zum Hauptinhalt
Klare Ansage. Wo Pegida demonstriert, ist dieses Plakat immer dabei.

© dpa

Gespräch über die fünfte Gewalt: Nicht nur bei Pegida: „Jeder findet eine Plattform für exklusiven Irrsinn“

Ein Gespräch mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen über Pegida und „Lügenpresse“, Medienverdrossene und Journalisten.

Herr Pörksen, ich arbeite als Zeitungsredakteur. Sollte ich das in der Öffentlichkeit künftig besser verschweigen?

Nein, das schiene mir ganz falsch. Das schlechte Image des Berufs darf – gerade in Zeiten grassierender Medienverdrossenheit – nicht zu einem verdrucksten Verschweigen führen. Das wäre eine individuell vielleicht verständliche, aber eben doch mit Blick auf das große Ganze fatale Reaktion.

Was wäre besser als Schweigen?

Das aufklärerisch gestimmte Sprechen im Disput und im Diskurs. Journalisten müssen heute gleichermaßen offen und offensiv für die eigene Glaubwürdigkeit werben, ihre Arbeit erklären, ihre Urteile begründen, ihre Fehler benennen - auch wenn es wehtut. Befragungen zeigen: Viele wissen gar nicht, wie im Journalismus gearbeitet wird, wie Nachrichten zustande kommen, welcher Geschwindigkeits- und Kostendruck herrscht und wie hart man um Qualität ringt. Und hier ist auch der einzelne Journalist selbst in der Pflicht: als ein um Transparenz bemühter Dialogpartner des Publikums, der die Aufklärung über die eigene Branche als notwendigen Zweitjob begreift.

Das klingt gut, stellt aber faktisch eine bislang ungewohnte Herausforderung dar.

Stimmt, das ist tatsächlich ein Problem. Zum einen werden die Zeitbudgets in den Redaktionen knapper, zum anderen feuern einzelne Empörungsjunkies Beschwerden in Serie ab, die sich kaum noch abarbeiten lassen. Und schließlich, auch das muss man einräumen, gibt es „das“ Publikum gar nicht, sondern sehr unterschiedliche Gruppen, Initiativen, Bewegungen, denen man mit pauschalen Fertig-Antworten nicht gerecht wird. Und doch scheint mir eine dialogische Haltung unbedingt notwendig; nicht nur als Medizin gegen die aktuelle Medienverdrossenheit, sondern auch als eine angemessene Reaktion auf die Tatsache, dass heute jeder selbst zum Sender werden kann – und damit zum Teilnehmer des großen, gesellschaftlichen Gesprächs.

Die Medien gelten neben Exekutive, Legislative und Judikative als vierte Gewalt. Sie sagen, es sei eine fünfte Gewalt dazugekommen. Was macht sie aus?

 Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.
Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.

© Promo

Die fünfte Gewalt besteht aus den vernetzten Vielen des digitalen Zeitalters, die längst zur publizistischen Macht geworden sind, zu einer „Publikative“ eigenen Rechts. Sie verändern und beeinflussen die Agenda und das Tempo des klassischen Journalismus, veröffentlichen auf Blogs, Wikis, in sozialen Netzwerken, werden als Medienkritiker und Meinungskorrektiv aktiv, bilden Protestgemeinschaften, treiben bei Bedarf die Entlarvungs- und Enthüllungsarbeit voran; man denke nur an die Plagiatsaffäre um Karl-Theodor zu Guttenberg. Und sie finden sich mitunter zum grausamen Mobbingspektakel zusammen. Ein Agendasetting von unten, Medienkritik, Fahndungs- und Entlarvungsarbeit bis hin zur brutalen Attacke - all das sind Rollen- und Aktionsmuster der fünften Gewalt.

Die fünfte Gewalt hat unendlich viele Gesichter

Heißt auch: Das bisherige Medienpublikum wird Medienakteur. Muss das freuen oder beunruhigen?

Es kommt darauf an. Für mich ist das Wesen der fünften Gewalt ihre schillernde Individualität, sie hat unendlich viele Gesichter. Sie ist hässlich, klug, sensibel und fanatisch. Ich halte weder die pauschale Euphorie („Schwarmintelligenz“) noch das ähnlich pauschale Publikumsbashing („Trolle“, „Shitstorm“) für gerechtfertigt. Unter den neuen Kommunikationsbedingungen ist alles sichtbar – die kleingeistige Attacke, aber auch die großartige Enthüllung, das berührende Engagement, der verschwörungstheoretische Wahn.

Und doch bleibt für mich die Frage: Wie kann sich die fünfte Gewalt – ohne institutionelle Anbindung – gleichsam selbst zivilisieren? Auf welche Weise verhindert man, ohne die Möglichkeit offensiver Korrektur und Exklusion, dass ideologische Parallelrealitäten und bizarre Bestätigungsmilieus entstehen, die einer offenen Gesellschaft gefährlich werden können? Und wie bleibt, in einer Zeit radikal individualisierter Nischenöffentlichkeiten, die Agenda der Allgemeinheit als Fixpunkt öffentlicher Debatten gewahrt?

Die Pegida-Aktivisten halten Schilder hoch, auf denen steht: „Lügenpresse“. Das „Unwort des Jahres“ 2014 ist so neu ja nicht. Bei den Nazis war „Lügenpresse“ Kampfbegriff, in der SED-Ideologie Losung gegen die Westmedien, aktuell macht Pegida Front gegen die „Lügenpresse“. Sehen Sie historische Linien, Zusammenhänge?

Die gemeinsame Linie besteht in der Pauschalbewertung anderer Standpunkte und missliebig erscheinender Denkweisen. „Lügenpresse“ ist ein klassisches Schlagwort, eine sprachliche Chiffre zur Vernichtung von Nuancen und Differenzen, ein rhetorisches Instrument zur Bündelung aggressiver Energie. Schon die Herkunft einer Information - eben ihre Vermittlung durch die sogenannte Lügenpresse - reicht scheinbar als Argumentationsersatz. Der Vorteil für denkfaule Ideologen: Die Etikettierung selbst erspart die intellektuelle Auseinandersetzung.

Buchtitel wie „Gekaufte Journalisten“ vom ehemaligen „FAZ“-Redakteur Udo Ulfkotte oder „Wir sind die Guten“ vom Journalisten-Duo Mathias Bröckers und Paul Schreyer werden Bestseller. Alles normal oder alles anormal?

Aus meiner Sicht sind diese Bücher ein Symptom. Zum einen zeigt sich hier, ganz allgemein betrachtet, dass der Sachbuchmarkt, hier dem Netz verwandt, Züge einer Gegenöffentlichkeit annimmt. Diese Bücher sind, obgleich zunächst weitgehend von den klassischen Massenmedien ignoriert, zu Bestsellern geworden und finden reißend Absatz. Zum anderen gibt es momentan einen regelrechten Boom der journalismuskritischen Abrechnungsliteratur. Man denke nur an die - thematisch völlig anders gelagerten Arbeiten - von Thilo Sarrazin („Der neue Tugendterror“), Susanne Gaschke („Volles Risiko“) oder Christian Wulff („Ganz oben, ganz unten“). Hier wird, bei aller Unterschiedlichkeit im Ton und in der Denkart, die aktuell grassierende Medienverdrossenheit greifbar. Es sind Ich-Fallstudien, die persönliche Erfahrungen zum Anlass für die grundsätzliche Abrechnung nehmen.

Was weiß die Forschung wirklich, wenn es um die angeblich wachsende Medienverdrossenheit in Deutschland geht?

Man kann dreierlei feststellen: Es gibt, erstens, eine seit Jahren wachsende, öffentlich jedoch weitgehend ignorierte, auch von Journalisten viel zu lange kaum thematisierte Medienverdrossenheit. Die Mehrheit der Deutschen, so hat Wolfgang Donsbach 2009 in einer umfassenden Studie gezeigt, hält Journalisten für deutlich zu mächtig, für manipulativ und korrupt. Diese ziemlich desaströsen Befunde werden durch diverse, andere Untersuchungen zum Berufsprestige und zur Glaubwürdigkeit der Medien bestätigt - und von Journalisten teilweise mit befördert, die ihre Branche mit großer Angstlust und haltlosen Attacken ins Grab reden. Man muss, zweitens, konstatieren, dass die Berichterstattung im Zuge der Ukraine-Krise neue Glaubwürdigkeitsverluste erlitten hat - das zeigen aktuelle Befragungen, die das Medienmagazin Zapp und „Die Zeit“ in Auftrag gegeben haben. Und es lässt sich, drittens, diagnostizieren, dass sich einzelne Fraktionen der Medienverdrossenen ideologisch radikalisieren.

Lässt sich diese Radikalisierung konkreter fassen?

Man sollte einmal lesen, wie ein Akif Pirinçci missliebige Journalisten attackiert, einen Publizisten zum „Mischling“ stempelt und sich von dem Echo im Netzuniversum erregen lässt. Man sollte einmal lesen, mit welcher Rhetorik ein Schriftsteller wie Thor Kunkel über „die“ Medien und ihre angeblich antideutsche Haltung und den drohenden „Volkstod“ schreibt. Das sind eifernde Hassgesänge, die man hier anstimmt.

Sie polemisieren...

Nein, ich referiere. Akif Pirinçci fordert in seinem aktuellen Buch „Attacke auf den Mainstream“ nur konsequent, Journalisten so richtig zu „prügeln“ und zu „quälen“. Schon in der Behauptung totaler Manipulation liegt im Übrigen ein kaum überhörbarer Aufruf, den vermeintlichen Schrecken mit einem einzigen Schlag zu beenden, um der eigenen Wahrheit, vermeintlich zum Nutzen aller, endlich zum Durchbruch zu verhelfen. Die Gewaltphantasie ist Teil der verqueren Logik, man sei in einer Notwehrsituation und handele im Angesicht einer perfide agierenden Übermacht.

Jenseits aller Gewaltphantasien einzelner war das allgemeine Ansehen des journalistischen Stands von jeher gering.

Natürlich, Sie haben recht. Schon Max Weber zählte Journalisten - übrigens durchaus respektvoll - zu einer „Pariakaste“, der die Bewunderung für ihre unvermeidlich kritisch-kratzbürstigen Aufklärungsleistungen und Ad-hoc-Deutungen notwendig versagt bleiben muss. Und man könnte argumentieren, dass ein schlechtes Image schlicht zum Berufsrisiko gehört. Und doch ist die gegenwärtige Medienverdrossenheit gleich doppelt fatal: Zum einen trifft sie die Qualitätsmedien im denkbar ungünstigsten Moment, weil manche von ihnen heute um ihre Existenz kämpfen - das heißt, es bildet sich eine gefährliche Kombination aus wirtschaftlicher Not und sinkendem Ansehen. Eine Demokratie ist darauf angewiesen, dass das Publikum den Informationsleistungen der Medien vertraut. Auch wenn es pathetisch klingen mag: Es geht gar nicht mehr nur um den Journalismus, sondern auch um das Realitäts- und Rationalitätsprinzip des öffentlichen Diskurses insgesamt.

Es gibt übertriebene Formen der politischen Korrektheit

Der größte Teil der Medien gilt Pegida und anderen Verschwörungstheoretikern als „Systemmedien“, als „Mainstream-Medien“. Steckt da doch eine diskussionswürdige Anklage drin? Die meisten Journalisten bewegen sich auf einer gemeinsamen Meinungslinie, die jede Abweichung sofort mit der moralischen Keule attackiert.

Ich glaube, dass man diese Frage nur konkret diskutieren kann. Welche Abweichung wird attackiert? Natürlich kann es übertriebene Formen der politischen Korrektheit geben, eine verspannte, verkrampfte Übersensibilität. Aber wenn dumpfe Ressentiments gegen Flüchtlinge medienübergreifend auf Ablehnung stoßen, so scheint mir dies eher ein Zeichen ethisch-moralischer Klarheit und ein Indiz dafür, dass man aus den entsetzlichen Attacken auf Ausländer und Asylsuchende gelernt hat. Und ganz grundsätzlich gesprochen: Ich halte die Annahme, abweichende Positionen würden systematisch unterdrückt, die Medien seien „gleichgeschaltet“, einfach für falsch. Sie ist Ausdruck einer gefühlten Repräsentationskrise, das gewiss.

Eine Repräsentationskrise? Klingt wie eine Entschuldigung.

Die gibt es. Aber es handelt sich doch um ein Beispiel für eine self destroying prophecy, eine sich selbst widerlegende Annahme, die sich durch ein paar Klicks im Netz oder einen einzigen Fernsehabend demontieren lässt. Heute kann sich jeder seine eigene Plattform basteln und findet womöglich eine Fangemeinde für exklusiven Irrsinn und schrille Provokationen. Und auch die klassischen Medien lieben die Figur des schillernden Antikorrekten und belohnen den Tabubruch im Zweifel mit Talkshowauftritten. Woran sich diejenigen stören, die pauschal die Medien attackieren, ist oft nicht wirklich die fehlende Auseinandersetzung, sondern die fehlende Zustimmung. Man will Anerkennung für die eigene Überzeugung. Aber die lässt sich nun mal nicht erzwingen im Diskurs. Und das ist, letztlich, eine gute Nachricht.

Das Interview führte Joachim Huber.

Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Kürzlich publizierte er mit Friedemann Schulz von Thun das Buch „Kommunikation als Lebenskunst“.

Zur Startseite