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Bilder- und "Bild"-Schau im Gropius-Bau: Fotos machen Leute

„Foto.Kunst.Boulevard“, eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau. Initiiert von Kai Diekmann, ehemaliger Chefredakteur und Herausgeber von "Bild"

65 Jahre später ist es geschafft? Die „Bild“-Zeitung zieht ins Museum ein? Geadelt und gesalbt in einer Ausstellung im Martin-Gropius-Bau? Ja und nein. Die am 24. Juni 1952 erstmals erschienene und bis heute auflagenstärkste Tageszeitung in Deutschland feiert Jubiläum. Kai Diekmann, ehemaliger Chefredakteur und Herausgeber von „Bild“, initiierte den ersten Feierakt in Berlin, die Ausstellung „Foto.Kunst.Boulevard“. Der Titel zeigt schon an, dass nicht das stets umstrittene Blatt ins Zentrum gerückt ist, sondern jene 26 Fotografen, deren ikonische Bilder die Zeitung großgemacht haben und die selber durch Arbeit und Veröffentlichung groß wurden.

„Foto.Kunst.Boulevard“ feiert zuerst und sehr zu Recht Pressefotografen und Pressefotografie. Und weil die allermeisten der 65 ausgewählten Aufnahmen in der „Bild“ erschienen sind, wird die Zeitung mitgefeiert – genauer, die Fotosprache dieses Mediums.

Es sind sehr eindringliche Bilder dabei wie Peters Müllers Motiv „Lebensmut“ von 2010, das einen einbeinigen, auf Krücken vorwärtseilenden Fußballspieler, Bürgerkriegsopfer in Sierra Leone, zeigt. Oder Kiki Kauschs Serie „3 Minutes with...“ mit Hollywood-Stars, die sich in Kai Diekmanns Büro im Springer-Hochhaus ohne Agenten-Einflüsterung, one-on-one, fotografieren ließen.

Eine Wand in der Ausstellung wird von fünf Porträtaufnahmen von Martin Schoeller, Ziehsohn von Annie Leibowitz, beherrscht. Iris Berben, Angela Merkel, Thomas Gottschalk sind darunter – soghafte, gefrorene Momente von prominenten Menschengesichtern, auf Augenhöhe eingefangen, fast biometrisch, fast mathematisch ausgelesen.

Die Schau, natürlich nur ein Bruchteil vom Bruchteil der schier unzähligen Fotografien, die für „Bild“ gemacht und dort veröffentlicht wurden, legt den Schwerpunkt auf Prominenten-Motive. Alltag und Glamour, Köpfe und Kurioses. Dokumentation und Inszenierung. Es ist ein Parcours der Zeitgeschichte, vom Wesen und vom Wesentlichen der Gesellschaft (und in seiner Konzentration auf die Diekmann-Jahre bei „Bild“ auch die selbstreferenzielle Danksagung des Schau-Initiators an den Zeitungsmann).

Wer fotografiert, arrangiert und inszeniert, wer zum Sektor von Schauspiel- bis Politpromi gehört, der arrangiert und inszeniert mit. Daniel Biskups Aufnahme „Bundeskanzlerin Angela Merkel“ von 2011 zeigt, wie Kanzlerin und Ehemann beim US-Präsidentenpaar Michelle und Barack Obama vorfahren. Anlass ist die Verleihung der Medal of Freedom an Merkel im Weißen Haus. Der Wirkungsanspruch wird gesetzt, die Bildmächtigkeit ist unbedingt beabsichtigt. Ein Foto wird ein Gemälde, wie schon die Bilder eines Adolph Menzel (Krönung von Wilhelm I. zum König von Preußen in Königsberg) oder Jacques-Louis Davids NapoleonDarstellungen eindrucksvolle Historienerzählungen waren.

Geschichte wird gemacht, diese fortwährende Binse und Wahrheit, springt auf den Betrachter zu. Und in den durchaus schonungslosen, spontanen wie ewigkeitsorientierten Bildern von berühmten Zeitgenossen wird die Persönlichkeit hinter der Pose enthüllt. Dann wird aus der Wirklichkeit des Bildes die Wahrheit eines Menschen. Und es scheint so zu sein, dass (Presse-)Fotografen die Realität gegenüber der Abstraktion bevorzugen, nicht nur notwendigerweise im Alltagsgeschäft, sondern gewollt auch dann, wenn Einstellung, Nachstellung, Zurschaustellung den Eindruck bestimmen sollen.

„Foto.Kunst.Boulevard“ will nicht enzyklopädisch arbeiten, der Anspruch ist künstlerisch. Was mal Auftragsarbeit war, ist dann in der Schnittstelle zwischen Kunst und Presse gelandet und wird heute als autonomes Kunstwerk gefeiert. Auch, weil Fotokünstler mit der „Bild“ zusammengearbeitet haben.

„Foto.Kunst.Boulevard“, 5. Mai bis 9. Juli 2017, Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, Berlin; Katalog 19 Euro

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