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Ein Verkehrszeichen darf keine störenden, ablenkenden Elemente enthalten – Aus- oder Einbuchtungen, Zöpfe, Rockzipfel.

© Karl-Josef Hildenbrand, dpa

Leuchtsignale sind "illegal": Eine Stadt kämpft für die Ampelfrau

Die Ampelfrau im oberbayerischen Sonthofen hat eine bewegte Geschichte. Nun sollen die Lichtsignale verschwinden. Der Bürgermeister gibt sie nicht kampflos auf.

Das ist sie also, die Femme fatale von Sonthofen. Von innen leuchtend, wie jede Frau sein sollte, hält sie ihre Arme weit offen, aber wer ihr jetzt entgegenginge, würde es vielleicht nicht überleben. Jede Femme fatale ist latent tödlich. Und diese Ampel in Sonthofen zeigt eindeutig rot.

Ungefähr so muss zu Jahresbeginn ein Abgesandter der Bezirksregierung von Schwaben an der Ampel Richard-Wagner-Straße, Ecke Grüntenstraße gestanden haben. Er hatte schräg gegenüber im Landratsamt Oberallgäu einen Termin, kam nicht weiter, und in dieser prekären Gemütslage bemerkte der aufgehaltene Beamte etwas Unfassbares: Die ihm da Rot zeigte, war eine Frau! Aber doch nicht in Bayern, eigentlich nirgendwo!

Ein Verkehrszeichen, jeder weiß das, darf keine störenden, keine ablenkenden Elemente enthalten. Also keine Aus- und Einbuchtungen. Nichts, was nicht zur Sache gehört, also zum Wesen des Menschen. So steht es in den „Richtlinien für Lichtsignalanlagen“. Frauen sind illegal, Punktum. Und der Beamte wusste: Die muss weg!

Wahrscheinlich hat sich die Lichtsignalanlage Ecke Richard-Wagner-Straße/ Grüntenstraße gar nicht über diesen feindseligen Verkehrsteilnehmer gewundert. Seit die Verkehrsampel im Dezember vor genau 150 Jahren in London zur Welt kam, ist sie an den Anblick von zornigen, wütenden, fluchenden Menschen gewöhnt. Die erste Ampel stand unmittelbar vorm Parlament. Die Londoner Kutscher tobten: Eine Lampe will sie zum Anhalten zwingen? Pferde scheuten, Passanten gerieten unter die Hufe, Tote waren zu beklagen. Schließlich explodierte die Ampel, wahrscheinlich vor Trauer und Einsicht. Aber ihre Farben blieben: rot und grün.

Hat eine Richtlinie nicht Empfehlungscharakter?

„Rot und grün. Ja, das ist es doch!“, ruft Sonthofens Bürgermeister mit irritierender Leidenschaft durch sein Büro. Christian Wilhelm will die Ampelfrau behalten und der ganze Ort steht zusammen wie ein Mann, nein, eine Frau, hinter ihm. Wilhelm ist ein Kind Sonthofens, 44 Jahre alt. Der Bürgermeister würde auch als Skilehrer durchgehen, unwillkürlich sucht man nach etwas Unvollkommenem in seiner Erscheinung, während er formuliert, dass eine Lichtsignalanlage im Kern durch die Farben Rot und Grün definiert werde.

Selbstbewusst schauen die üppigen Grünpflanzen. Zimmerpflanzen in Männerbüros gehören zu den akut gefährdeten Arten, aber Christian Wilhelm ist offenkundig ein Sympathisant des Lebendigen. Also des nie ganz Normierbaren. Also der Varianten. Also des Wachstums. Er lässt in einem nur leicht getönten Bayerisch die Wortgruppe „Richtlinien für Lichtsignalanlagen“ auf der Zunge zergehen, schmeckt jede einzelne Silbe nach. Richt-Linie: Steckt da nicht Empfehlungscharakter drin? Die Anerkennung der Entscheidungsfreiheit des mündigen Bürgers? Natürlich, Gebirgsmenschen gehören zu den am schwersten normierbaren Formen des Humanums.

Andererseits sind die Oberallgäuer so wenig wie die Oberbayern jemals als Avantgarde des Feminismus aufgefallen, auch nicht im Straßenverkehr.

Wie also gelangte die Ampelfrau nach Sonthofen? Aus dem Osten kommt die legitime Schwester des Ost-Ampelmanns auch noch. Nicht mal Berlin wollte sie haben, dabei regeln hier, wie jeder weiß, die Ex-DDR-Ampelmänner den Fußgängerverkehr.

Die Wiege des Ampelmännchens ist Zwickau

Christian Wilhelm kann sich noch genau erinnern, wie Stadt- und Landrat vor fünf Jahren überlegten, ob sie zum Weltfrauentag 2013 nicht ein Zeichen setzen sollten. Alle waren dafür, aber welches? Wir könnten ein Lichtsignalzeichen setzen!, überlegte die Gleichstellungsbeauftragte. Diese Ostler hätten neuerdings auch Ampelfrauen, etwa in Zwickau und Dresden, aber auch in Bremen oder Köln.

700 Kilometer weiter Richtung Nordosten sucht der Erfinder der Ost-Ampelfrau neben seinen drei Erzgebirgsweihnachtsengeln eine Rechnung. Der „VEB Signaltechnik Zwickau“ hatte einst alle Ampeln der DDR hergestellt. Darum nennt sich die Firma noch immer „Wiege des Ampelmännchens“. Joachim Roßberg kaufte seinen alten Betrieb gleich nach der Wende für eine Million D-Mark, da wusste noch niemand, dass es Ost-Firmen bald auch für eine Mark gab.

Irgendwie hatte man sich den Erfinder des Gender-Mainstreamings im Straßenverkehr etwas anders vorgestellt. Joachim Roßberg ist fast siebzig, an der Wand seines Zwickauer Büros grüßt ein großes handsigniertes Foto von Jürgen Möllemann. Guido Westerwelle steht neben Angela Merkel, die in einem Strandkorb lümmelt, und es ist völlig klar, wer hier die Badehose anhat. Ein Ölbild, leicht fiktiv, erläutert Roßberg, und eins ist klar: Wenn dieser Mann je zu einem Bekenntnis neigen sollte, dann gilt es der FDP, der liberaldemokratischen Partei Deutschlands, und keinesfalls dem Gender-Mainstreaming. Und doch hatte er einst, noch in der DDR, die rote Ampelfrau gezeichnet.

Sie sollte eine gelbe Warn-Ampelfrau sein

Die weit offenen Arme sind wie beim Ampelmann keine Einladung, sondern eine Schranke. Es ist sogar eine Doppelschranke, denn die Zöpfe stehen fast waagerecht vom Kopf ab. Roßberg war immer sehr zufrieden mit seiner roten Ampelfrau; aber das Gleiche in Grün, nein, die Gleiche in Grün wollte ihm nicht gelingen. Wahrscheinlich darum hatte er dem sächsischen Verkehrsministerium zwischen rotem und grünem Ampelmann eine gelb blinkende Warn-Ampelfrau vorgeschlagen. Gelb wie die Eifersucht und Ärger jeder Art? Die Automobilclubs waren begeistert, aber Sachsens Verkehrsminister lehnte ab. Zu teuer. Fußgängerampeln mit drei Feldern wären nicht finanzierbar. Das war im September 2004.

Schon Anfang des Jahres darauf leuchtete die erste Frauenampel in Zwickau an der Kreuzung Werdauer/Crimmitschauer Straße rot und grün. „Mein Sohn hat die Grüne gezeichnet“, erklärt Roßberg. Der hat schon als kleiner Junge nichts als Ampeln gesehen und führt die Firma heute gemeinsam mit seinem Vater. Natürlich schlug der neuen Ampel neben viel Sympathie von Anfang an auch Feindschaft entgegen.

Sonthofens Bürgermeister Christian Wilhelm hatte mit den Ampelfiguren ein Zeichen zum Weltfrauentag setzen wollen.
Sonthofens Bürgermeister Christian Wilhelm hatte mit den Ampelfiguren ein Zeichen zum Weltfrauentag setzen wollen.

© Charles Abarr

Die haben wohl keine anderen Probleme!, sagten vorzugsweise die alten weißen Männer, als binnen kürzester Zeit auch in Dresden Ampelfrauen den Fußgängerverkehr regelten. Bald waren es vierzig Stück. Auch ein Untergang des Abendlandes. Ende des Jahres 2005 erschien eine japanische Delegation in der früheren „VEB Signaltechnik Zwickau“. Yosuke Kurokawa, Gesandter der südwestjapanischen Präfektur Ehime, hatte eine Reportage über die Ampelfrauen im japanischen Fernsehen gesehen und wollte jetzt auch welche für Ehime. Zwar sei Japan ein sehr zentralistisches Land,unfassbar konservativ, aber Yosuke Kurokawa war optimistisch: „Engagement ist alles!“ Das sind die globalen Liberaldemokraten, dachte Roßberg senior. Möllemann und Westerwelle oder Hildegard Hamm-Brücher hätten nicht anders gesprochen. Roßberg konnte der DDR nie verzeihen, dass sie seine Familie, Lebensmittel- und Spirituosenhändler seit fast 200 Jahren, enteignet hatte.

In Prag wurde ein Künstler zu 3300 Euro Strafe verurteilt

Die Wartung einer Ampel ist eine vollkommen unschöpferische Tätigkeit, im Gegensatz zu ihrer Neuschöpfung.

Natürlich geht das nicht immer gut aus. Als die Prager vor über zehn Jahren wie gewöhnlich an ihren Lichtsignalanlagen standen, gaben ihnen plötzlich Einbeinige, Trinker und Stehpinkler grünes Licht. Für mehr Diversität auf unseren Kreuzungen! Aber die Stadt verklagte den Urheber Roman Týc wegen „Beschädigung und Betriebsgefährdung einer öffentlichen Anlage“. Schließlich wurde der Robin Hood der Prager Ampeln zu 3300 Euro Schadenersatz für die Rückmontage verurteilt, von denen er 2500 durch alternativen Gefängnisaufenthalt absaß.

Kein gutes Omen für Soho. Sollte man im Fall des Sonthofener Bürgermeisters gar von Widerstand gegen die Staatsgewalt im Amt sprechen müssen? Zumal das bayerische Innenministerium in seinem „Einführungserlass“ zur Rilsa, der „Richtlinie für Signalanlagen“, vom 2. Dezember 2015 ausdrücklich verfügt hat, dass im Freistaat ausschließlich amtliche Symbole zu verwenden seien, also Westmänner. Die Bezirksregierung konnte das auch begründen: „Nur wenn die Lichtsignalanlagen gesetzeskonform ausgestaltet sind, sind sie verbindliche Verwaltungsakte in Form einer Allgemeinverfügung.“

In Christian Wilhelms Augen wetterleuchtet es, als wolle er bezweifeln, dass das Wesen einer Ampel darin bestehe, „einen verbindlichen Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung“ darzustellen. Entscheidend sei vielmehr etwas, das ein alter Sonthofener vis-à-vis der Femme fatale nachher so formuliert: „Ist hier schon mal ein Unfall passiert, wegen diesem Woib? ... Na also! I moag sie! Sie bleibt doa.“

Dem Mann überlegen: Eine größere Leuchtfläche

Die Ampelfrau verursache nicht nur keine Unfälle, ergänzt Christian Wilhelm, sondern verhindere sie. Studien hätten gezeigt, dass die Ost-Ampelmänner und -frauen den Westmännern eindeutig überlegen seien durch ihre wesentlich bessere Erkennbarkeit, ihre größere Leuchtfläche.

Und Sonthofens Bürgermeister ist nicht allein. In Neu-Ulm hat die Bezirksregierung unlängst 21 illegale Ost-Ampelmänner entdeckt. Und dann ist da noch der Fall Augsburg. Direkt unter den Augen der Bezirksregierung blinkt seit Juli 2017 Spitalgasse, Ecke Milchberg ein grüner Kasper. Ist ein Kasper nicht noch unseriöser als eine Frau? Die Regierung leistete erbitterten Widerstand, konnte am Ende aber nur durchsetzen, dass bei Rot der gewohnte Ampelmann erscheint. Sie zog sich auf den Standpunkt zurück: Was unsere Bürger bei Grün machen, ist uns egal. Wilhelm konstatiert es mit Befriedigung.

Was unsere Bürger bei Grün machen, ist uns egal, müssen sich auch die Stadtältesten von Friedberg gedacht haben, als sie soeben, Ende November 2018, drei Elvis-Ampeln in Betrieb nahmen. Der war da mal stationiert. Bei Grün sieht es aus, als ob der King of Rock ’n’ Roll gerade hinfällt, aber das ist nur der Hüftschwung. Und wie er bei Rot steht, nein, stehflegelt!

Überhaupt war es ein gutes Jahr für Lichtsignalanlagen, die absolut keine verbindlichen Verwaltungsakte in Form einer Allgemeinverfügung darstellen. Die schönste hat wohl Worms installiert. Martin Luther rot und grün, wartend und laufend: Hier stehe ich ... ich kann auch anders! 2021 ist es 500 Jahre her, dass sich Luther vor dem Reichstag in Worms erklären musste.

"Kein zeitgemäßes Frauenbild"

Und Berlin wird im nächsten Jahr höchstwahrscheinlich die erste Stadt sein, die den 8. März, den Frauentag, als gesetzlichen Feiertag einführt. Eigentlich wäre das eine Gelegenheit, die tausenden Ampelmänner mit einer oder sogar zwei Ampelfrauen zu kontrastieren. Solidarität mit Sonthofen!

Aber Berlin neigt zum Teltowismus. Die Teltower Fraktionsvorsitzende der SPD, Christine Hochmuth, lehnte 2012 den Antrag, die Ampelfrau in Teltow einzuführen, rundweg ab. Eine Frau „mit langen Zöpfen und schwingendem Röckchen“ vermittle „kein zeitgemäßes Frauenbild“. Berlin folgte ihr.

Joachim Roßberg in Zwickau hebt seine Augenbrauen in die resignierende Höhe eines stummen Kommentars. Hat Christine Hochmuth nicht gesehen, dass das ein Mädchen ist?

Menschen folgen denen, in denen sie sich wiedererkennen. Roßberg wollte ein Signet für Kinder entwerfen. Natürlich hätte er einen Jungen zeichnen können, aber er machte ein Mädchen. Rechtwinklig abstehende Zöpfe symbolisieren nicht Folgsamkeit, Pippi Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf beweist das.

Teltowist*innen aller Couleur halten ein geschlechtsneutrales Ampelsymbol für zeitgemäßer. In Berlin ist bereits der Bär im Gespräch. Aber ist das nicht – ein Mann? Es heißt der Löwe, der Fuchs, der Wolf. All die großen, klugen Tiere sind männlich, aber es heißt die Ameise, die Schnepfe, die Küchenschabe, die Berghutze. Da kann man nichts machen, bis jetzt.

Im Oberallgäu hat die Bezirksregierung angedeutet, sich vorerst nicht mehr nach den Fortschritten bei der Demontage der Sonthofener Ampelfrauen erkundigen zu wollen. „Sollen sie doch kommen und sie selber abbauen!“, hatte Christian Wilhelm zuletzt gesagt.

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