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Donuts, ernsthaft? Die Hackertruppe aus "Watch Dogs 2".

© Ubisoft

Computerspiel-Rezension: Hacker sind auch nur Hipster

In "Watch Dogs 2" können die Protagonisten ganz schön nerven. Vielfältige Missionen und eine wahrhaft schöne Spielwelt machen so manche Hacker-Klischees aber wieder wett.

Hacken kann langweilig sein. Zumindest dann, wenn es um das eigentliche Handwerk geht. Jahrzehntelang hat Hollywood deshalb die gleichen Hacker-Klischees bemüht: Hypernervöse Typen, die kaugummikauend auf flimmernde Monitore starren, ihre Finger über die Tastatur fliegen lassen und dabei "Bingo!" rufen oder "Wir sind drin!". Erst in den letzten Jahren hat sich die Branche darum bemüht, das Hacken realistischer darzustellen, zuletzt in der erfolgreichen TV-Serie Mr. Robot. Deren Hauptfigur, Kapuzenmann Elliot Alderson, ist zwar in seiner Paranoia auch wieder ein Klischee. Zumindest aber ist die Serie spannend – und zeigt realistische Hacking-Techniken.

Computerspiele waren schon immer näher dran am Hacker-Handwerk als Filme. Es gibt Spiele wie Hacknet und Uplink, die sich dem Hacken sehr stark annähern, mit Softwaremodulen und Kommandozeilen. Allerdings sind das keine Werke, die auf den Massenmarkt abzielen – im Gegensatz zu Watch Dogs 2, das gerade für PlayStation 4 und Xbox One erschienen ist. Watch Dogs 2 will Action, eine offene Spielwelt und das Hacken unter einen Hut bringen. Das gelingt auch größtenteils. Allerdings gerade deshalb, weil sich das Spiel von der Realität löst. Und für die Hacker eine Entsprechung findet, die auch nach Dutzenden Spielstunden noch Spaß macht: die Eroberung des Raumes.

Schauplatz ist die Bay Area mit San Francisco, Oakland, Marin County und dem Silicon Valley. Das passt schon allein deswegen, weil die Hacker des Spiels hier ein natürliches Betätigungsfeld vorfinden: etliche IT-Unternehmen, die mit den Daten ihrer Nutzer jonglieren und nur darauf warten, öffentlich bloßgestellt zu werden.

Ziemlich anstrengende Menschen

Der Hauptgegner ist wie schon in Watch Dogs (2014) die Blume Corporation, die das ctOS betreibt: ein Überwachungssystem, das die Bürger auf Schritt und Tritt verfolgt und aus ihren Daten Profile erstellt, die sich auf Krankenversicherung, Strafverfolgung und Konsum auswirken, ein klassischer Big Brother eben. Auch Marcus Holloway, die Hauptfigur des Spiels, wurde vom ctOS schon zu Unrecht als Krimineller abgestempelt. Deshalb rächt er sich jetzt und schließt sich der Hackergruppe DedSec an.

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DedSec ist eine sehr hippe Ansammlung von jungen, kreativen und ziemlich anstrengenden Menschen. Das Kollektiv haust in einem neonbunten Hackerspace, der mit all jenem Zubehör ausgestattet ist (3-D-Drucker für Waffen, Piratensender, Twitter-Wall), das ein Hacker angeblich so braucht. Zumindest dann, wenn er sich für eine Hacker-Sitcom bewerben möchte. Dem Spiel ist anzumerken, dass es sich um jeden Preis von der unterkühlten Atmosphäre des Vorgängers abheben will. Anders als der schweigsam-finstere Einzelgänger Aiden Pearce aus Chicago ist Marcus Holloway ein jovialer, lebensfroher Zeitgenosse, der gleich im Prolog einen über den Durst trinkt. Und sein Smartphone besoffen in die Bay wirft.

Die anderen Hipster-Hacker könnten ebenfalls einer Soap entsprungen sein. Der überkandidelte Wrench versteht sich prächtig aufs Basteln, trägt – zwecks Tarnung – stets eine Maske mit elektronischen Emotes und hat eine Stimme wie Zini aus Spaß am Dienstag. Die coole Sitara ist für die PR zuständig und produziert Videos mit tanzenden Pixel-Skeletten, in denen die Hacker ihre neuesten Taten verkünden.

Mehr Follower, mehr Einfluss

Zentrales Hackingtool ist wie im Vorgänger das Smartphone: Per Knopfdruck hackt Marcus Überwachungskameras, hangelt sich von Kamera zu Kamera in Hochsicherheitsbereiche und stiehlt dort Passwörter, mit denen er anschließend Türen öffnet. Im Straßenverkehr kann er Ampeln, Poller und sogar Gullydeckel steuern, um seine Verfolger abzuschütteln. Neu ist, dass er jetzt auch Autos hacken kann, was besonders GTA-Fans zu chaosstiftendem Verhalten verführen dürfte. Die größte Neuerung aber sind Flug- und Fahrdrohnen, mit denen Marcus vorab das Gelände sondiert. Sie werden im Laufe des Spiels immer wichtiger.

Der Einfluss der Truppe bemisst sich im Übrigen an der wachsenden Zahl ihrer Social-Media-Follower, die Rechenressourcen für das DedSec-Netz zur Verfügung stellen. Im Vorgänger Watch Dogs gab es eine Moralskala, die Aiden Pearce durch gute und schlechte Taten speiste: Verhielt er sich allzu rücksichtlos, dann musste er damit rechnen, von den Bürgern Chicagos bei der Polizei verpetzt zu werden, ansonsten galt er als Robin Hood. Im zweiten Teil zählen nur noch die Follower und die gewinnt DedSec zum Beispiel auch dadurch, dass sie mit einem ferngesteuerten Knight-Rider-Auto ohne Rücksicht auf Verluste durch Downtown brettern. Mit den Follower-Punkten baut Marcus seine Fähigkeiten in verschiedenen Bereichen aus.

Klingelstreiche auf Hacker-Niveau

Die ersten DedSec-Aktionen wirken wie Klingelstreiche auf Hacker-Niveau. Zum Glück findet das Spiel später eine bessere Balance zwischen Krawall und Ernsthaftigkeit. Man kann dann zwar immer noch fröhlich durch die Bay segeln, Klamotten kaufen oder als Uber-Fahrer durch die Gegend rasen. Der Grundton des Spiels wird jedoch merklich düsterer. Besonders gut gelungen ist Blumes Oberboss: Der ist kein stereotyper Action-Bösewicht, sondern ein fitnessversessener, Dutt tragender Tekkie im Trainingsanzug. Seinen hohen Unterhaltungswert hat das Spiel vor allem der Spielwelt und den umfangreicheren Missionen zu verdanken. Ubisoft Montreal hat wirklich spektakuläre Schauplätze erschaffen, die den Originalen in nichts nachstehen. Die digitale Bay Area kommt zwar etwas gestaucht daher, bietet aber alle wesentlichen Sehenswürdigkeiten - von der Golden Gate Bridge über Fisherman's Wharf und Alcatraz bis zum Campus der Uni Berkeley. Die berüchtigte Ubisoft-Formel – offene Spielwelt plus Sammelei – kommt diesmal erstaunlich dezent zum Einsatz. Zwar kann man immer noch Passanten per Knopfdruck um ihr Erspartes erleichtern. Doch die wirklich großen Belohnungen warten in den Sperrgebieten.

Verschiedene Lösungsansätze

Es sind genau diese Infiltrationsmissionen, die Watch Dogs auf Dauer spannend halten. Etwa, wenn Marcus das Gelände einer Sekte ausforscht oder Daten von Nudle (aka Google) stiehlt. Fast immer haben Spieler dabei die Wahl, ob sie brachial oder vorsichtig, gewalttätig oder gewaltfrei vorgehen möchten, teilweise sind die Missionen auch online zu zweit spielbar. War Aiden im ersten Teil auf die Überwachungskameras angewiesen, so kann Marcus im zweiten Teil eine Flug- oder Fahrdrohne in das Gebiet einschmuggeln und so die neuralgischen Punkte auskundschaften. Via Drohne lassen sich auch Türen öffnen, Sprengfallen legen und Wächter ablenken. Bezeichnenderweise, indem man ihnen kryptische Nachrichten aufs Handy schickt.

All das hilft Marcus, besonders, wenn er schleichend unterwegs ist und seine Taserwaffe nutzt. Die finalen Hacks der Server sind dann als Kombinationsrätsel inszeniert: Über Schalter muss man verschiedene Stromkreisläufe schließen, um Netzknoten zu entriegeln. Dass die Strombahnen mitten durch Feindesgebiet verlaufen, sorgt für zusätzliche Spannung. Das Großartige an der Gadget-Vielfalt sind die Möglichkeiten zur Improvisation. Kaum ein Auftrag in Watch Dogs 2 verläuft letztendlich genau so, wie man ihn sich vorgestellt hat. Und das ist eigentlich das Beste, was man über ein Open-World-Spiel sagen kann. Das, und die Welt: War das Chicago aus dem ersten Watch Dogs noch ein recht garstiger Ort, so möchte man stundenlang durch die Hügel von San Francisco cruisen und den kitschigen Sonnenuntergang bestaunen.

Mit freundlicher Unterstützung von ZEIT ONLINE.

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