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Im von der Europäischen Kommission vorgestellten Aktionsplan gegen Desinformation ist das Feindbild klar.

© REUTERS/Maxim Shemetov

Manipulation aus Russland: Wie sich die EU gegen Fake News wappnet

Eine Taskforce aus Brüssel soll die Europäische Union vor Medienkampagnen schützen. Doch auch das Team selbst sieht sich mit Propaganda-Vorwürfen konfrontiert.

Von Markus Lücker

Sie soll mit einer Vertiefung des Meeresbodens begonnen haben, die angebliche Desinformations-Kampagne der russischen Medien um das Asowsche Meer. So schlüsselt die EU East Stratcom Taskforce die Eskalation eines Konflikts auf, an dessen Ende die Schüsse auf drei ukrainische Marineboote stehen.

2015 wurde die aktuell 14 köpfige Expertengruppe ins Leben gerufen. Sie sollte die Antwort der EU auf Propaganda und russische Verwirrungstaktiken sein, wie sie die Europäische Kommission etwa im Syrienkrieg oder beim Abschuss des Flugzeugs MH-17 als „gut dokumentiert“ ansieht.

Seitdem listet die Taskforce Woche für Woche zweifelhafte Nachrichtenmeldungen auf, beobachtet Trends. Dafür arbeitet die Gruppe mit einem Netzwerk aus lokal arbeitenden Fact-Checkern zusammen, die ihre Ergebnisse an die Zentrale in Brüssel weiterleiten.

1,9 Millionen Euro standen dem Team dafür in diesem Jahr zur Verfügung. Wie in einem am Mittwoch vorgestellten Aktionsplan angekündigt, soll dieser Betrag anlässlich der im Mai anstehenden Europawahl mehr als verdoppelt werden. Das Personal soll auf 25 Menschen aufgestockt werden, bis 2020 sollen es mindestens 50 Mitarbeiter sein.

Hintergrund ist die Angst vor Wahlmanipulation. Bei der Vorstellung des Aktionsplans sagte Kommissions-Vizepräsident Andrus Ansip „Desinformation ist Teil von Russlands Militärdoktrin und seiner Strategie, den Westen zu spalten und zu schwächen“. Genauer dürfte es auch darum gehen, die Stärkung antieuropäischer Parteien im Parlament zu verhindern.

Eine große Aufgabe für die Taskforce der EU East Stratcom. Bislang beschränkt sich deren öffentlich wahrnehmbare Arbeit vor allem auf den wöchentlich erscheinenden Newsletter „Disinformation Review“. Die Reichweite ist beschränkt. Das Angebot erreicht vorrangig Wissenschaftler aus Denkfabriken sowie Journalisten. Für das Massenpublikum werden Grafiken und Artikel zusätzlich viral über Facebook und Twitter verbreitet.

Die Kampagne vom Asowschen Meer

In dem Newsletter analysiert das Team die Narrative, die anhand von Falschmeldungen verbreitet werden sollen. So wie im September 2017, als der Moskauer Fernsehsender NTW über von der Ukraine geplante Vertiefungsgrabungen im Asowschen Meer berichtet. Das Nachbarland wolle das flache Wasser so künftig auch für die Nato-Flotte manövrierbar machen. Als Quelle werden die Recherchen ukrainischer Journalisten genannt. Wer diese Menschen sein sollen, bleibt unklar.

Über ein Online-Journal folgt im Juli 2018 die Nachricht, die Ukraine infiziere das Meer mit Cholera. Im Fernsehen spricht ein ehemaliger russischer Soldat über US-Pläne für einen ukrainisch russischen Krieg, der seit den Neunzigern vorbereitet werde – Grundlage für seine Behauptungen ist ein Videospiel.

Die Sprache wird immer drastischer, die Notwendigkeit russischer Verteidigungsmaßnahmen in den Meldungen immer zwingender. In Kommentarspalten und unter Verschwörungstheoretikern auf YouTube geht es bald nach den Schüssen auf die Marineboote um atomare Waffen und einen von Russland verhinderten Ausbruch des dritten Weltkrieges. Die Taskforce nennt das eine sich intensivierende Kampagne.

Das Wort impliziert, dass es sich um ein koordiniertes Vorhaben handelt, dass über mehr als ein Jahr über verschiedene Medienkanäle entwickelt wurde. Kritiker nennen EU East Stratcom wegen solcher häufig nur unzureichend transparent gemachten Schlüsse auch Europas Propaganda-Apparat. Auch weil Aufklärung über Falschinformationen und die Stärkung unabhängiger Presse nicht die einzigen Ziele der Gruppe sind. Das Kommunizieren und Werben für politische Entscheidungen der EU in östlichen Nachbarländern wird ebenfalls aufgeführt.

Transparenz gegen Propaganda-Vorwürfe

„Das mögen schon russische Kampagnen sein, die dort beschrieben werden“, sagt Gwendolyn Sasse, Wissenschaftliche Direktorin am Berliner Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien. Obwohl sie selbst Leserin von „Disinformation Review“ ist und den Ansatz begrüßt, kritisiert sie, das Stratcom-Team würde zu schnell von Einzelnachrichten auf das Vorhandensein eines gesteuerten Medienkomplotts schließen. „Vielleicht liegen ja im Hintergrund Informationen vor, die solche Schlüsse zulassen“, der genaue Rechercheweg werde in dem Newsletter-Format jedoch nicht deutlich genug kommuniziert.

Um sich dem Vorwurf der Propaganda entgegenzustellen helfe nur mehr Transparenz, sagt Sasse. „Ich denke nicht, dass die einzelnen Expertinnen und Experten nicht transparent arbeiten wollen, aber bisher sehe ich wenige Mechanismen, das auch in die Öffentlichkeit zu tragen.“ Grundsätzlich könne die Arbeit jedoch als kleiner Teilaspekt zu einem kritischeren Umgang mit Medien beitragen.

Im Vorfeld der EU-Parlamentswahlen warnt sie davor, die Rolle von Desinformationen weder zu unter- noch zu überschätzen: „Der Grund für den Erfolg populistischer Parteien wird schnell in Moskau gesucht. Aber die politischen Probleme, die von Desinformationskampagnen genutzt werden können, sind hausgemachte Probleme.“ Und wo die Taskforce dank des höheren Budgets nun Beeinflussung verhindern könnte, mag es knapp sechs Monate vor der Wahl einfach zu spät sein.

Keine deutsche Bot-Armee

Um doch noch ein rechtzeitiges Eingreifen zu ermöglichen, sieht der Aktionsplan der Europäischen Kommission die Einführung eines Frühwarnsystems vor, das in Echtzeit vor Desinformationskampagnen warnt. Dafür sollen auf nationaler Ebene Kontaktstellen eingerichtet werden, idealerweise in Abteilungen für strategische Kommunikation.

Der Begriff der strategischen Kommunikation erlebt seit einigen Jahren eine politische Blütezeit. In Deutschland wurde ein entsprechender Bereich Mitte 2016 als Teil des Auswärtigen Amtes eingerichtet, geleitet von Andreas Kindl.

Nach Veröffentlichung des Aktionsplans warnte Kindl davor, sich mit Russland nur auf einen einzelnen Akteur zu fokussieren. „Das wäre naiv“ schrieb er auf Twitter. Genauso, wie sich alleine auf ein Mittel zu verlassen. Über das Auswärtige Amt äußerte sich Kindl kürzlich zu dem Unterschied zwischen seiner Arbeit und Propaganda. „Wir arbeiten in einem Umfeld von Checks and Balances. Das heißt: Ich kann mir gar nicht erlauben, zu lügen“. Zu groß sei die Kontrolle durch Medien und Abgeordnete im Bundestag. Ob es jemals eine Bot-Armee des Auswärtigen Amts geben werde? „Das würde herausgefunden werden, wenn wir das nur planen würden.“

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