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1597: General Hideaki fühlt sich durch eine militärische Niederlage gedemütigt.

© ZDF und MAD FILMS /TRIARII PROD

History im ZDF: Spekulationsmaschine

Neuere Geschichtsdokus verweigern, Historie zu erzählen. Stattdessen breiten sie Bildteppiche aus, lassen die Musik dröhnen,

Besonders in den Zeiten des Sommerlochs schaut der Zuschauer gern mal bei den Sendern mit historischem Schwerpunkt zu. Mal länger dem Koreakrieg folgen, sich mit Eva Braun auf dem Berghof sonnen, das Elend der Kriege spüren und das Gefühl haben, dass es früher viel schrecklicher war. Es gibt so etwas wie eine Erleichterung, wenn man weiß, dass die Katastrophen von gestern für immer Vergangenheit sind und nur noch Film bleiben.

Manche Filmemacher scheint dieses geheime Behagen ihrer Zuschauer zu stören. Sie wollen nicht unterhalten, sondern power-informieren. Sie trauen keiner Erzählstimme und erst recht nicht einer einzigen Erzählung, sie saugen sich nicht an einem Spielort fest, sie eilen lieber ins Große und Ganze. In Mode kommt ein Tempoformat, eine rasant ausschweifende Unterrichtung über Strukturen. Geboten wird die Selbstbewegung der Geschichte als eine von Zufällen angetriebene Maschine.

Wie ein Mähdrescher reißt die Powerpräsentation alles mit, was sich links und rechts des Themas innerhalb von 30 Minuten in Bilderchoreografien, Sachkästen, hämmerndes Musik-Stakkato und in jagende Erklärtexte verwandeln lässt. Dabei soll auf dem Schirm eigentlich Mittelalter stattfinden, nicht Videophantasy.

Am Dienstag läuft auf ZDFinfo ein halbstündiger Film „Entscheidende Momente der Geschichte – Die Schlacht von Bouvines“. Der Film handelt von einem Ort Nordfrankreichs, in dem im Juli 1216 eine wichtige Entscheidung stattfand: Das siegreiche Frankreich findet zu Größe, der deutsche Kaiser Otto IV. und die mit ihn verbündeten Engländer verlieren. Der Beitrag gehört zur Reihe „Geschichts-Dokus in Erstausstrahlungen“ (sechsmal 30 Minuten). Unterhaltung will er nicht sein. Er gibt einen Vorgeschmack auf den Umgang mit Geschichte im Zeitalter der technologischen Dekonstruktion.

Geschichtsphilosophisches Hirn

Bevor es mit der Schilderung losgeht, regnet geschichtsphilosophisches Hirn auf den Zuschauer herab. „Die Menschheitsgeschichte ist eine Verkettung unglaublicher Ereignisse von der Geburt eines Genies bis zum Untergang eines Imperiums, von technologischen Fortschritten bis zu sozialen Revolutionen. Die meisten großen Umwälzungen gehen auf scheinbar bedeutungslose Entscheidungen zurück.“

Ja, Hegel’scher Weltgeist mit seinem Zu-sich-selber-Kommen der Vernunft hat abgedankt. Aber warum soll der Zufall lenken? Warum strebt die Schilderung der Trennung von Frankreich, England und dem Heiligen Römischen Reich so schnell abstrakteste Höhen an? Warum werden Lage und Bedeutung Bouvines nicht näher vorgestellt? Warum ist eigentlich für nichts richtig Zeit? Die Struktur siegt über Charaktere, letztlich über die Menschen. Die Person Philipp II., der Sieger, bleibt ebenso blass, wie es die Verlierer Otto IV. und der englische König Johann Ohneland bleiben.

Stattdessen elektronischer Hochbetrieb. Die Musik wummert wie nichts Gutes, während Sprecher Erzähltexte abspulen. Außer dem Schwerterballett wird eine Art Schachspiel als Bebilderung vorgeführt. Lehreinheiten stoppen den Erzählfluss: Was ist Feudalismus? Was ist ein Ritter?

Ein französischer Reiter will Kaiser Otto erdolchen, erwischt aber nur das Auge des kaiserlichen Pferdes. In Panik geht das verletzte Tier durch, verlässt mit dem deutschen Kaiser das Schlachtfeld. Doch für Otto bedeutet diese Rettung auch Schande: „Otto flieht“, stellt der Sieger Phillipp II. fest, ein ganz schlechtes Zeugnis für einen mittelalterlichen Herrscher. Der Dolchangriff war eine Mitursache für die Niederlage. Sollte Geschichte wirklich nur aus Zufällen bestehen? Dann könnte sie trotzdem weniger pompös auftreten.

„Entscheidende Momente der Geschichte“, ZDFinfo, Dienstag, 20 Uhr 15

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