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Dazugehören, mit anpacken: Wer Beschäftigten mit Behinderung eine Chance gibt, wird oft mit besonderem Einsatz belohnt.

© Imago/Imagebroker

Mario Czaja und Franz Allert im Interview: Vorurteile hinterfragen

Die Potenziale schwerbehinderter Beschäftigter müssen noch stärker öffentlich werden, sagen die Initiatoren des Inklusionspreises.

Herr Allert, 2015 haben sich fast so viele Klein- wie Großunternehmen um den Inklusionspreis beworben, obwohl sie zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht verpflichtet wären. Woran liegt das und wie kann der Funke überspringen?

Unternehmen, die Menschen mit Handicap berufliche Chancen bieten, obwohl sie aufgrund ihrer Betriebsgröße der Beschäftigungspflicht nach dem Sozialgesetzbuch IX nicht unterliegen, verdienen höchste Anerkennung. Seit 2012 wird der Inklusionspreis in den Kategorien Klein-, mittelständische und Großunternehmen vergeben, um die vielen kleinen und mittleren Betriebe zu ermutigen, ihre individuellen Lösungswege der beruflichen Teilhabe schwerbehinderter Menschen bekannt zu machen. Erfreulicherweise sind viele dieser nachahmenswerten Best-Practice-Beispiele Kleinunternehmen, die mit ihrer Flexibilität und Überzeugung anderen Firmen zeigen, dass auch schwerbehinderte Beschäftigte Leistungsträger sind und zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen. Die Öffentlichkeit nimmt dies leider noch zu wenig wahr. Das soll sich ändern.

Das Integrationsamt informiert Arbeitgeber über die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. Ist das Interesse an Ihren Angeboten gestiegen, seit das Thema Inklusion stärker diskutiert wird?
Für Menschen mit Behinderung ist es ungleich schwieriger, einen ihrer Ausbildung und ihren Fähigkeiten angemessenen Arbeitsplatz zu finden. Daher sind Aufklärung, Schulung und Bildung besonders wichtige Bestandteile der Arbeit des Integrationsamtes. In Seminaren erfahren Arbeitgeber und Ansprechpartner schwerbehinderter Beschäftigter alles Wissenswerte über deren Rechte und Pflichten sowie die Fördermöglichkeiten der Reha-Träger und des Integrationsamtes. Aufgrund des großen Interesses bieten wir Seminare nicht nur in unseren Schulungsräumen, sondern einige auf Anfrage auch in den Betrieben an.

Eine Behinderung heißt für viele immer noch „nicht leistungsfähig“. Warum ist es so schwer, mit diesem Vorurteil aufzuräumen?
Behinderung wird nicht selten mit Krankheit gleichgesetzt – mit Arbeitsunfähigkeit. Dabei ist es oft umgekehrt so, dass schwerbehinderte Beschäftigte besonders engagierte Leistungsträger sind, was sich positiv auf die gesamte Belegschaft auswirkt. Das bescheinigen uns auch die vielen Bewerber um den Inklusionspreis. Mit der Verleihung trägt die Landesregierung dazu bei, dieses und andere gängige Vorurteile zu hinterfragen und abzubauen.

Herr Czaja, haben Beschäftigte mit Behinderung in Berlin vom Aufschwung am Arbeitsmarkt profitiert?

Menschen mit Behinderung konnten in den vergangenen Jahren leider kaum vom wirtschaftlichen Aufschwung und der Verbesserung der Arbeitsmarktsituation profitieren. Gegenwärtig zeichnet sich jedoch eine Wende ab. Betrachtet man die Zeit von Oktober 2014 bis Oktober 2015, hat die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen in Berlin um rund sechs Prozent und damit deutlich abgenommen. Waren vor einem Jahr noch 10622 schwerbehinderte Menschen in Berlin arbeitslos, sank die Zahl auf 9979 in diesem Oktober. Dieser Rückgang war stärker als der der Arbeitslosenzahl insgesamt; sie sank im gleichen Zeitraum um 4,5 Prozent.

Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Sicher spielt die allgemein gestiegene Nachfrage nach Arbeitskräften eine Rolle, auch die finanziellen Hilfen, die die Bundesagentur für Arbeit, die Jobcenter oder das Integrationsamt Arbeitgebern bei der Einstellung schwerbehinderter Menschen gewähren. Für mich ist aber wichtiger, dass immer mehr Arbeitgeber schwerbehinderte Menschen nicht mehr defizitorientiert sehen, sondern als vollwertige Arbeitskraft für die jeweilige Aufgabe.

Ein Einstieg in den Arbeitsmarkt sind Integrationsbetriebe. Müssten diese noch gestärkt werden?
Integrationsfirmen sind ein guter Weg, um schwerbehinderten Menschen in einem relativ geschützten Umfeld eine Beschäftigung zu geben und sie so zu bezahlen, dass sie ihren Lebensunterhalt sichern können. In Berlin arbeiten derzeit etwa 670 schwerbehinderte Menschen in 38 Integrationsprojekten. Allerdings werden diese mit rund 4,2 Millionen Euro im Jahr hoch subventioniert, und uns stellt sich die Frage, wie die stetig steigenden Kosten aus Mitteln der Ausgleichsabgabe dauerhaft finanziert werden können. Daher verfolge ich zwei Ziele: Bereits bestehende Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen in Integrationsfirmen zu erhalten, neue Arbeitsplätze dort zu schaffen und parallel neue Integrationsfirmen zu gewinnen. Kurzfristig werden wir dafür aus dem Ausgleichsfonds des Bundes Mittel für die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze erhalten. Zugleich stellt sich die Frage, wie diese zusätzlichen Arbeitsplätze dauerhaft gesichert werden können. Daher bin ich dafür, die Abführung der Mittel an den Ausgleichsfonds – derzeit 20 Prozent der Einnahmen – zu senken. So können wir Integrationsfirmen entlasten.

Die Fragen stellte Silke Zorn.

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