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Die Teilnehmer der Kakao-Zeremonie machen es sich für eine einstündige, geführte Meditation bequem.

© Grit Siwonia

Magazin Winter: Die Regenbogen-Medizin

Roher Kakao ist im Trend. Was das heilige Getränk der Mayas bei Großstädtern so beliebt macht, erfährt man am besten bei einer Kakao-Zeremonie.

Junge Frauen, die mit ihren Schlabberhosen, Tattoos und Federn im Haar aussehen wie direkt von einer Vollmondparty am thailändischen Strand. Männer in Jeans. Eine ältere Dame, sorgfältig geschminkt, mit Kaschmircape.

Etwa vierzig Menschen sitzen erwartungsvoll in großem Kreis, sie sind gekommen, um gemeinsam eine Kakao-Zeremonie zu begehen. Die Sonne fällt durch die großen Scheiben auf den schwarzen Linoleumboden, auf dem sonst Tanzperformances geprobt werden. In der Mitte des Kreises steht ein Arrangement aus Kerzen und Blumen.

Ursprünglich stammt Kara aus der Welt des teuren Schmucks

Auf einer bunten Decke sitzt Zeremonienmeisterin Serap Kara. Die braunen Locken fallen ihr über die zarten Schultern, in ihrem dunkelblauen Kleid sieht sie elegant aus, es fällt nicht schwer, sie sich in der Welt teuren Schmucks vorzustellen, in der sie früher tätig war. Vor sich hat Kara eine Klangschale, ein Tamburin und den Star der Veranstaltung: einen großen Topf voll Kakao.

Zur Einführung spricht sie vom Bewusstsein der Pflanzen, erinnert daran, was frühere Kulturen wussten und wir vergessen haben: dass Pflanzen, wie alle Lebewesen, eine Seele haben. Und dass die Devas, die Götter oder Geister der Pflanzen, den Menschen im Grunde wohl gesonnen sind.

Aus wissenschaftlicher Perspektive ist das nicht zu beweisen. Allerdings kann die wissenschaftliche Betrachtung auch bedeuten, sich in seinen menschlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten von vorneherein zu beschränken. Gerade die Objektivierung der Natur hat zu ihrer Ausbeutung und Zerstörung geführt, zu einem Absägen des Astes, auf dem wir sitzen. Man kann sich also die Frage stellen, wie gültig eine Betrachtungsweise der Welt sein kann, die dazu führt, dass wir sukzessive unsere eigene Lebensgrundlage zerstören.

Serap Kara bietet Kakao-Zeremonien in Berlin an.
Serap Kara bietet Kakao-Zeremonien in Berlin an.

© Grit Siwonia

Kara beschreibt ein Erweckungserlebnis, das sie vor sieben Jahren hatte. Nachdem sie ein großes Stück roher Schokolade gegessen hatte, lag sie auf dem Bett und hörte eine Art inneren Dialog. "Mir wurde ein sozioökonomisches Komplettbild zum Thema Kakao übermittelt. Ich habe zunächst gar nicht verstanden, wovon da die Rede war", sagt sie. Aber ihr Interesse war geweckt und ließ sie von da an nicht mehr los. Sie las, forschte, wurde zur Expertin, verteilte wo sie ging und stand Kakaobohnen und Wissenshäppchen, sodass Freunde ihr schließlich den Titel "Cacao-Mama" verliehen. Sie nahm ihn an, da sie spürte, dass die in Südamerika beheimatete Pflanze sie zur Botschafterin erwählt hatte. Schließlich gab sie ihren Job in der Luxus-Schmuck-Industrie auf, entwickelte Zeremonien und Produkte und gibt gut besuchte Seminare in der ganzen Welt. Zurzeit schreibt sie ein Buch zum Thema Kakao.

Die Kakaopflanze sorgt für Harmonie zwischen Mensch und Natur

Eine Kakao-Zeremonie ist eine Feier der Gemeinschaft. Das Ritual des gemeinsamen Schokoladetrinkens pflegten schon die Azteken und Mayas. Nach Überlieferung der Mayas ist die Kakaopflanze göttlichen Ursprungs. Der Geist der Kakaopflanze, so besagt der Mythos, spüre, wenn das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur verloren geht. Dann mache er sich aus dem Regenwald heraus bemerkbar und bringe den Planeten wieder in Harmonie. Kara hält das für möglich. Und die vielen Menschen, die in den Großstädten zu Kakao-Zeremonien strömen, zeugen von der Sehnsucht nach dieser Harmonie.

Bevor das Göttergetränk ausgeschenkt wird, geht eine Kakaoschote von Hand zu Hand und jeder sagt in einem Wort, was er verwirklichen möchte. "Balance" heißt es, "Hingabe" und immer wieder "Liebe".

Endlich holt sich jeder seine Tasse voll des stark duftenden Tranks. Viele halten sie in beiden Händen wie ein kostbares Geschenk. Als alle versorgt sind, wird getrunken. Dickflüssig und leicht bitter kratzt jeder Schluck ein wenig in der Kehle. Mit dem süßen Kindergetränk hat das hier wenig zu tun. Der Rohkakao wird mit Wasser zubereitet und nur leicht mit Kokosblütenzucker gesüßt. Kara gibt noch ein wenig Chili und Zimt hinzu.

In den Zeremonien von Serap Kara wird der Kakao gefeiert.
In den Zeremonien von Serap Kara wird der Kakao gefeiert.

© Grit Siwonia

Auch in der eher wissenschaftlich als esoterisch ausgerichteten Superfood-Szene gilt Kakao aufgrund der hohen Konzentration an Antioxidantien, Spurenelementen und Mineralien als Wundermittel. Theobromin und Tyrosin wirken stimmungsaufhellend und euphorisierend. Anandamid, chemisch verwandt mit dem in Cannabis enthaltenen THC, erzeugt das Gefühl schwebender Leichtigkeit.

"Relax into your being", fordert Kara die Teilnehmer mit sanfter Stimme auf, die es sich für eine gut einstündige, geführte Meditation bequem machen. "Ich lade euch ein, euren inneren Raum zu betreten." Ihre Zeremonien sind ruhig und nach innen gerichtet, Gelegenheit, einzutauchen und in sich hineinzuspüren. Es folgt, von rhythmischen Trommelschlägen und sanften Anweisungen begleitet, eine Reise ins Innere. Gelegentlich tönt ein Seufzer durch den Raum, manchmal leiser Gesang, zu dem sich nach und nach mehrere Stimmen vereinen.

Prominente schwören auf eine schnupfbare Kakaovariante

Kakao-Zeremonien werden sehr unterschiedlich begangen. Überliefertes Wissen dazu gibt es kaum. Von Berlin bis New York werden auf Kuschelpartys oder "Ecstatic Dance"-Veranstaltungen Kakaorituale gepflegt. "Es geht darum, mal das Gehirn ruhen zu lassen, sich zu öffnen und zu schauen: Wie fühle ich mich eigentlich?", sagt Kara. Kakao, ist sie überzeugt, unterstützt Kreativität, Massage und Körperarbeit. Außerdem bringt er Partys in Schwung.

Es gibt ein Feierpublikum, das auf der Suche nach Gemeinschaftserlebnissen jenseits von Drogen und Alkohol ist. Dazu gehören offenbar die Rolling Stones-Gattinnen Shirley Watts und Sally Humphreys. Sie sollen es gewesen sein, die den belgischen Chocolatier Dominique Persoone dazu inspirierten, eine schnupfbare Kakaovariante zu entwickeln, die er seither - inklusive passendem Schnupfgerät - verkauft wie warme Semmeln. "So muss sich 1988 ein Rave angefühlt haben, wenn alle gleichzeitig Ecstasypillen nahmen", beschreibt die englische Bloggerin Jessica Brinton begeistert eine Kakaoparty und prognostiziert gar, dass wir bald eine "Revolution der Liebe" erleben werden. Tatsächlich erzeugt das in der Pflanze enthaltene gefäßerweiternde Epicatechin bei vielen das Gefühl, dass das Herz warm und weit wird.

Der Kakao ist seiner bekanntesten und wahrscheinlich auch beliebtesten Form.
Der Kakao ist seiner bekanntesten und wahrscheinlich auch beliebtesten Form.

© Adobe Stock

Die Sehnsucht nach liebevoller Verbindung stellt auch Serap Kara fest. "Wir haben uns abgeschnitten von den oberen und unteren Welten", sagt sie. "Es gibt für uns keine Mutter Erde und keinen Vater Himmel mehr. Daher fühlen sich viele Menschen sehr isoliert."

Sanft beendet Kara die meditative Reise, die Teilnehmer richten sich blinzelnd auf. "Kakao", erzählt sie zum Abschied, "wird auch Regenbogenmedizin genannt, weil er Menschen über die Grenzen von Kultur, Geschlecht, Religion und Sprache hinaus verbindet." Die vielen innigen Umarmungen und selig lächelnden Gesichter in der Runde scheinen das zu belegen.

Bettina Homann

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