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Axel Krause, hier in seinem Leipziger Atelier, sitzt auch im Kuratorium der AfD-nahen Desiderat-Erasmus-Stiftung.

© Jan Woitas/dpa

Leipziger Bilderstreit: Der Kulturkampf um den „AfD-Maler“

Heimat ist für den Leipziger Maler Axel Krause ein Ort, „wo ich mich nicht erklären muss“. Die Kunstszene hat ihn verstoßen, weil er der AfD nahesteht.

Auf der diesjährigen Leipziger Jahresausstellung fehlen zwei Bilder. Das erste sieht so aus: Eine Taube kommt auf Taubenfüßen, sehr weiß und ungemein gegenständlich durch die offene Balkontür. Seit Picasso gelten solche Flugobjekte als Friedenstauben. Dahinter liegt eine Frau in der Badewanne, mit jenem Badewannenblick, der besagt: Ich bin hier im Exil, unerreichbar für die ganze Welt! Natürlich bemerkt sie den Vogel nicht, sollte sie aber, denn seine Größe ist fürwahr irritierend. Eine Monstertaube!

Das Vogelbild zu verpacken und ins Auto zu bringen, war gar kein Problem. Aber Axel Krause hatte noch eins gemalt für die Leipziger Jahresausstellung – eine vom Leipziger Jahresausstellung e. V. organisierte, jährlich stattfindende Präsentation Leipziger Künstler –, das besaß typisches Krause-Format, eine leere Wand braucht man da schon. Und darum hatte der Maler bereits einen Sitz seines Autos ausgebaut, als ihn eine E-Mail erreichte: Man müsse ihn leider von der Ausstellung ausschließen. Mit freundlichem Gruß usw.

Das war am Freitag, dem 31. Mai. Dem allgemeinen Publikum begründete der Verein den Ausschluss so: „Die öffentlichen Äußerungen Axel Krauses widersprechen den ethischen Grundsätzen unseres Vereins.“ Der Maler antwortete nicht. Was hätte er auch schreiben sollen? Ich komme trotzdem! Oder: Kein Problem, dann eben nicht! – ? Oder dass ihm kein ethischer Grundsatz in seinem Besitz einfalle, der denen des Vereins widerspreche?

Gesprächsbedarf? Der Maler verneinte

Natürlich, er hatte über Facebook mitgeteilt, dass er die AfD „für ein begrüßenswertes Korrektiv im maroden Politikbetrieb“ halte. Aber seit wann zählt ein subjektives Statement zur Lage der Nation zu den ethischen Grundsätzen? Kurz danach rief die Sprecherin des einladend-ausladenden Vereins an, in hörbarer Sorge, Krauses Bilder könnten schon da sein. Ob er die Mail denn nicht erhalten habe? – Also doch, gottseidank. Ob er Gesprächsbedarf habe? Der Maler verneinte.

Einen Tag später sagte der Vorstand der Leipziger Jahresausstellung diese ganz ab und trat geschlossen zurück. Wenig später trat der Vorstand von seiner Absage und seinem Rücktritt provisorisch zurück und nun ist die 26. Leipziger Jahresausstellung auf dem Gelände der Plagwitzer Baumwollspinnerei doch zu sehen. Ohne Axel Krause.

Das diesjährige Motto der Ausstellung sollte ein einfaches großes Ausrufezeichen sein. Das hat geklappt. Aber wofür steht es?

Für einen Sieg der Freiheit und der Kunst!, triumphieren die einen, das sind vor allem linke Künstler und solche, die glauben, dass Kunst grundsätzlich links ist. Für ein denkbar großes Fiasko, sagen die anderen.

Vielleicht sollte man noch bemerken, dass genau am ursprünglichen Eröffnungstermin 40 Jahre zuvor neun Mitglieder aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen wurden. Wegen falscher weltanschaulicher Positionen. Im Osten vergisst man solche Dinge nicht.

Er sitzt inzwischen in Harlem

Nein, Axel Krause, 60 Jahre alt, Absolvent der Leipziger Schule, früherer Kommilitone von Neo Rauch, mit dem er später ein Atelier teilte, ist kein ganz gewöhnlicher Maler, denn er sitzt nicht nur vor der Leinwand, sondern auch im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Wer mit Kunst nicht viel zu tun hat und sich den Namen Krause nicht so schnell merken kann, sagt auch schon mal: na, der AfD-Maler.

Der AfD-Maler also sitzt inzwischen in Harlem zwischen lauter „freundlichen, unkomplizierten Menschen“ und schaut auf den Hudson. Er schickt eine Mail: „Ich liebe das, es ist eine einzigartige schillernde Welt, die für mich den Reiz der Reise ins Unbekannte und Fremde ausmacht.“ Aber dann gibt es doch kein Problem, könnte man meinen. Doch Krause gehört zu denen, die „die illegale Massenimmigration“ für einen großen Fehler halten. Vor solchen Entscheidungen, die sein Land in unabsehbarer Weise verändern werden, möchte er gefragt werden.

Ein E-Mail-Gespräch über Heimat und Fremde über den Ozean hinweg. Denn dass die Welt bald voller verlassener Heimaten sein könnte, zu einer universellen Fremde werde, ist ihm ein böser Gedanke. Krause, der Heimatdenker: „Heimat und zu Hause sein, bedeutet für mich, an einem Ort zu sein, wo ich mich nicht erklären muss, wo ich meine Sprache, meinen Dialekt höre, wo meine Hoch- wie Trivialkultur zu sehen, zu hören, zu schmecken, zu riechen und zu fühlen ist.“

Er sah die Bilder - und später kaufte er sie

Krause kann sich nicht erinnern, dass sein Name jemals so in aller Munde war wie eben jetzt. Für einen Maler ist das keine ganz üble Sache. Doch er ist nicht der Mann zu triumphieren, er widerspricht auf irritierende Weise dem landläufigen Bild eines AfD-Anhängers, physisch, mental und geistig eher vierschrötig. Er ist ein zurückhaltender Mensch, ein leicht zum Asketischen neigender Intellektueller, dessen leise Stimme die einmal gewählte gedämpfte Tonlage nicht verlässt, während seine Gesprächspartner sich verausgaben. Und bei jedem Satz, den er sagt, hat man das Empfinden, dass er ihn vorher mehrfach prüfte.

Hans-Joachim Maaz, der Hallenser Psychotherapeut und Psychoanalytiker des Teilvolks Ost, zögert keinen Augenblick, Krause als einen „sehr anständigen, integren Menschen“ zu beschreiben, der sich nicht verbiege. Er kenne ihn schon seit gut 15 Jahren. Zuerst sah er allerdings nicht ihn, sondern seine Bilder. Und später kaufte er sie. Eigentlich sollte Hans-Joachim Maaz in der vergangenen Woche an einem Podiumsgespräch zwischen Krause und seinen Skeptikern teilnehmen. Mit ihm sollte die abgesagte und wiederangesetzte Ausstellung eröffnen – aus aktuellem Anlass.

Der Maler hatte das gewünscht, damit aus dem voraussichtlichen Tribunal über ihn ein Gespräch werden könne. „Aber selbst auf Nachfrage hielt es niemand für nötig, mich offiziell einzuladen“, sagt Maaz. Zu hören war vielmehr, auf seine Teilnahme werde keinen Wert gelegt. Daraufhin hat sich auch Krause verweigert.

Elf Messer zerschneiden eine Möhre

Aber was hätte Maaz am vergangenen Dienstag gesagt? „Ich hätte zum Beispiel gefragt, mit welchen ,ethischen Grundsätzen des Vereins’ genau Krauses Äußerungen unvereinbar sind.“

Die Teilnehmer des Leipziger Bilderstreits scheinen überhaupt begriffliche Schwierigkeiten zu haben. Die Jahresausstellung, erstmals 1912 veranstaltet und 1992 wieder gegründet, funktioniert so: Die Vereinsmitglieder machen Vorschläge und anschließend wählt eine Jury etwa 25 Künstler aus. Zu ihnen zählte in diesem Jahr auch Moritz Frei, Jahrgang 1978, der im Mai die Ausstellung aus Protest gegen Krause verlassen hatte.

Frei hat ein Buch herausgebracht, das heißt „Kunstwerke des Tages. Ein fotografisches Archiv“. Auf dem Cover zerschneiden elf Messer eine Möhre. Frei sagte im Mai: Krause „als ausstellenden Künstler auszuwählen, vermittelt mir den Eindruck des Versuchs einer Rehabilitierung“. Rehabilitierung? Aber Krause ist keineswegs straffällig geworden, er wurde nie verurteilt, er verlor nicht seine bürgerlichen Rechte, sondern nur seine Galerie. Das war im vorigen Herbst.

Der Galerist Matthias Kleindienst und Krause kennen sich seit 40 Jahren, 14 Jahre lang war die Galerie Kleindienst seine Galerie. Auch sie liegt auf dem Gelände der früheren Baumwollspinnerei. Im vergangenen Herbst hat Kleindienst dem Maler gekündigt, wegen unvereinbarer politischer Standpunkte. Nun hätte Krause natürlich sagen können, eine Galerie stelle Kunst aus und keine politischen Standpunkte, wo also liegt das Problem? Noch nie im Leben hat er einen politischen Standpunkt gemalt. Auch kann niemand, der seine Bilder sieht, sagen: So sieht also ein AfD-Bild aus!

„Er war in festen Händen, da fragt man nicht“

In Potsdam hinter dem Schloss Cecilienhof hängen Plakate, auf denen groß Axel Krauses Name steht. Und darunter: „Kunst-Kontor. Galerie für zeitlose Kunst“. Ein paar Stufen geht es hoch zu dem schönen früheren Gärtnerhaus, dessen Bewohner für die Pflege des Lenné-Parks der Villa Jacobs nebenan zuständig war. Hier eröffnete Friederike Sehmsdorf vor 15 Jahren ihre Galerie.

An den Wänden hängen überall große Krauses. „Der Maler ist mir schon lange aufgefallen, aber er war in festen Händen, da fragt man nicht.“

Friederike Sehmsdorf ist eine schöne Frau, wegen Frauen wie ihr hat der Maler einst begonnen zu malen. Er war der beste Zeichner in seiner Hallenser Kindergartengruppe, seine Erzieherin Frau Schuhmann lobte ihn sehr, und der Junge dachte, wenn er Frau Schuhmann begeistern kann, dann bestimmt auch andere Frauen. Das war, kurz gefasst, Axel Krauses Weg zur Kunst.

Das erste Krause-Bild, das Friederike Sehmsdorf sah, war „Schwarzmeer“ von 2010. Eine Caspar-David-Friedrich-Figur schaut auf einen Öltanker, um nur zwei Ingredienzien dieser großen Komposition zu nennen. „Seine Bildideen bleiben“, sagt die Galeristin und deutet an, dass dies keinesfalls der Regelfall ihrer Netzhautempfänglichkeit ist.

In der DDR war genau das der Maßstab

Sie sei eine Frau der Kunst, ihr Maßstab sei die Kunst, schlusspunktaus. Aber hat sie denn gar keine Sorge um ihren Ruf? Friederike Sehmsdorfs Augen werden für einen Augenblick sehr schmal. Jetzt hat sie fast den Gesichtsausdruck der Frau auf Krauses Bild im Hintergrund. Die schaut in eine unermessliche Ferne, trägt einen Hohepriesterinnen-Helm und hält einen übergroßen Drehzahlmesser in der Hand. Nein, sagt die Galeristin, diese Sorge habe sie nicht. Sie wisse genau, wer sie sei. Gottseidank wüsste man das in Potsdam auch.

In der DDR war genau das der Maßstab: sich selber und dem eigenen Urteil vertrauen, auch in Bezug auf den anderen. Und wer sich damals nicht verbogen hat, kann doch jetzt nicht noch damit anzufangen? Aufrecht durch die Diktatur, geduckt durch die Demokratie? Die Galeristin lacht. Surreal sind nicht nur Krauses Bilder, manchmal ist es die Wirklichkeit fast noch mehr.

Und doch sei sie überrascht von der Dynamik dieser neuen Verdächtigungskultur und den Reaktionen der Kunstszene. Dass Friederike Sehmsdorf Axel Krause ausstellt, hat sich schon bis nach Bayern herumgesprochen. Gerade hat ein ihr sehr naher Künstler angerufen und ein gemeinsames Projekt abgesagt: Er könne es sich nicht leisten, mit einer Galeristin in Verbindung gebracht zu werden, deren Name mit dem Namen eines, nunja, AfD-Malers in Verbindung gebracht werde. Das habe nichts mit ihr oder mit Krause zu tun. Und dieser Angst-Maler ist nicht der Einzige.

Ein Klima moralischer Erpressung

Die neuen Wächter im Land sagen: Man darf den Rechten keine Bühne bieten. Wer das macht, gehört selbst dazu! – Genau das war die Logik der DDR, spiegelverkehrt. Aus diesem Satz heraus ist sie zu begreifen. So entsteht ein Klima moralischer Erpressung.

„Ich habe nicht gedacht, dass ich so etwas noch mal erlebe“, sagt Hans-Joachim Maaz, und er wüsste nichts, überhaupt nichts, das falscher wäre. Reden zu unterbinden, wo geredet werden müsse, sei auch ein terroristischer Akt.

Der Vorstand der Leipziger Jahresausstellung hatte diese auch darum abgesagt, weil man ihr keine ruhige Minute versprochen hatte. Schon bei der Eröffnung sei mit Aktionen zu rechnen. Auch acht Künstler der Ausstellung überlegten, je näher der Termin rückte, was sie machen könnten. Wenn ihre Bilder schon neben denen Krauses hängen sollen, müsse man ihn da nicht „kontextualisieren“? Man könnte sich zum Beispiel zu den Menschenrechten bekennen. Oder, nein, und, zur Diversität.

Keine Vaterländer mehr, nur noch Menschen!

Ruhig Leute, erst mal aufbauen!, sagte sinngemäß der schwergeprüfte Vorstandsvorsitzende, der Maler und Grafiker Rainer Schade. Dem zu Kontextualisierenden blieb das natürlich nicht verborgen. Er sei also ein „entarteter Künstler“? Diese Vermutung, verbunden mit ein paar hochironischen Bemerkungen über die geplanten Aktionen zu seiner Entlarvung, vertraute er seinem Facebook-Profil an. „Das war zu viel“, erklärt Schade, dieser Tonfall. Aber wie soll denn einer reagieren, der erfährt, dass man gegen ihn die ganze Erklärung der Menschenrechte aufbieten will?

Das neue Klima der Verdächtigung wird geschürt von Leuten, denen der Unterschied zwischen einem Faschisten und einem Konservativen kaum bewusst ist und die dies als Ideal der Erkenntnis begreifen. Wie glücklich könnten wir sein, gäbe es keine Nationen, keine Vater- und Mutterländer mehr, nur noch Menschen!

Wie schrecklich!, glaubt Krause. Leute, die nur von heute sind, ohne Herkunft, ohne Wurzeln, ohne all die Fäden, die den Einzelnen mit dem verbinden, was vor ihm war und die weit in die Zukunft reichen, sind ihm eine große Verlegenheit. Natürlich kann man Krauses Bilder sehen, ohne das Gespräch zu bemerken, das er fast auf jedem mit den Malern der Vergangenheit führt. Doch ihm sind sie wichtig, sie setzen einen gemeinsamen kulturellen Resonanzraum voraus.

Ein Bild kommt zur Welt wie ein Kind

Als Mensch, dessen Herkunftsfäden tief reichen, achtet er die der anderen und kann nicht wünschen, sie würden ihnen einfach gekappt. Aber genau das geschieht, glaubt Krause, wenn Menschen aus traditionalen Kulturen sich plötzlich in diesem fremden Land wiederfinden. Also bilden sie Luftwurzeln aus, so wie die Ostler, diese Flüchtlinge im eigenen Land, nach 1990. Doch über all diese Dinge, ahnt Krause, lässt sich in diesem Land bis jetzt nicht sinnvoll reden. Würde man sonst die Erklärung der Menschenrechte gegen ihn aufbieten, einen Maler, der noch nie ein politisches Bild gemalt hat?

„Meine Definition von Kunst“, hat er einmal gesagt, „beginnt mit folgendem Gedanken: Ein Bild sollte zur Welt gebracht werden wie ein Kind, nämlich um seiner selbst willen. Es gibt wenige Dinge in unserem Leben, die zweckfrei sind und lediglich einem urmenschlichen Bedürfnis folgen.“ Darf ein AfD-Maler schöne, richtige Sätze sagen? Umso schlimmer!, finden wohl die neuen Gesinnungswächter. Und natürlich kann man bedauern, dass so ein bedächtiger, reflektierter Mann sich zur AfD hingezogen fühlt.

Die 26. Leipziger Jahresausstellung in der alten Plagwitzer Baumwollspinnerei ist vor allem ein großes, spielerisches, tieflotendes Bekenntnis zur gegenständlichen Malerei geworden. Wie gut hätten Axel Krauses Bilder sich mit den anderen hier unterhalten können – im Umweg über unsere Augen und Köpfe.

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