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Einer für Jamaika. Der FDP-Politiker Johannes Vogel gab sich in der Talkshow "Anne Will" am Sonntag noch optimistisch, was die Sondierungen anging..

© dpa

"Anne Will" zu Jamaika-Sondierungen: Talk ohne Wert?

Die Talkshow "Anne Will" redete noch über Sondierungen für eine Jamaika-Koalition, als diese wohl schon gescheitert waren. Trotzdem hatte der Talk seinen Wert

Okay, das Risiko war groß. Das Risiko, dass in die Talkshow hinein die Nachricht vom Scheitern oder vom Gelingen der Jamaika-Sondierungen platzt. Hätte "Anne Will" deswegen auf das Thema des Tages verzichten sollen? Auf keinen Fall, die zuschauerträchtigste Gesprächssendung des deutschen Fernsehens durfte am Abend der Entscheidung nicht irgendein "sicheres" Thema wählen, sie musste in die laufenden Verhandlungen hinein diskutieren. 4,41 Millionen Zuschauer schalteten ein, sicher nicht in der Gewissheit, dass der Talk bereits um Mitternacht in Teilen Makulatur wäre.

Merkwürdig nur, dass der Entschluss der FDP, die Sondierungen abzubrechen, wohl schon gegen 22 Uhr 30 gefallen sein soll. In der Retrospektive des Fernsehabends muss der "Anne Will"-Gast der Liberalen, Johannes Vogel, wie ein Ahnungsloser aussehen oder wie ein Staatsschauspieler. Vielleicht war er gar das willige Talkopfer der Liberalen. Wäre das Ende der Sondierungen in der Talksendung bekannt geworden, wäre FDP-Chef Christian Lindner wohl um seinen großen Auftritt gekommen. So oder so: Das Fernsehen wie die Talkshow selbst sah nicht so aus, als wären sie auf dem letzten Stand der Entwicklungen. Irgendwie auch beruhigend, dass es noch Politik gibt, die nicht im Fernsehen, nicht in der Talkshow ausverhandelt wird.

Pessimist trifft Optimist

"Anne Will" am Sonntag von 21 Uhr 45 an war so richtig geschaffen für Pessimisten und Optimisten. Schon das Thema provozierte ja beide Haltungen: „Sondieren ohne Ende – Hat Jamaika noch eine Chance?“ Und wie Vogel, Konstantin von Notz (B 90/Die Grünen) und Stephan Mayer (CSU) sich im Verlaufe von „Anne Will“ beim Aspekt des Familiennachzugs von Flüchtlingen mit subsidiärem, also eingeschränkten Schutz verhakten, sah das sehr viel mehr nach fortgesetzter Streitbereitschaft als nach ernsthafter Einigungsbereitschaft aus.

„Spiegel“-Korrespondentin Christiane Hoffmann nannte die Situation „zutiefst beunruhigend“, die vier „Jamaikaner“ wirkten auf dem Verhandungsstand von vor vier Wochen. Hans-Ulrich Jörges, „Stern“-Kolumnist, sprach im Einen-für-alle-Ton, wir stünden vor politisch sehr instabilen Zeiten. Im Talkstudio senkte sich eine tiefschwarze Nacht über Jamaika. Und dass Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin der Linken im Bundestag, in einer möglichen Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP sowieso nur eine gescheiterte, weil thematisch verkehrte Politik erkennen konnte – geschenkt.

Festhaken am Familiennachzug

Es war schon eine Überraschung (die nur die Pessimisten bestärken konnte), dass sich die Politiker dermaßen auf das eine Thema des Familiennachzuges festlegen, ja, sich damit von der entschlossen wie locker agierenden Moderatorin Anne Will treiben ließen. Das Gemeinsame, das Überwölbende, das Chancenreiche einer in dieser Formation noch nie dagewesenen Regierungskoalition, war entweder nicht vorhanden oder noch nicht entwickelt. Die Optimisten hätte es durchaus gefreut, wenn das Sondierungstrio mit Euphorie und Empathie für Jamaika geworben hätte. Es drang nicht durch, warum Konservative, Grüne und Liberale Deutschland regieren wollen.

„Anne Will“ zeigte an dieser Stelle, freiwillig oder unfreiwillig, was für ein Kapital, was für ein Risiko in dieser Konstellation steckt. Jörges wollte ihr nur einen Kleinkredit gewähren, was die Haltbarkeit betrifft, und er attestierte der Kanzlerin, was wohl allgemeiner Eindruck ist: Merkel ohne Führungskraft. Die Journalisten in der Runde konnten so intensiv schwarzmalen, weil die Politiker so wenig beitrugen, um das Bild des auch die Nerven des Publikums strapazierenden Auf-der-Stelle-Sondierens aufzuhellen.

Die Herren Mayer, von Notz und Vogel berappelten sich erst im Finale, als sie abseits vom „Symbolthema“ Familiennachzug einige wenige Punkte und Perspektiven der Verständigung präsentierten. Spät, fast zu spät: Selbst Optimisten wurden nach diesem Begleittalk zu den Sondierungsverhandlungen den Eindruck nicht los, dass auch bei einem Erfolg der Gespräche eine erfolgreiche Regierungsarbeit ausgeblieben wäre. "Anne Will" hatte da von einem Stimmungsbild, von einem frühen Kommentar zum späteren Scheitern.

Und die Pessimisten? Werden sich nur noch wundern, dass es unverändert Optimisten gibt, sollte die Rede jemals wieder auf Jamaika kommen.

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