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Die Annonce für das Atelier in der mondänen Villa Heike entdeckte Johanna Dumet auf eBay Kleinanzeigen.

© Tobias Schult

Kunst in Hohenschönhausen: Die neue Frida Kahlo

Die Malerin Johanna Dumet hat in Hohenschönhausen ihr Atelier – in einem Haus mit Geschichte. Doch in Dumets Bildern ist vor allem: Gegenwart.

Vom Balkon aus hat man einen guten Blick auf das Grauen. Wenn Johanna Dumet in ihrem Atelier in Hohenschönhausen kurz nach draußen tritt, eine Pause macht oder einfach nur nachdenkt, kann sie linker Hand die alten Gefängnismauern sehen. Nebenan liegt Block F, die ehemalige "Abteilung Bewaffnung" und gegenüber Block N, der "Operativ Technische Sektor", in dem Abhöranlagen hergestellt wurden. Das Haus, in dem sie ihr Studio eingerichtet hat, die Villa Heike, trägt den Buchstaben J für "Geheimarchiv". Hier lagerten zu DDR-Zeiten angeblich elf Kilometer geheime NS-Akten, um sie bei Bedarf gegen Politiker oder Beamte der Bundesrepublik zu verwenden.

Bis 1990 war das Gebiet rund um die Villa Heike und das ehemalige Stasi-Untersuchungsgefängnis streng abgeriegelt, auf Ost-Berliner Stadtplänen existierte es nur als weißer Fleck. Ein großes Tor hielt jeden fern, der nicht für die Stasi tätig war. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte die sowjetische Geheimpolizei den Keller der Villa Heike als Verhörzentrale. Nur ein paar Wochen vorher, im April 1945, wurde Richard Heike, der Berliner Fleischereimaschinenfabrikant, der das Haus 1910 als Showroom und Familiendomizil erbauen ließ, von der Roten Armee erschossen, direkt vor seiner Haustür. Für Dumet ist der Balkon aber vor allem eins: Luxus. "Groß, viele Stunden am Tag Sonne." Das Geländer, auf dem ihre Arme ruhen, glänzt noch ganz neu.

Das Gespür für den Augenblick

Johanna Dumet ist 28 Jahre alt, dunkle Haare, dichte Augenbrauen, ihr Spezialgebiet sind Stillleben. Sie malt Obst und Geschirr wie schon die Niederländer im Mittelalter. Die Alten Meister übertrafen sich gegenseitig damit, die Dinge möglichst naturgetreu abzubilden. Später kamen Cézanne und die Impressionisten und zeigten, dass man das auch völlig anders machen kann. Aber 2019? Gibt es eigentlich nichts, was man dem Thema Stillleben noch hinzufügen kann. Außer: ein Gespür für den Augenblick. Und das kriegt Johanna Dumet ziemlich gut auf die Leinwand. Sie malt so selbstbewusst wie die nächste Frida Kahlo, nur ohne die Schmerzen.

Johanna Dumet habe als Kind schon große Papiere bemalt, erzählt sie.
Johanna Dumet habe als Kind schon große Papiere bemalt, erzählt sie.

© Tobias Schult

Die Französin sieht Schönheit, wo noch keine ist. Sie hat den Kopf voller Ideen und ausreichend Abstand zu Berlin. Den braucht, wer hier zur Ruhe kommen will. Zwanzig große Bilder hat sie in den letzten sechs Monaten gemalt. Das ist viel und erfordert Disziplin. Ankunft in ihrem Atelier ist normalerweise morgens um neun Uhr. Das ehemalige Stasi-Gefängnis nebenan öffnet um zehn. Dann kommen die ersten Schulklassen in die Gedenkstätte und traben hinter ihren Lehrern auf dem Trottoir entlang.

Atelier über eBay Kleinanzeigen

Seit sieben Jahren lebt Dumet in der Stadt, Freunde in Barcelona hatten ihr geraten: "Geh nach Berlin!" Also ging sie. Fand eine Wohnung in Kreuzberg. Besorgte sich einen Putzjob, um Geld zu verdienen. Bis es ihr zu dumm wurde. Ein Wohnungsbesitzer verlangte von ihr, seinen riesigen Spiegel beim Saubermachen Zentimeter für Zentimeter anzuhauchen.

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Die Annonce für das Atelier entdeckte sie vor eineinhalb Jahren auf eBay Kleinanzeigen. Der Architekt Christof Schubert wollte die alte Industriellenvilla zum Atelierhaus umbauen und suchte Mieter. Die mondäne Villa Heike sieht neben Stasi-Gefängnis, Lidl und Plattenbau aus, als hätte man sie aus den Zwanzigerjahren hierhin gebeamt. Seit der Wende stand das Gebäude leer, die Mauern und Fußböden waren vom Schwamm zerfressen. Der Bezirk hatte es bereits aufgegeben, bis Schubert mit seiner Baugruppe kam. Dumet bekam sehr schnell seine Zusage.

Johanna Dumet malt Blumen, Vasen, Kaffeetassen und Kippen. Manchmal taucht ein Typ im Bademantel auf - ihr Freund, der Bildhauer Manuel Wroblewski.
Johanna Dumet malt Blumen, Vasen, Kaffeetassen und Kippen. Manchmal taucht ein Typ im Bademantel auf - ihr Freund, der Bildhauer Manuel Wroblewski.

© Tobias Schult

Vielleicht lag es auch an den Blumen. Die sind da, wo Dumet ist. Auf ihren linken Oberarm hat sie sich einen ganzen Strauß tätowieren lassen, in blau, wie bei einem Seemann. Die Blumen in ihren Bildern sind viel bunter. Dazu kombiniert sie Vasen, Kaffeetassen und Kippen. Manchmal taucht ein Typ im Bademantel auf.

Dumets Atelier besteht aus drei Räumen, Parkett überall. Skulpturen aus Holz baumeln von der Decke, eine hellblaue Badewanne thront im Zimmer. Als Dumet im Frühjahr zum Open Studio einlud, schlichen die Besucher vorsichtig drumherum: "Ist das eine Skulptur?"

Nein, das ist keine Skulptur. Dumet wäscht in der Wanne ihre Pinsel. Ihr Freund, der Bildhauer Manuel Wroblewski , wässert dort die Holzplatten für seine Skulpturen. Und baden kann man natürlich auch. Die Besucherin hat das Atelier kaum betreten, da zeigt Dumet schon eine Leinwand, an der sie gerade arbeitet. Auf dem Bild ist eine Wäscheleine mit Hosen und T-Shirts zu sehen, außerdem drei bunte Stühle. Das Bild ist halbfertig, Dumet findet es "noch ein bisschen langweilig".

Die Stühle trinken Bier

Eines der Kleidungsstücke auf dem Bild hat sie mit gelben Farbzotteln bemalt, die stachelig von der Leinwand abstehen. "Ist doch viel besser so!", sagt sie. Damit die Farbe nicht aufs teure Parkett tropft, ist dunkelbrauner Stoff untergelegt. Wem auch immer diese Klamotten gehören, auf dem Bild ist er oder sie nicht zu sehen. Nur Stühle, Tisch, Bierflaschen. "Waiting for the laundry to dry" heißt das Bild. "Da sind Menschen", sagt Dumet. "Oder die Stühle trinken das Bier."

Ob es nun die Kuchen sind, die sie für ein Hipster-Café am Prenzlauer Berg backt, oder das Theaterstück an der Volksbühne, in dem sie - fast nebenbei - eine Hauptrolle spielte: Dumet urteilt selbst, über das, was sie tut. Wenn ihr etwas nicht gefällt, wird es verändert, übermalt, nochmal gemacht, und nochmal, und nochmal, und nochmal.

Sie versucht zum Beispiel seit einiger Zeit ein spezielles Grün anzumischen, aus Hasenleim und Pigment. Es soll aussehen wie das Dunkelgrün ihres Teppichs auf dem Fußboden, sagt sie. Hat bisher nicht geklappt. Aber sie versucht es weiter, trial and error.

Sie will spontan malen, wie ein Kind. Das ist das Schwierigste. Picasso hat ein halbes Leben gebraucht, die Dinge nicht mehr richtig zu machen.
Sie will spontan malen, wie ein Kind. Das ist das Schwierigste. Picasso hat ein halbes Leben gebraucht, die Dinge nicht mehr richtig zu machen.

© Tobias Schult

Ein paar Wochen braucht es noch, bis das Bild mit der Wäscheleine fertig ist. Etwa 3000 Euro will Dumet dafür verlangen. Ihre Bilder postet sie auf Instagram, das funktioniert gut. Leute fragen nach Preisen, manche kommen ins Atelier, einige kaufen. Ihre Preisliste ist handgemalt und sieht aus wie ein Kunstwerk. Dumet weiß, dass sie am Anfang steht. Noch.

Was sie nicht erträgt, sind Lehrer, die ihr sagen, was sie tun soll. In ihrer Familie seien alle so. In dem kleinen mittelfranzösischen Ort La Creuse, wo sie aufwächst, hat das niemanden gestört. Auch alle Künstler, die Dumet bewundert, sind Autodidakten: Jean-Michel Basquiat, Sam Doyle, Danny Fox. Und Fox, der Maler aus Los Angeles, ist auch ihr Maßstab, wenn es ums Geld geht. 10.000 Euro oder mehr nimmt er für ein Gemälde, nicht mal besonders groß. "In ein paar Jahren bin ich auch soweit", sagt sie. Eine nüchterne Feststellung.

Ein wildes französisches Mädchen

Sie habe als Kind schon große Papiere bemalt, erzählt Dumet, dann Modedesign studiert. Sie liebt Stoffe, Farben und Kleidung, merkt aber, dass sie sich in der Kunst freier ausdrücken kann. Nach dem Studium zieht sie nach Barcelona und malt.

Im Moment wünscht sie sich eine Galerie. "Die Kunstwelt ist etwas komisch", sagt sie. "Galerien brauchen Künstler und Künstler brauchen Galerien. Aber man spielt ein Spiel." Das heißt: Wer als Künstler proaktiv bei einer Galerie vorspricht, hat schon verloren. Als Französin, ohne den Stallgeruch einer deutschen Hochschule, hat sie es doppelt schwer. Aber Kollegen, die es geschafft haben, bestätigen ihr, dass es nicht ungewöhnlich ist, wenn es zehn Jahre dauert, bis die richtige Galerie einen findet. Dann kann alles sehr schnell gehen: Aufträge, Museum, Anerkennung, Geld.

Als Dumet 2018 durch Zufall eine Rolle an der Volksbühne bekam, fanden ihre Mitspieler, die alten Recken Ingrid Caven und Helmut Berger, sie toll. Sie, die überhaupt keine Schauspielerfahrung hatte. Auch Chris Dercon, der damals neue Volksbühnenchef, hatte einen Narren an ihr gefressen. In dem Stück mimte sie eine Libertine, ein wildes französisches Mädchen, das moralische Grenzen und Autoritäten ablehnt. Eigentlich spielte sie sich selbst. Sie hörte sich zwar an, was Regisseur Albert Serra ihr riet, machte auf der Bühne aber doch was sie wollte. Die anderen Ensemblemitglieder mobbten sie bis aufs Blut. "Das hat mich stärker gemacht", sagt sie.

Dumet versucht nicht, detailgetreu zu arbeiten, sie will weder die Schatten richtig setzen noch Form und Perspektive erwischen. Ihr Ziel ist, unzensiert zu malen. Ein Fahrrad aus dem Kopf, ohne ein Foto anzusehen. Spontan. Wie ein Kind. Es ist das Schwierigste in der Malerei, Picasso hat ein halbes Leben gebraucht, um die Dinge nicht mehr richtig zu machen.

Johanna als Vogel und Manu auf dem Pferd

Ich will Spaß haben, wenn ich male, sagt Dumet. Mit einem Gedanken fängt es an, dann kommen die Farben, dann der Rest. Malen ist Freiheit für sie. Auf der Leinwand kann sie machen, was sie will. Würde sie nur abbilden, was existiert, sie würde sich langweilen. Und wer ist der Mann auf den Bildern? "Das ist Manu, mein Freund", sagt Dumet. Sie spricht den Namen französisch aus, hinten mit ü. Eigentlich malt sie keine Menschen. Sie will niemandem sagen, wie er sich hinzusetzen hat. Bei Manu macht sie eine Ausnahme. Manu am Tisch mit einem blauen Overall. Manu, wie er in die Badewanne steigt und Manu mit vielen, weißen Pferdchen um ihn herum, er selbst auf einem großen. Eigentlich wollte Johanna Dumet ihn mit seinem Land Rover malen, der hat 113 PS. Jetzt sind es 94 Pferde. Für mehr war kein Platz. Johanna als Vogel und Manu auf dem Pferd, wie sie zur Villa Heike reiten, den Schlüssel im Schnabel. Ein Zukunftsbild. Sie hat es nur deshalb noch nicht verkauft, weil sie nicht ganz sicher ist, ob es schon fertig ist.

Zur Berlin Art Week öffnen Johanna und ihr Freund das Studio wieder. Jeder kann kommen, sich die Bilder ansehen oder die renovierte Villa bewundern. Beim letzten Mal waren auch etliche Nachbarn aus den umliegenden Plattenbauten da. "Es gefällt ihnen, was wir hier machen", sagt Dumet. Keine Kritik, nichts?

Auch nicht an den Bildern mit Penis und Dildo? "Sie sind froh, dass wir keine reichen Leute sind, die nur eine schicke Wohnung haben wollen", sagt sie. "Wir haben großes Glück, hier zu sein." Ein paar Jahrzehnte zuvor hätten die Häftlinge nebenan wohl bitter über so einen Spruch gelacht. Aber jetzt ist Gegenwart. Farbe, Kaffee und Kippen.

Ob sie schon mal drüben war, im Gefängnis, wo ehemalige Häftlinge den Besuchern erzählen, was sie damals erlebt haben? Ja, sagt Dumet. Sechs Monate ist sie jetzt im Atelier, letzte Woche hat sie es zum ersten Mal geschafft. Und, wie war es? Sie überlegt. "Es muss ein sonniger Tag sein. Und es muss dir gut gehen."

Open Studio bei Johanna Dumet, 11. bis 15. September, 14 - 18 Uhr, Freienwalder Straße 17, Alt-Hohenschönhausen 

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