zum Hauptinhalt
Knochen, Torso, Leichentisch: Michael Tsokos, Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner, ist „Dem Tod auf der Spur“.

©  Sat1

Dem Tod auf der Spur: Sat1 bringt Rechtsmediziner Tsokos ins Fernsehen

Sein Buch "Dem Tod auf der Spur" ist ein Bestseller. Beim Privatsender Sat 1 wird Charité-Rechtsmediziner Michael Tsokos die spannendsten Fälle fernsehgerecht sezieren.

Ein bisschen Grusel soll schon sein. Also nimmt Michael Tsokos ein Paar Herrenschuhe in die Hand. Sehen nicht weiter spektakulär aus, vielleicht ein bisschen zerknautscht, der Schrecken findet sich in der Fersensohle: Knochensplitter, die senkrecht im Schuh stecken. Sie gehören zu einem Selbstmörder, der aus dem achten Stock in den Tod gesprungen war.

Mehr sagt Tsokos nicht, dieser Tote hat wie die 60 Leichen, säuberlich in Plastiksäcke verpackt und im Kühlraum gelagert, ein Recht auf Diskretion. Der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Berliner Charité und seine Mitarbeiter wollen Interesse wecken. Aber eines wollen sie ganz sicher nicht: ein Panoptikum der Nekrophilie. Nicht bei der Presseführung durch die rechtsmedizinische Abteilung, nicht bei der Sat-1-Produktion „Dem Tod auf der Spur“.

Vom 7. Juni an werden in vier Folgen acht Fälle präsentiert. Fälle, wie sie Tsokos in seinem gleichnamigen Bestseller aufgeschrieben hatte. Der Fokus liegt auf Mordfällen, was auch dem Spannungsmoment einer Produktion im Privatfernsehen geschuldet ist. Wer zu viele „Tatorte“ aus Münster inhaliert hat, der wird glauben, dass nur getötete Menschen auf den Stahl- und Steintischen der Rechtsmedizin landen. Tatsächlich werden in der Charité im Jahresschnitt tausend Obduktionen durchgeführt, immer dann, wenn Zweifel an einer natürlichen Todesursache bestehen. Darunter die 70 bis 80 Morde, die in Berlin pro Jahr verübt werden. Die Zahl ist überraschend konstant, die Tage um ein Wochenende herum sind besonders „mörderisch“.

Der erste Fall, authentisch wie alle anderen, ist grausam. In einem Koffer wird der Torso eines Mannes gefunden, an weiteren Orten in Berlin folgen später Beine und Arme, zuletzt der Kopf. Alles landet auf dem Obduktionstisch von Professor Tsokos, in der Realität wie im Sat-1-Film. Aber nicht in der Manier des Splatterfilms, sondern in der so raffinierten wie aufwendigen Hologramm-Rekonstruktion. Die Produzenten von spin TV machen sich dabei zunutze, dass die Leichenteile vom Computertomografen in der Rechtsmedizin feinstsäuberlich „seziert“ wurden. Aus diesen Daten werden 3-D-Animationen. Tsokos in der Tracht des Obduzenten hat quasi einen Corpus vor sich liegen. Übrigens nicht in seinem Institut in Moabit, sondern in einem stillgelegten Trakt des Benjamin-Franklin-Klinikums in Steglitz.

Nicht "Whodunit", sondern "What happened"

Das sind faszinierende Momente in diesem Real-Crime-Format, in dem es aber „nicht ums ,Wer‘, sondern ums ,Wie‘ geht“, wie Tsokos erklärte. Übersetzt für die Krimifreunde: Nicht das „Whodunit“ steht im Zentrum, sondern das „What happened“. Der Rechtsmediziner versucht die Umstände zu rekonstruieren, die zum Tod geführt haben, nicht den Täter. Das machen die Ermittler des Landeskriminalamtes Berlin, die ihre Fahndung mit den Ergebnissen der Obduktion parallelisieren. Über Reenactment-Szenen – frei von jeder Bauerntheater-Attitüde –, mit Tatort-Fotos, Originalbeweismitteln und den Berichten der beteiligten (und eloquenten) Polizisten wird der Tatablauf fixiert, der Täter überführt. Die ineinandergreifende Anstrengung von Rechtsmedizin und Polizei hat den Mordfall gelöst. Dem Tod auf der Spur, dem Täter auf den Fersen. Gerade in den Polizisten-Aussagen wird spürbar, welch große psychische Anspannung in diesem Beruf steckt. Und ein Charité-Mitarbeiter sagte beim Pressegespräch, dass zur Aufgabenbewältigung der Rekonstruktion eines Todesfalls via Destruktion eines menschlichen Körpers unbedingt auch eine Teflonschicht aus Zynismus gehöre.

Sat 1 glaubt an den Erfolg der Reihe, für die 22-Uhr-30-Ausstrahlung ist das doppelte Budget aufgewendet worden, das der Privatsender sonst um diese Uhrzeit investiert. Das hat auch Michael Tsokos überzeugt, der davon berichtete, dass zuvor mehrere Versuche der Buch-Verfilmung gescheitert waren. Beim Pressetermin war die Befriedigung der Rechtsmediziner darüber spürbar, dass die Produktion zeigt, was ihre Arbeit wirklich ausmacht. Bei den drei Prozent der durchschnittlich 900 000 Todesfälle in Deutschland, die nicht-natürlicher Ursache sind – Unfall, Mord oder Suizid. Wobei, wie Tsokos anmerkte, er sich auf jeden Arbeitstag freue, auf die tägliche Herausforderung, dem toten Körper die Todesursache abzuringen – manche Obduktion dauert bis zu sieben Stunden. Ohne diese Begeisterung, ohne den Forscherehrgeiz, hätte Michael Tsokos nicht an die 20 000 Obduktionen geschafft.

Aber da gibt es welche, die „ihm immer an die Nieren gehen“. Wenn Kinder auf dem Obduktionstisch liegen. 70 Zentimeter Mensch auf zwei Meter Stahltisch, da sind die Maßstäbe verrückt, da hat sich ein Leben aus welch bösem Grund auch immer nicht entwickeln dürfen.

Zur Startseite