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Angela Merkel und Olaf Scholz empfinden das Konjunkturpaket beide als Erfolg - auch in eigener Sache.

© John MacDougall/AFP

Lob für Kanzlerin Merkel: „Sie war absolut der Herr im Ring“

Angela Merkel beeindruckt mit ihrer „Nachtfähigkeit“. Aber nicht nur die Kanzlerin sieht sich als Gewinnerin der Verhandlungen über das Konjunkturpaket.

Von Robert Birnbaum

Fast zwei Tage dauerten schon die Koalitionsgespräche über das Corona-Konjunkturpaket, da kam am frühen Mittwochabend aus der SPD das Signal, es könne eine sehr lange Nacht werden. Angela Merkel platzte der Kragen, sie schritt ein. „Nee, bis in die Nacht tagen wir nicht“, zitiert ein Teilnehmer die Standpauke der Hausherrin – dann sei eben noch mal um 23 Uhr Schluss, und es gehe am Donnerstag mit dem dritten Tag weiter. Die Drohung wirkte.

Wohl umso mehr, als jeder in der Runde wusste, dass Merkel nicht aus Erschöpfung mit der Verschiebung drohte: „Sie ist, was die Nachtfähigkeit angeht, uns anderen immer noch um Lichtjahre voraus“, merkt ein Teilnehmer an. Ein paar Stunden später konnten Merkel und die Chefunterhändler von Union und SPD vom Podium im Kanzleramt den Durchbruch vermelden für ein Konjunkturprogramm, das, laut Olaf Scholz, „mit Wumms aus der Krise“ führen soll.

Scholz und Söder bekamen beide ihr Lieblingsprojekt nicht

Man darf das doppeldeutig deuten. Denn auch wenn vor Kameras wie in Hintergrundgesprächen alle versichern, es sei diesmal ungewöhnlich ideologiefrei zugegangen, erhofft sich nicht nur der SPD-Vizekanzler von den 130 Milliarden Euro zugleich einen politisch-persönlichen Aufschwung. Scholz hatte zuvor mit seinem Altschuldenprogramm für Kommunen selbst eine Messlatte gelegt. CSU-Chef Markus Söder saß als Fürsprecher einer Autoprämie in der Runde. Am Ende bekamen beide ihr Lieblingsprojekt nicht.

Das lag wesentlich an einer kleinen Truppe, die im Stillen die Überraschung des Abends vorbereitet und lange für sich behalten hatte. Als die Unterhändler den ganzen Dienstag lang jeden Punkt auf den Vorschlagslisten einzeln durchgingen, spielte die zeitweise Absenkung der Mehrwertsteuer jedenfalls noch keine prominente Rolle. Die Idee dazu kam von Annegret Kramp-Karrenbauer.

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Die scheidende CDU-Chefin hatte schon vor Wochen in der ersten Corona-Konjunkturrunde der Koalition angeregt, statt des vom Bayern Söder durchgesetzten Mehrwertsteuer-Rabatts nur für Hotels und Gaststätten doch gleich generell den Einkauf billiger zu machen. Damals, berichten Teilnehmer, fanden das alle zu teuer – jeder Mehrwertsteuerpunkt weniger bringt dem Staat auch gut zwölf Milliarden Euro weniger ein.

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Kramp-Karrenbauer aber blieb dran und besprach ihren Plan mit Merkel, Fraktionschef Ralph Brinkhaus, dann auch mit der CSU.

Die auf ein halbes Jahr begrenzte Absenkung soll nicht nur die in der Krise doppelt vorsichtig gewordenen Deutschen zum Kaufen anregen und so das lahmende Geschäftsleben wieder in Schwung bringen. Sie hat auch nicht nur den Vorzug, wie es einer der Unterhändler hervorhebt, dass diesen Teil des komplizierten und verästelten 57-Punkte-Programms jeder sofort versteht. Der Mehrwertsteuer-Plan löste auch die Blockade in der Koalition.

Bei der Autoprämie wurde es hakelig

Er baute nämlich dem Audi- und BMW-Mäzen Söder die Brücke, um auf die Autoprämie zu verzichten. An dem Punkt drohten sich die Gespräche zu verhaken: Hier die Autoprämie, die die SPD-Spitze ablehnte, dort Scholz’ Altschuldenplan, den die Union und speziell der Söder blockierten. Dass der Finanzminister sein Kommunalpaket im Willy-Brandt-Haus – der Parteizentrale – vorgestellt und damit zum parteipolitischen SPD-Projekt erhoben hatte, machte den Widerstand bei CDU und CSU nur härter.

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Zeitweise kam es zu kuriosen Debatten. Im Streit um Autohilfen brachten ausgerechnet Unionsverhandler das IG-Metall-Argument ins Spiel, dass es nicht nur um die parteiübergreifend als schlafmützig und großmäulig zugleich wahrgenommenen Autobosse wie VW-Chef Herbert Diess gehe, sondern um zehntausende Arbeitsplätze bei den viel schwerer getroffenen Zulieferern. Da habe, berichtet ein Unionsteilnehmer, die SPD plötzlich die Gewerkschaft nicht so wichtig nehmen wollen.

Doch am Ende fand der Kreis zu Kompromissen. Den Kommunen nimmt der Bund dauerhaft den Großteil der Wohnkosten für Arbeitslose ab und – gemeinsam mit den Ländern – auch die Gewerbesteuer-Ausfälle aus der Lockdown-Phase. Damit konnte Scholz gut leben. Söder konnte die halbe Niederlage ebenfalls als ganzen Erfolg verkaufen – die niedrige Mehrwertsteuer sei ja auch so eine Art Kaufprämie, rechnete der Bayer vor, dazu kommen etwa Elektro-Prämien sogar für Hybridmotoren.

Ein Pokal für jede Partei

„Es war ja auch wichtig, dass da jeder mit einem Pokal rausgehen kann“, sagt anderntags ein Unterhändler: Die SPD-Spitze mit 300 Euro Kinderzuschlag, die CDU zum Beispiel mit Peter Altmaiers 25-Milliarden-Paket für Mittelständler. Gemeinsam loben sich alle besonders für den Zukunftsteil des 130-Milliarden-Pakets. Der ist mit gut 50 Milliarden fast so groß wie das gesamte Konjunkturpaket, das 2009 den Wiederaufschwung nach der Finanzkrise einleitete.

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Auf einmal ist jetzt das Geld da für die Förderung von Zukunftstechniken – von Wasserstoff bis zu Quantencomputern und Künstlicher Intelligenz. Aber wann, fragen rhetorisch alle, die dabei waren, wenn nicht in dieser Krise sei der Moment, an die Zukunft zu denken? Und wann, werden sich alle im Stillen gedacht haben, können wir je wieder so viel Geld ausgeben? Im nächsten, dem Wahlkampfjahr dürften die Zeichen eher nicht auf teure Wahlversprechen stehen.

Von Merkel berichten alle, sie sei präsent und energisch gewesen wie eh und je: „Sie war absolut der Herr im Ring“ sagt einer, gendermäßig schwer inkorrekt. Söders Auftritt kam wieder sehr kanzlerkandidabel daher, auch wenn andere Unionsteilnehmer versichern, der Bayer habe während der SPD-Auszeit im Kanzleramt jedenfalls nicht erkennbar schon mal Maß genommen. Dafür tritt er anderntags gleich wieder Unmut los.

Wie lange bleibt die Mehrwertsteuer gesenkt?

Wenn das Paket nicht helfe, verkündet Söder, könnte man die Mehrwertsteuer-Absenkung auch über den 31. Dezember fortschreiben. In SPD und CDU stößt das vielen übel auf. Die Steuersenkung wirke nur dann schnell und gut, sagt einer aus der CDU-Spitze, wenn den Bürgern klar sei, dass sie nur für begrenzte Zeit gelte.

Ohnehin sei der Schritt einer ins Risiko: Nicht ausgeschlossen, dass er sich nicht als Zündung für einen soliden Konjunkturaufschwung erweist, sondern als das, was man Strohfeuer nennt. Wieso Söder riskiert, dem „Wumms“ ein Stück Wirkung zu nehmen – im Hintergrund herrscht Kopfschütteln. Aber mit dem „Wumms“ hat es der CSU-Chef offenbar sowieso nicht. Ihm scheint „ein großer Schritt nach vorn“ lieber zu sein. Wahrscheinlich deshalb, weil ihm der „Wumms“ nicht selber eingefallen ist.

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