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Mikrojobber im Internet: Heimarbeit 2.0

Einst wurde in der Stube handfest gewerkelt, jetzt vergeben Firmen Textaufträge an Mikrojobber. Die leisten daheim am eigenen Rechner viel – von ihrer Arbeit leben können sie jedoch nicht.

Wenn Luise Fischer (Name geändert) morgens um halb neun ins Arbeitszimmer ihres Einfamilienhauses geht, macht sie eine Verwandlung durch. Sie legt ihre Identität als Ehefrau und Mutter ab und wird zu einer Arbeiterin im World Wide Web. Dafür loggt sie sich auf der Plattform clickworker.com ein, wo sie eine von mehr als 200 000 Nutzern ist, die gegen Bezahlung zu Werbetextern und Datenrechercheuren mutieren.

Fischer, 43, verfasst Kurzbeschreibungen zu Hotels und Restaurants, Modeartikeln und Gartenpflanzen, Bohrmaschinen und Smartphones. Um loszulegen, öffnet sie auf der Website eine Liste mit Aufträgen, die unter den anderen registrierten Nutzern noch keinen Abnehmer gefunden haben. Da wird zum Beispiel ein Text über ein Kleid verlangt, 300 Wörter lang, als Honorar sind 3,50 Euro angegeben, ein vergleichsweise lukrativer Auftrag, er stammt von einem großen Online-Versandhaus. Mit einem Klick bestätigt sie, dass sie ihn annimmt. In einer beigefügten Anleitung findet sie Informationen zum Produkt sowie Erklärungen, worauf sie beim Schreiben zu achten hat, darunter das Einflechten relevanter Schlüsselwörter. Innerhalb einer halben Stunde schreibt sie den Artikel in eine Maske. Dann wird er an einen Korrektor weitergeleitet, ebenfalls ein „Clickworker“, der sich durch gute Arbeit für diesen Job qualifiziert hat. Er findet einige Holprigkeiten, die Fischer ausbügeln soll. Das macht sie, und nach einer Schlussabnahme des Korrektors ist der Auftrag abgewickelt. Der Auftraggeber kann das fertige Textpaket nun vom Clickworker-Server herunterladen. Unterdessen hat der Korrektor den Text benotet. Die Wertung fließt in einen Prozentwert ein, der Fischers Leistungsvermögen einstufen soll. Je höher dieser Wert, desto wahrscheinlicher eine üppige Auftragsliste. Fischer liegt bei 99 Prozent – ein Spitzenwert. Sie widmet sich dem nächsten Text, einem 200 Wörter langen Stadtporträt über Istanbul für ein Reiseunternehmen, das Honorar beträgt 2,50 Euro.

Luise Fischer sitzt drei Mal die Woche vormittags vor dem Bildschirm. Am Ende des Monats verdient sie etwa 300 Euro für die Erledigung ihrer Aufträge. 40 bis 50 Stunden Heimarbeit hat sie dann alles in allem investiert. Nicht immer weiß sie, wo ihre Artikel erscheinen, sie kann aber erahnen, dass sie sich in Reiseportalen und Branchenverzeichnissen oder auf den Websites von Versandfirmen wiederfinden. Clickworker.com, betrieben von der Firma Humangrid aus dem Ruhrgebiet, bietet ihnen ein Forum, um kleine Handlangerjobs in Auftrag zu geben.

Mikrojobs, die sich zu jeder Tageszeit und ohne Arbeitsvertrag zu Hause erledigen lassen – neben clickworker.com gibt es noch zahlreiche andere Seiten wie content.de oder textbroker.de, die so etwas anbieten. Einzige Bedingungen: Man muss sich registrieren und Eignungstests bestehen, die in der Regel die Sprachkompetenz prüfen. An jedem abgewickelten Auftrag verdient der Seitenbetreiber mit. Die Klickarbeiter, meist gut ausgebildet, immer sprachlich versiert, können von ihrer Arbeit natürlich nicht leben. Ein Zubrot und nicht mehr sei ihr Mikrojob, sagt Luise Fischer, ehemalige Betriebswirtin, die nach Schwangerschaft, Babypause und Umzug nicht mehr in ihren 6000-Euro-Job als Managerin in der Lebensmittelbranche zurückkam. Zum Lebensunterhalt ihrer Familie trägt sie nur ein Scherflein bei. Dennoch findet sie ihren Job „eine tolle Sache“. Die Begründung gleicht den Worten der Seitenbetreiber: „Man kann sich die Arbeitszeit selbst einteilen.“

Der Erfolg der Mikrojobbingportale lebt von brüchigen Biografien in einer zunehmend unverbindlichen Arbeitswelt. Befristete Anstellungen, Teilzeitjobs und Freelancing sind heute so verbreitet wie einst der Blumenstrauß zum Dienstjubiläum. Günter Voß, Arbeitssoziologe an der TU Chemnitz, prognostiziert den Börsen deshalb eine große Zukunft: „Ihre flexible Handhabe ist ein Erfolgsgarant.“ Die Vorbilder für die deutschen Portale stammen aus den USA. 2005 führte Amazon dort etwa den „Mechanical Turk“ ein, eine Crowdsourcingplattform, auf der sich Firmen tummeln, die sogenannte „HITs“ („Human Intelligence Tasks“) in Auftrag geben – Websites Korrektur lesen, Tonaufnahmen transkribieren, kleine Programme schreiben. „Taskrabbit“, vor vier Jahren von einer ehemaligen IBM-Angestellten aus Massachusetts entwickelt, verlegt die Idee vom heimischen PC in die Lebenswirklichkeit der amerikanischen Suburbia. Auf der lieblich gestalteten Website offerieren Kleinunternehmer aus der Mittelschicht ihre Dienste – Ikea-Möbel zusammenschrauben, Babysitten, den Müll wegbringen, das Haus putzen. Ihre Preise können sie selbst bestimmen. Manche sollen so geschäftstüchtig sein, dass sie pro Monat mehr als 5000 Dollar einnehmen.

Doch nicht alles geht überall: Der deutsche Taskrabbit-Klon „Gigalocal“ der Firma Fastforward ist eine Ödnis verwaister Personenprofile. In der Pressestelle heißt es in gewundenem Businessdeutsch: „Die Marktdichte für solche Angebote ist in Deutschland nicht da.“ Mit anderen Worten: Niemand interessiert sich dafür. Ein Grund ist vielleicht, dass der Betreiber nur halbherzig um die Aufmerksamkeit der Web-Community gebuhlt hat. Von einer wahrnehmbaren Marketingkampagne war zumindest nichts zu spüren. Eine andere Idee, welche die hiesige Gründerszene aus den USA importiert hat, kommt ebenso wenig in die Gänge: Minijobportale, auf denen man Tätigkeiten für eine Pauschale von fünf Euro anbieten kann. „Fiveo“, „Fünfi“ oder „Fiverdeal“ heißen die Seiten und imitieren allesamt das amerikanische Original „Fiverr“. Doch verharren sie meist auf dem Niveau eines mäßigen Partygags. Da bietet ein Spaßvogel an, für einen Heiermann eine Postkarte aus Stuttgart zu schicken, eine Frau erklärt sich bereit, eine Nachricht auf ihre nackten Brüste zu schreiben, ein anderer will gegen Honorar eine Kerze im Kölner Dom aufstellen.

Eines aber eint sämtliche Mikrojobbingportale, ob nun populär oder nicht. Sie zeigen, dass das Web längst ein grenzenloser Marktplatz ist. Bis zuletzt dominierte an den virtuellen Verkaufsständen der altbekannte Handel mit Gütern. Nun hat sich auch der Handel mit Dienstleistungen etabliert. Der Beweis, ob er als lukrative Einnahmequelle für Digital Natives taugt, ist so noch nicht erbracht worden. Von Crowdsourcingplattformen wie clickworker.com profitieren hingegen zuvorderst Unternehmen, die rigoros kalkulieren. Sie können ihre Personalbudgets klein halten, indem sie dort eine neue Schicht von Tagelöhnern zu ihren Gunsten placken lässt.

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