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Undurchsichtig. Im Gerichtssaal verbirgt Mario K. sein Gesicht. Beweise, dass er die Verbrechen begangen haben soll, gibt es nicht. Nur eine Reihe von Indizien – und nichts, was ihn entlastet.

© dpa

Maskenmann-Prozess: Der letzte Versuch

Keine Fingerabdrücke, keine DNS-Spur. Im Prozess um den „Maskenmann“ gibt es keine eindeutigen Beweise gegen den angeklagten Berliner Mario K. Vor Gericht ging die Verteidigung nun aufs Ganze.

Sie warten. Staatsanwalt Jochen Westphal sitzt schon im Verhandlungssaal am Landgericht Frankfurt (Oder), neben ihm eine weitere Staatsanwältin und vier Nebenklageanwälte. Sie warten in diesem schlichten, kühlen Raum im Licht der Leuchtstoffröhren auf Axel Weimann, der den Berliner Mario K. vertritt. Einen früheren Dachdecker aus Marzahn, vorbestraft. Es ist 9.30 Uhr, Weimann soll heute sein Plädoyer halten in diesem Aufsehen erregenden Prozess.

Es soll sein großer Auftritt werden.

Doch Weimann, der bekannte Strafverteidiger aus Berlin, kommt zu spät. Er trägt eine Kiste gefüllt mit Akten in den Gerichtssaal – und verabschiedet sich gleich wieder. Eine Stunde später, als es mit dem Prozess weitergeht an diesem Freitagvormittag, erklärt der Anwalt, warum er die anderen warten ließ. Sein Mandant musste erst einmal Zeitung lesen.

„In den Haftanstalten gibt es kein Zeitungs-Abo und so musste ich meinen Mandanten erst von den neuen Erkenntnissen im Tagesspiegel unterrichten“, sagt Weimann zur Begründung. Erkenntnisse aus dem Recherche-Dossier vom vergangenen Wochenende, in dem schlampige Ermittlungen der Polizei belegt wurden und das die wacklige Indizienkette gegen Mario K. aufgezeigt hat, weil die Indizien genauso auf jemand anderen passen könnten, dessen Spur nicht verfolgt wurde. Nun ändert Weimann – auch auf Wunsch seines Mandanten – seine Strategie. Ursprünglich wollte Weimann Hilfsbeweisanträge in seinem Plädoyer stellen. Mit diesem Hebel können Anwälte erreichen, dass die Richter, falls sie in eine bestimmte Richtung tendieren, dafür bestimmte weitere Beweise erheben müssten. Stattdessen macht Weimann das größere Fass auf und beantragt den Wiedereintritt in die Beweisaufnahme. Staatsanwalt Westphal, dessen erster großer Fall das hier ist und der den Freitag schweigend wie so oft verfolgen wird, hat bereits erklären lassen, dass es dafür keinen Anlass gebe. Fest steht: Wenn das Gericht dem stattgäbe, stünde der ganze Prozess auf der Kippe.

Erst mal wieder Pause.

Der brutale Entführer eines Geschäftsmanns soll eine schwarze Hose, eine grüne Softshell-Jacke, weiße Handschuhe und ein Gesichtsnetz getragen haben: Mithilfe dieser Zeichnung bat die Polizei um Hinweise.
Der brutale Entführer eines Geschäftsmanns soll eine schwarze Hose, eine grüne Softshell-Jacke, weiße Handschuhe und ein Gesichtsnetz getragen haben: Mithilfe dieser Zeichnung bat die Polizei um Hinweise.

© Polizei Brandenburg

Seit Mai vergangenen Jahres verhandelt das Gericht die Anklage gegen Mario K. wegen versuchten Mords, versuchter Tötung, gefährlicher Körperverletzung und räuberischer Erpressung. Ein Prozess, der bundesweit Aufsehen erregt wegen der brutalen Taten gegen reiche Unternehmerfamilien im Berliner Umland. Ein Prozess, der Schlagzeilen auslöst schon wegen der mysteriösen Entführung eines Bankers, der 33 Stunden auf einer Schilfinsel in einem Sumpfgebiet am Storkower See festgehalten worden sein soll, der aber danach widersprüchliche Angaben macht, denen die Polizei nicht ausreichend nachgehen wird – und der sich nach eigener Aussage selbst befreien kann.

Ein Prozess, von dem am Ende aller Verhandlungstage vor allem eines hängen geblieben ist: Dass die Polizei bei ihren Ermittlungen ziemlich viel falsch gemacht hat, Spuren auf Weisung der Chefermittler nicht verfolgte, sich früh festgelegt hat: darauf, dass Mario K. der Maskenmann sein muss.

Im Gericht versteckt Mario K. wie immer zu Beginn der Verhandlung sein Gesicht hinter einem Hefter. Auch heute trägt er Hemd und Jeans, man sieht, er will gepflegt erscheinen. Während Anwälte und Richter reden, macht er sich stets Notizen, schaut kaum auf. Für ihn geht es um alles.

Drei spektakuläre Taten 2011 und 2012: Der Überfall eines Maskierten auf die Unternehmergattin Petra P. in Bad Saarow, der sie mit einem Knüppel attackiert. Ein Schusswechsel am Haus der gleichen Familie, bei dem ein Maskierter auf den eigens engagierten Bodyguard schießt – seither ist der Mann querschnittsgelähmt. Schließlich der Überfall auf eine Villa in Storkow samt Entführung des Bankers Stefan T. in den Sumpf – durch einen Maskierten. Mit einem Schuss in die Decke der Villa, abgefeuert aus der gleichen Waffe. Mit Hilfe eines Kajaks, zu dem das Opfer die Polizei nach der Tat rasch führen wird. Das aber voller Muscheln ist und auf den ersten Blick nicht fahrtüchtig wirkt. Was allerdings nicht weitergehend untersucht wird. Auch das Opfer selbst nicht.

Warum ist hier so vieles unklar? Die Frage hängt auch am Freitag im Gerichtssaal. Wie so oft schon.

Im Tagesspiegel wurde öffentlich, dass auch ein ganz anderer Mann zu der Indizienkette passen könnte – einer, der besser den ersten Täterbeschreibungen entspricht, fragliche Alibis hat, die Opferfamilien gekannt haben könnte und wegen hoher Schulden sogar ein Motiv hätte. Es handelt sich um einen ehemaligen Polizisten der Hubschrauberstaffel Brandenburg, dessen Spur die Ermittler vorzeitig zu den Akten legten.

Die Staatsanwaltschaft hält dagegen ein Alibi des Polizisten für eine der drei Taten für plausibel und damit, wegen der gleichen Waffe, für alle Überfälle – er soll von seiner Dienststelle aus einmal während der Entführung telefoniert haben. Aber wie genau ist das geprüft worden? Und reicht das als Ausschlusskriterium aus? Diese Fragen wirft Weimann in den Gerichtssaal.

Die Beweisanträge Weimanns fordern, dass auch der Ex-Polizist ausführlich vernommen wird und ein DNS-Profil von ihm erstellt wird. Zudem solle geprüft werden, ob sein Handy zum Zeitpunkt der Entführung des Investmentbankers Stefan T. im fraglichen Bereich eingeloggt gewesen sei. Als neue Zeugen sollen seine getrennt von ihm lebende Frau sowie die heutige Partnerin des Mannes und dessen früherer Vorgesetzter gehört werden. Seine Ex-Frau konnte dem Tagesspiegel nicht bestätigen, dass ihr Mann während der gesamten Entführung entweder auf der Arbeit oder zu Hause war.

Der Vorsitzende Richter der Schwurgerichtskammer, Matthias Fuchs, verkündet 45 Minuten Unterbrechung. Es werden mehr als zwei Stunden. Die Prozessparteien liefern sich ein kleines Wortgefecht. Die Anwälte der Nebenklage bezichtigen Weimann einer „großen Show, die man sonst nur aus Amerika kennt“. Weimann wolle nur seine Bekanntheit erhöhen. Die Beweisanträge seien Ausdruck einer Verschleppungstaktik. Es werde ein Schmutzkampagne gegen das Entführungsopfer geführt. Warum? Weil die Entführung nicht korrekt untersucht worden ist?

Auf diese Idee kann man durchaus kommen, wenn man am Freitag im Gerichtssaal genau hinhört. So verlangt Verteidiger Weimann einen Vergleich der von Hubschraubern gemachten Filmaufnahmen vom mutmaßlichen Entführungsort am Storkower See. Erst am zweiten Tag wurde darauf jenes Kajak entdeckt, mit dem Stefan T. aus seinem Haus verschleppt worden sein soll. Der Bewuchs habe eine klare Sicht auf das Ufer verhindert, hatte ein Hubschrauberpilot die Unterschiede zwischen Tag eins und Tag zwei der Entführung erklärt.

Im Prozess wurden bislang viele Beweismittel präsentiert, unter anderem dieses Kanu. Darin soll eines der Opfer des "Maskenmanns", ein Berliner Immobilienbanker, entführt worden sein.
Im Prozess wurden bislang viele Beweismittel präsentiert, unter anderem dieses Kanu. Darin soll eines der Opfer des "Maskenmanns", ein Berliner Immobilienbanker, entführt worden sein.

© Patrick Pleul/dpa

Auf der Anklagebank verfolgt Mario K. das Hin und Her der Juristen. Der 47-Jährige ist mehrfach vorbestraft. Er soll ein sportlicher Outdoor-Typ sein (wie es der Maskierte auch sein könnte), er soll Reiche hassen (sein angebliches Motiv), er soll versucht haben, sich falsche Alibis zu verschaffen (seine Glaubwürdigkeit ist zweifelhaft). Beweise gibt es nicht, keine DNS-Spuren, keine Zeugen. Aber auch nichts, was ihn entlastet. Reicht das angesichts der schlampigen Ermittlungen wirklich für Lebenslang, wie es die Staatsanwaltschaft fordert? Mario K. sagt nichts. Nur: Ich bin der Falsche.

Ist er es?

Dann, es ist mittlerweile 14.45 Uhr, verkündet der Vorsitzende Richter Mathias Fuchs, bekannt als rigoroser Prozessführer: Alle Anträge sind abgelehnt. Es existierten keine Hinweise, die einen Tatverdacht gegen den Ex-Polizisten nahe legen, sagt Fuchs. Das Gericht bleibt bei seiner Linie: Schon im April hatte es abgelehnt, Akten zum Ex-Polizisten ins Verfahren einzuführen, der ohnehin ein Fall für die Justiz ist. Gegen ihn wird wegen Bestechlichkeit ermittelt, deshalb quittierte er 2013 seinen Dienst.

Weimann zieht sich zur Beratung mit seinem Mandanten zurück. Wieder Warten.

Unterdessen berichtet Panos Pananis, Anwalt der Nebenkläger: Der Name des Beamten sage dem Banker Stefan T. „absolut gar nichts“. Er habe dem Entführungsopfer auch Fotos von dem früheren Polizeipiloten vorgelegt. Wieder erklärt der Anwalt: Das „sagt ihm gar nichts“. Auch der Anwalt Jakob Dankert sagt, die Familie P. kenne Mario K. nicht.

Während der Ermittlungen veröffentlichte die Polizei nicht nur Fotos vom Tatort und seiner Umgebung am Storkower See...
Während der Ermittlungen veröffentlichte die Polizei nicht nur Fotos vom Tatort und seiner Umgebung am Storkower See...

© Patrick Pleul/dpa

Aber warum erledigt die Polizei diese Arbeit nicht? Warum lässt die Staatsanwaltschaft das nicht noch einmal prüfen, vorsorglich nachträglich sozusagen? Die Antwort, die das Gericht gibt, lautet: Die Hinweise auf den Beamten könnten auch auf viele andere zutreffen und seien ohne Relevanz. Zu all den Anträgen äußern sich nur die Anwälte von Petra P. und Stefan T. – Staatsanwalt Westphal schweigt.

Am Nachmittag geht es wieder mal weiter. Weimann stellt den Antrag, DNS-Spuren des Beamten abzugleichen mit der Decke, die auf der Insel gefunden worden war, sowie den Projektilen der Tatwaffen. Auch gebe es weibliche DNS-Spuren auf einer Plastikplane, die auf der Schilfsinsel gefunden worden sei – diese seien noch zu untersuchen. Ein weiteres überraschendes Detail.

Das Gericht will über diesen Antrag nicht auch noch entscheiden, sondern vertagt sich kurzerhand auf den 4. Juni. Weimann gibt zwar an, der Co-Verteidiger Christian Lödden sei an diesem Tag verhindert, Richter Fuchs antwortet nur brüsk: „Das ist mir egal.“ Er wolle dann ein Plädoyer hören. Und stürmt in den Richterraum.

Dies ist ein Fall voller Fälle. Die Taten: außergewöhnlich. Die Ermittlungen: haarsträubend. Der Prozess: Aufsehen erregend. Der vorerst letzte Verhandlungstag: verrückt. Hier in diesem schlichten, kühlen Raum wird, so viel ist klar, Justizgeschichte geschrieben. Am 4. Juni soll Axel Weimann plädieren. Danach fällt das Gericht sein Urteil. Dann könnte es in die Revision gehen. Und die Opposition im Brandenburger Landtag erwägt sogar einen Untersuchungsausschuss.

Es ist inzwischen 16 Uhr, draußen vor dem Saal steht Axel Weimann und schüttelt den Kopf. Ginge man danach, wie die Staatsanwaltschaft ihre Indizienkette für Mario K. aufgebaut habe, käme auch immer noch der Beamte in Frage.

Fortsetzung folgt. Mit neuen Details aus dem Sumpf. Und einer Frage, die bleibt: Warum ist hier so viel unklar?

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegel.

Zum vollständigen Recherche-Dossier zum Maskenmann-Fall gelangen Sie hier

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