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Schwer ersetzbar. Sollten Erntehelfer aus Osteuropa in diesem Jahr ausbleiben, hätte das verheerende Folgen für die Landwirtschaft.

© picture alliance / Patrick Seegee

Landwirte in der Corona-Krise: Wie das Virus die Spargelernte gefährdet

Reisebeschränkungen wegen des Coronavirus stellen Bauern auf die Probe. Manche finden kreative Lösungen - nicht immer erfolgreich. Eine Reportage aus Beelitz.

Von Andreas Austilat

Er hat 100 Plätze für den Ryanair-Flug FR 328 von Bukarest nach Berlin gebucht, an Bord sollen die ersehnten 100 Arbeiter sein. Sie werden nicht reichen, auch nicht zusammen mit den 60, die schon da sind. Jürgen Jakobs braucht 400, es gilt, 250 Hektar Spargelfelder zu bewirtschaften. Er hat 50 weitere Flugtickets gekauft. Eine Luftbrücke für Erntehelfer, das gab es noch nie.

„Timing“, sagt Jakobs, „beim Spargel kommt es aufs Timing an.“ Er schließt den Reißverschluss seiner wattierten Jacke, es ist frisch an diesem frühen Donnerstagmorgen im brandenburgischen Schäpe bei Beelitz.

Die Kälte kommt ihm gelegen. Vor dem Mittfünfziger mit dem graumelierten Haar liegen in langen Reihen die Dämme, in denen unter drei Lagen Plane der Spargel wächst. Hebt man die Planen vorsichtig an, ist darunter blanke Erde. Kein weißes Köpfchen zu sehen. Gut so. Zu viel Sonne ist jetzt unerwünscht.

Dann sprießt er nämlich, der Spargel. Drängt nach oben, will raus aus der Erde. Ja, dann muss er raus. Im Moment aber fehlen Jakobs noch die Leute, die ihn ernten könnten. Jakobs baut seit 1996 Spargel an, schon sein Vater hat das getan, drüben im Rheinland, sein Bruder Josef führt einen zweiten Hof nicht weit von hier.

Jakobs hat Erfahrung. Aber das hier ist neu. Jakobs muss warten. Darauf, dass sie endlich eintreffen, die Arbeiter aus Polen, vor allem aber die aus Rumänien.

Kommen sie rechtzeitig genug?

Man kann die Spargelernte dieses Jahr getrost als Nagelprobe betrachten. Der Spargel ist das erste frische Gemüse aus heimischen Anbau in dieser Krise, die das Coronavirus ausgelöst hat.

Wenn diese Ernte gelingt, lassen sich Rückschlüsse auf alle folgenden ziehen. Gelingt sie nicht oder nur zum Teil – dann auch.

Jürgen Jakobs auf seinem Spargelhof.
Jürgen Jakobs auf seinem Spargelhof.

© Andreas Austilat

Zumindest um die Ernährung muss man sich in Deutschland wirklich keine Sorgen machen, so ähnlich hat es der Bauernverbandspräsident angesichts der grassierenden Hamsterkäufe neulich formuliert. Denn möge es auch so sein, dass internationale Lieferketten zu reißen drohen, Nahrung wird hierzulande genug produziert. Niemand müsse fürchten, nicht satt zu werden.

Vorausgesetzt, es gelingt, zum Beispiel das Gemüse auch zu ernten. Dafür brauchen die Landwirte in Deutschland 280.000 Saisonkräfte. Kein Gemüsebauer kann es sich leisten, für die kurzen Zeiträume, um die es geht, nur mit Festangestellten zu arbeiten.

Polnische Arbeiter müssen nur eine Grenze überwinden, um auf die Beelitzer Felder zu gelangen. Selbst das ist im Moment nicht leicht. Rumänen aber, die müssen durch Ungarn und dann durch Österreich, oder durch Tschechien. Rumänen sind das Rückgrat in diesem Geschäft. Auf dem Jakobshof stellen sie 80 Prozent der Saisonarbeiter.

An einer Art Passierscheinabkommen wird gearbeitet. Aber wird es sofort und reibungslos an den überlasteten Grenzübergängen funktionieren? Für die Erdbeeren vielleicht, für die Gurken. Für den Feldsalat, der jetzt irgendwann gesetzt werden muss. Nur, kommen sie rechtzeitig genug für den Spargel?

Öffnet sich das Köpfchen, wird es schlimmer

Ein paar Tage kann Jakobs dadurch herauszögern, dass er die Planen abnehmen lässt. Wird der Spargel dem Wetter ausgesetzt, bleibt er erst einmal, wo er ist, tief unter der Erde. Aber das wäre eine Maßnahme, die Jakobs jetzt noch nicht erwägt.

An diesem Wochenende kann sich ja alles zum Besseren wenden. Vielleicht sogar jetzt gleich. Jakobs ist nicht der einzige, der in dieser Situation zu ungewöhnlichen Mitteln greift.

Das Jahr fing für die Spargelbauern perfekt an. Ein milder Winter, ein langsamer Übergang zum Frühjahr. Das richtige Timing. Und das ist jetzt in Gefahr.

Sprießen die Stangen, stoßen sie mit dem Kopf an die Plane, dann werden sie krumm, dann sind sie zweite Wahl. Die Qualitätskriterien für Beelitzer Spargel sind streng und Jürgen Jakobs ist der Vorsitzende des Beelitzer Spargelvereins, der hiesigen Erzeugergemeinschaft.

Öffnet sich das Köpfchen, wird es noch schlimmer. Binnen 24 Stunden ist der Spargel verloren, er grünt aus, das wäre es dann gewesen für dieses Jahr.

Die Erntezeit reicht von April bis zum 24. Juni, in dieser Zeit generieren allein die Jakobshöfe 80 Prozent ihres Jahresumsatzes, 1500 Tonnen bringen sie dann auf den Markt.

Die Lage war schon schwierig ohne das Coronavirus

Vor der Sortierhalle parken 15 Autos mit polnischen Kennzeichen. Die meisten ihrer Besitzer gehören zu Jakobs’ Stammbelegschaft, arbeiten seit Jahren im Betrieb. In der Sortierhalle – außen mit Holz verkleidet, innen drei Bandstraßen –, wenn erst mal die Lastwagen mit den Körben vorfahren, stehen dort an jedem Band Arbeiter. Dann wird es laut, weil sie bei der Arbeit Musik hören und die Kisten auf ihren stählernen Rollen dazu ihren Takt schlagen. Im Moment ist es totenstill.

Sortiert wird der Spargel automatisch. Kameras erfassen jede Stange, sechs bis achtmal wird sie fotografiert, dann selektiert, 36 Ablagen stehen bereit. Je nach Größe, Form, Biegungsgrad, Öffnungsgrad des Kopfes und so weiter. Davor aber liegt die Handarbeit.

In den vergangenen Jahren war es auch schon schwierig, genügend Arbeiter zu finden. Für viele Polen, die diesen Job früher gemacht haben, sind die 9,35 Euro Mindestlohn, die jetzt gezahlt werden, nicht mehr attraktiv. Ein, zwei Euro mehr als das, was sie zu Hause verdienen können, reichen nicht mehr aus, um sich auf diesen Job einzulassen, es hinzunehmen, für Monate von der Familie getrennt zu sein. Und auch in Rumänien wird die Anwerbung schwieriger.

In einem Nebenraum sitzt Marczin Waszkiewicz am Computer und bucht das Gepäck ein für die 50 rumänischen Arbeiter, die in der zweiten Welle per Flugzeug erwartet werden. Der 41-jährige Waszkiewicz gehört zu den Vorarbeitern hier, wie die meisten Polen, die für Jakobs arbeiten. Es ist sein neuntes Jahr und es ist eine gute Arbeit wie er sagt. Aber dieses Jahr sei alles anders.

Werden alle kommen? Er ist nervös

Seine Familie, Frau und Tochter, wohnt in Konin, einer 400 Kilometer entfernten Stadt. Die Entfernung würde es ihm erlauben, an einem freien Wochenende nach Hause zu fahren. Oder seine Familie könnte herkommen.

Würde er jetzt nach Hause fahren, dann müsste er in Polen 14 Tage in Quarantäne. Überdies macht sich die Familie Sorgen über das Virus, das in Deutschland mehr grassiert als daheim. Werden sie den Mann und Vater gesund wiedersehen?

Auch in Rumänien haben die Leute Angst, sagt Waszkiewicz. Abgesehen davon, dass viele von ihnen noch nie ein Flugzeug bestiegen haben. Vor ihm liegen Fotokopien rumänischer Pässe, auch er ist ein wenig nervös, ob sie wirklich alle kommen werden. Sein Chef, Jürgen Jakobs, gibt sich optimistisch. Die haben ihm das alle fest zugesagt, sagt er, sonst hätte er ihnen keine Plätze im Flugzeug gebucht.

Es bleibt natürlich die Unsicherheit, dass nicht mehr geflogen wird zwischen Bukarest und Berlin. Und Jakobs ist nicht der einzige, der derzeit so eine Luftbrücke organisiert.

Eine andere Idee, wie man dem saisonalen Arbeitskräftemangel in der Landwirtschaft begegnen könnte, hat die Bundesministerin Julia Klöckner vor wenigen Tagen geäußert. Man könne doch Studenten anwerben, deren Semesterferien gerade verlängert wurden. Oder die vielen Menschen aus der Gastronomie, die nun keine Arbeit finden.

„Prima Einfall“, sagt Ernst August Winkelmann im Büro seines Spargelhofs in Klaistow, zwölf Kilometer vom Jakobshof entfernt. Man kann sich in dem großen, schweren Mann schnell täuschen. Wie er jetzt erklärt, dass man an den Ständen, die an Berliner Straßenecken seinen Spargel feilbieten, oder in den Lastwagen, die ihn dort hinbringen, im Restaurant, in dem man in Klaistow seinen Spargel verkosten kann, überall dort solche angelernten Kräfte schnell gebrauchen könnte, klingt das, als hielte er diesen Einfall wirklich für eine gute Lösung.

„Aber was bringt jemanden eigentlich dazu, zu glauben, jeder könnte Spargel ernten“, fragt er dann und hört sich gar nicht mehr jovial an. Winkelmann kam drei Tage nach der Wende aus Nordrhein-Westfalen hierher, heiratete eine Brandenburgerin, er betreibt den Hof seit inzwischen 30 Jahren. Sein Vater ist im deutsch-holländischen Grenzgebiet seit 70 Jahren im Geschäft.

„Unsere Leute kommen seit zehn Jahren regelmäßig“, sagt er. Und einen guten Spargelstecher anzulernen, dauere es zwei bis drei Jahre. Während ein schlechter Spargelstecher einem das Feld verderben kann. Indem er beispielsweise beim Abschneiden der Stange die Wurzel beschädigt.

Die Arbeiter haben wenig Kontakt - zum Schutz gegen das Virus

Worum geht es? Darum, eine hunderte Meter lange Reihe abzuschreiten, nach den Köpfchen Ausschau zu halten, sich jedes Mal zu bücken, mit dem 35 Zentimeter langen Messer die Stange an der richtigen Stelle abzuschneiden, sie darf beim rausholen nicht brechen, muss abgelegt und weitertransportiert werden. Ein guter Spargelstecher schafft so fünf Stangen in der Minute, 120 Kilo in einer Tagesschicht.

Solche Leute werden dringend gebraucht. Um sie zu halten, arbeitet Jakobs auch am Feelgood-Faktor. Die Arbeiter werden im zum Jakobshof gehörenden „Landmotel“ untergebracht, fünf Mann in einer Stube, zu jeder gehören zwei Waschräume, Fernseher, Küche, Waschmaschine. Jakobs lässt Kleingruppen bilden, die zusammenbleiben und möglichst wenig Kontakt mit den anderen haben, damit sich das Virus nicht unter allen verbreitet, sollte einer von ihnen befallen sein.

Winkelmann geht noch weiter. Auch er setzt auf Kleingruppen, aber vor Jahren schon kaufte er eine NVA-Kaserne. Dort werden die Arbeiter in Zwei-Bett-Zimmern untergebracht, wer die Kaserne betreten will, muss eine Art Schleuse durchqueren, in der Kaserne hat er einen Laden einrichten lassen. Die Busse, die die Arbeiter aufs Feld bringen, werden immer nur mit denselben Männern besetzt.

Vor allem hatte Winkelmann die richtige Ahnung, als das Virus sich in Italien rasant verbreitete. Er ließ seine Kontaktleute in Rumänien die Saisonarbeiter vier Wochen früher anheuern als üblich. Weshalb er jetzt schon auf 400 setzen kann, Allerdings braucht er für seine 800 Hektar noch einmal 400 Arbeiter mehr.

Am Ende fehlt ein Dokument

Hat er die beisammen, sind seine Probleme ebenso wie die von Jürgen Jakobs noch nicht gelöst. Denn die Saison sollte Ende März losgehen, für den 8. April war das große Spargelfest angesetzt, wenn überhaupt wird es ein sehr kleines Fest.

In ihren Hofrestaurants lassen sie die Tische auseinanderrücken. Jakobs und sein Bruder vertreiben mehr als die Hälfte ihres Spargels über die Hofläden, die eigenen Straßenstände und die beiden Restaurants in Schäpe und Beelitz. Den Rest verkaufen sie an Edeka und Rewe.

Möglich, dass vieles davon unmöglich wird, falls eine Ausgangssperre kommt. Aber er ist sich sicher, sagt er, Nahrungsmittel gehen immer und das erste Gemüse der Saison werden sie ihm aus den Händen reißen, wenn er es nur aus dem Boden bringt.

Donnerstagabend, 21 Uhr 30, Berlin-Schönefeld. Flug FR 328 aus Bukarest ist soeben gelandet, pünktlich und planmäßig. Doch an Bord sind 100 Plätze leer geblieben. Sie sind nicht gekommen, die Arbeiter, auf die Jakobs so dringend gewartet hat. Obwohl sie alle informiert waren, die deutsche Botschaft in Bukarest und die rumänische in Berlin.

Am Ende fehlte ein Dokument, und bis Freitagmittag weiß er nicht welches. In Bukarest wartet schon der nächste Trupp auf seinen Abflug, noch einmal 50 Arbeiter, denen Jakobs ein Ticket gekauft hat.

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