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Bei der Preisverleihung: (hinten) Martin Lücke, Paula Kurz, Caroline Gabrysch, Alicia Baier, Zoe Kapl, Ulle Schauws, Heike Pantelmann; vorn: Theresa Bauer, Lisa Wernicke, Leonie Kühn, Amelie Kolandt, Ronja Reckmann und Verena Blechinger-Talcott.

© Christian Demarco

Margherita-von-Bretano-Preis: Gegen die Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen

Die Gruppe „Medical Students for Choice“ wurde mit dem Margherita-von-Brentano-Preis der Freien Universität ausgezeichnet.

Mit einem schlürfenden Geräusch löst sich das Vakuum aus der Saugpumpe. Das Instrument in Sarahs Hand, das aussieht wie eine große Spritze, füllt sich mit kleinen schwarzen Körnern: den Kernen einer reifen Papaya. Was die Medizinstudentin gerade übt, ist der operative Schwangerschaftsabbruch.

Gemeinsam mit 20 weiteren Berliner Studierenden sitzt sie an einem verregneten Novemberabend in einem Seminarraum auf dem Campus Mitte der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der gemeinsamen medizinischen Fakultät von Freier Universität und Humboldt-Universität. Jeweils zu zweit entfernen die überwiegend weiblichen Studierenden mit der Saugpumpe Fruchtfleisch und Kerne der Südfrüchte. In Konsistenz und Größe ähnelt die Frucht der Gebärmutter in einer frühen Phase der Schwangerschaft. Alle hätten längst Feierabend und sind trotzdem hier – um einen Schwangerschaftsabbruch an dem Modell zu üben.

Das Simulieren des Eingriffs steht bislang nicht im offiziellen Lehrplan. Dass sie das praktische Vorgehen bei einer Abtreibung während des Studiums kennenlernen können, verdanken sie den „Medical Students for Choice“. Die studentische Gruppe will angehenden Ärztinnen und Ärzten ermöglichen, sich mit dem Thema nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis zu befassen. Entstanden sind die Berliner „Medical Students for Choice“ im Jahr 2015 als Ableger der gleichnamigen US-amerikanischen Organisation, die heute mehr als 10.000 Mitglieder zählt.

Ziel der Initiative ist es, Sachkenntnis zu vermitteln

In der Berliner Gruppe sind derzeit zehn Studierende aktiv dabei, die meisten von ihnen stehen kurz vor dem dritten und letzten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung. Dass sie auch in der nächsten Ausbildungsgeneration Mitstreiterinnen und Mitstreiter finden werden, steht für sie fest. „Die Nachfrage nach unseren Papaya-Workshops ist ungebrochen hoch“, sagt Caroline Gabrysch. „Den Kurs im November haben wir allein mit Wartelistenplätzen gefüllt.“

Bei den Berliner „Medical Students for Choice“ ist Gabrysch, die bereits das sogenannte Praktische Jahr absolviert, fast seit Beginn dabei. Sie hat Infoveranstaltungen mitorganisiert, zu Vorträgen eingeladen und schon selbst Vorträge in anderen deutschen Städten gehalten. Und auch die Workshops zum Einlegen der schwangerschaftsverhütenden Spirale und zur Übung des Schwangerschaftsabbruchs an Papayas organisieren Caroline Gabrysch und ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen seit Jahren. Unterstützt werden sie von niedergelassenen Gynäkologinnen, die selbst Abbrüche vornehmen. Die medizinischen Instrumente stellt das Familienplanungszentrum Balance in Berlin-Lichtenberg.

Die Veranstaltungen der „Medical Students for Choice“ haben ein klares Ziel: Studierende sollen sich umfassend mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch auseinandersetzen können – nicht allein unter ethischen Aspekten. Vor allem sollen sie die medizinischen und rechtlichen Fragen beantworten können. Das praktische Vorgehen zu kennen, sei ein weiterer Vorteil, sagt Gabrysch.

Abtreibungen seien immer noch stigmatisiert

„Es geht dabei nicht um persönliche Meinungen. Absolventinnen und Absolventen sollen Patientinnen professionell beraten und auf Fakten basierend gut behandeln können.“ Abtreibungen seien immer noch stigmatisiert, es habe auch schon Anfeindungen in digitalen Medien gegen die Gruppe gegeben. Aufgrund der Komplexität der Thematik sei es umso wichtiger, „dem medizinischen Nachwuchs die nötige Sachkenntnis mitzugeben“.

Auf diese Forderung hat der Fakultätsrat der Charité reagiert. Seit dem Sommersemester 2019 gibt es ein Seminar zu rechtlichen und gesellschaftlichen Aspekten des Abbruchs und seit dem Wintersemester 2019 auch eine Online-Vorlesung zu ethischen Fragen. Außerdem wurde in eine Vorlesung für Studierende im 9. Semester ein sogenanntes Lernziel zu den medizinischen Methoden des Abbruchs integriert, das bereits für die kommenden Prüfungen im Februar 2020 relevant sein wird. Für die „Medical Students for Choice“ ist das ein großer Erfolg.

Mitte November wurde die Gruppe für ihr Engagement mit dem Margherita-von-Brentano-Preis der Freien Universität Berlin ausgezeichnet. Die Studierenden setzten sich für die „bessere Verankerung des Themas Schwangerschaftsabbruch in der ärztlichen Ausbildung“ ein, heißt es in der Begründung des Präsidiums der Universität, und sie engagierten sich in herausragender Weise „für die strukturierte Verbesserung der humanmedizinischen Lehre im Feld der Gendermedizin“. Anne Kostrzewa

Anne Kostrzewa

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