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Kommt ins Archiv. Der damalige Viva-Moderator Mola Adebisi 2003 mit dem Logo des Musiksenders.

© dpa

Mediennutzung der unter 30-Jährigen: Den Sendern app-wachsen

Wie guckt heute „die Jugend“? Zum Aus des Musiksenders Viva räumt unser Autor mit Mythen auf.

Keine Tränen, keine Kerzen, kein Protest vor dem Sender in Berlin. Das Musikfernsehen Viva wird Ende des Jahres Fernsehgeschichte. Beim Start 1993 hatte die damals 22-jährige Heike Makatsch quasi als Manifest verkündet: „Wir sind mehr als nur ein Fernsehsender, denn wir sind euer Sprachrohr und euer Freund.“ Und sie versprach: „Und ab heute bleiben wir für immer zusammen, okay?“

Vorbei, die Freundschaft ist zerbrochen. Makatsch hat sich längst zur etablierten Schauspielerin entwickelt und das Viva-Publikum wollte nicht mehr Viva-Publikum sein. Musik, das ist weiter der Lebensbegleiter der jungen Generation, Musikvideos aber werden als Beiwerk und Nebengeräusch begriffen. Nice to have, but ... Wer will sich noch im linearen Fernsehen vom Programm überraschen lassen, wenn im Smartphone die prompte Befriedigung von Lust und Laune garantiert ist? Der Musikclip ist old school, der Musikklick ist jetzt die Plattform.

Das Ableben von Viva: genauer, dass sich Viva überlebt hat, ist speziellen Ursachen geschuldet, die sich jedoch in eine generelle Beobachtung einfügen. RTL und ProSieben, mehr noch das öffentlich-rechtliche Fernsehen von ARD und ZDF, leiden nicht nur zusehends, sondern längst in immer schnellerem Tempo am Nutzungsentzug jener, die zwischen 14 und 30 Jahre alt sind. Selbst das Hochamt der Nachrichtenübermittlung, die „Tagesschau“ um 20 Uhr, sendet für ein Publikum, das in der Mehrheit 60 Jahre und älter ist.

Wer jetzt die Scharade anstimmen will, dass die Jugend nix weiß, weil sie nix wissen will, der pflegt ein Vorurteil mit so viel Liebe wie seine Geranie auf dem Balkon. „Die Jugend“ hat die tagesschau-App auf dem Mobiltelefon, schaut und hört den Podcast „Tagesschau in 100 Sekunden“, das Menü für Nachricht und Hintergrund geht – nicht nur im nationalen Maßstab – über die Mediengewohnheiten der Erwachsenen hinaus. Die Quellen sind divers, die Je-älter-desto-festgefügter-Skala stellt sich als disruptiv dar.

Heute gibt es für jede Geschichte eine Plattform

Was in der Ära ständiger Medien-Mobilität hinzukommt, das ist, was die Viva-Fans der 90er Jahre nicht kennen konnten: Jeder und jede, der/die meint, er hätte eine erzählenswerte Geschichte zu erzählen, kann sie über Blog, Podcast, Instagram-Account etc. in die Welt streuen. Frei in der Verbreitung, zur freien Verfügung. Und was früher Heike Makatsch oder Stefan Raab hieß, heißt heute Bibi oder Erik Scholz. Stars im Fernsehen sind heute Stars im Netz, transportiert werden Lebensgefühl und Produkte. Das alles entscheidende Erfolgskriterium ist Glaubwürdigkeit, bei den Influencern wie bei allen, bei denen die Jugend bereit ist, sie in ihre Welt einzulassen.

In eine Welt, die sich ständig im Auf-, im Im- und Abbau befindet. Jugend heißt Probier- und Ausprobierzeit. Nur das Medium, nur die Institution kann Aufmerksamkeit, ja Zuneigung generieren, die auf tausend und mehr Fragen eine bis einige Antworten haben. Der kleinste Nenner ist viel, wenn er denn überhaupt erreicht werden kann. Also stirbt das Magazin „Neon“ seinen Auflagentod und feiert als neon.de Klickrekorde. Wer nicht mit der Jugend geht, der geht mit der Jugend.

Deren Vorrecht sind der Zweifel und sein Geschwisterkind, die Neugier. Zahlreiche Analysen wie jüngst die WDR-Studie „Glaubwürdigkeit der Medien“ zeigen, dass in der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen der Qualität der über Facebook & Co. verbreiteten Informationen zwar mit Skepsis begegnet wird, der Umkehrschluss aber, dass die Qualität der klassischen Medienangebote hochgejubelt wird, falsch ist.

Wie soll es auch anders sein? Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wie auch die seriöse Tageszeitung sind nicht genug jugendaffin. Deren Interessen, deren Sorgen und Nöte fallen selten unter die Themen des Tages. Die jungen Zielgruppen haben ihre Randexistenz bemerkt und bewegen sich deshalb dort, wo man ihnen Aufmerksamkeit schenkt, wo sie auf sich aufmerksam machen können: im Internet und in den sozialen Netzwerken.

Viva wie auch „Neon“ wollten Sprachrohr und Freund sein. Beides sind sie tatsächlich – gewesen. Über die Jahre sind sie erwachsen geworden und dann herausgewachsen aus einer Jugend(-Medien-)Welt. Jugend kann sehr lange alt und älter werden und das werden, was sie eigentlich nicht will: so wie die Eltern und der Rest der Erwachsenen. Vorher jedoch muss da der Rausch sein, die Zeit der Fragen, die vielleicht und später in Antworten münden. Persönlich, medial, sozial.

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