann Nr. 22 diese Beiläufigkeit mit Leben füllt. Schon sein Auftritt auf der größtmöglichen TV-Bühne mag sich nahezu wortlos vollziehen, wenn es glaubhaft betroffen die Todesnachricht überbringt; doch wie präzise Löbau und Wagner im Anschluss ermitteln, wie wenig Aufwand sie für maximale Wirkung erzielen, wie wenig genau dies jedoch zur selbstreferenziellen Eigenbrötlerei gerät – all das komplettiert die hochkomplexe Stimmung zum wohl besten Einstieg eines Gespanns seit dem Frankfurter Debüt von Joachim Król und Nina Kunzendorf vor sechs Jahren.

Verantwortlich dafür sind auch die Episodendarsteller, allen voran Godehard Giese, der sich zum geborenen Verzweiflungstäter des hiesigen Films mausert. Sein Opfervater löst sich so authentisch zwischen Trotz und Trauer auf, dass „Goldbach“ von einer Provinzgeschichte zur Gesellschaftsanalyse wächst. Beim blindwütigen Versuch, das Unfassbare fassbar zu machen, zerbricht im Angriffsmodus gegenseitiger Schuldzuweisungen die Freundschaft dreier Familien. Nach reichlich Pathos und Klamauk schafft es der „Tatort“ so mal wieder auf die ernste Seite des Lebens. Jan Freitag

„Tatort: Goldbach“, ARD, Sonntag, um 20 Uhr 15

Jan Freitag

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