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Bleibt Paris die Vitrine für internationale Kultur? Eine Figur mit Schutzmaske in den Jardins du Trocadéro.

© Ludovic Marin/AFP

Zwischen Glanz und Elend: Wie die Coronakrise Frankreichs Kulturszene trifft

Präsident Macron nahm die Lage von Künstlern am Anfang der Krise überhaupt nicht ernst. Frankreichs Kulturszene kämpft weiterhin um ihre Existenz.

Als Robert De Niro, Madonna, Cate Blanchett und zweihundert weitere internationale Stars den von Juliette Binoche und dem französischen Astrophysiker Aurélien Barrau initiierten Aufruf „Nein zu einer Rückkehr zur Normalität“ unterzeichneten, durfte sich die französische Kulturszene ihrer globalen Leitbildfunktion in Zukunftsfragen sicher sein. Das Ende des Corona-Lockdowns müsse in eine neue, ökologisch verträgliche Gesellschaft münden, forderten die Künstler.

Als dann aber Präsident Emmanuel Macron am selben Tag in seiner Stellungnahme zur Rolle der Kultur in Coronazeiten äußerte, die arbeitslosen Künstler könnten sich in Kinderferienlagern nützlich machen, war das ganze Spektrum von Glanz und Elend der getroffenen französischen Kultur umrissen.

Liegt ihre künftige Rolle im Entwerfen neuer Denkmodelle oder in der Sozialarbeit am Rand eines alternativlosen Zivilisationsmodells?

Das Festival in Avignon fällt aus, auch Cannes ist gestrichen, große Museen bleiben zu; Theater und Kinos werden auf absehbare Zeit geschlossen bleiben, zahllose Kultureinrichtungen sind existenziell bedroht.

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Dass die darstellenden Künste in den Überlegungen der französischen Politik keine Rolle mehr zu spielen schienen, hat die Szene vor allem Premier Edouard Philippe übel genommen. Der hatte in seinem Communiqué zum Plan der Lockerungen aus dem strengen Corona-Regime Ende April die Kultur einfach vergessen.

Ein von Prominenten unterzeichneter offener Brief der Kulturszene war die Antwort. Im Zentrum stand die Forderung, das Anrecht auf Arbeitslosengeld des Kulturprekariats ins nächste Jahr hinein zu verlängern.

Viele der über 300 000 Kulturzeitarbeiter, die „Intermittents“, stemmen unter anderem all die Sommerfestivals, die nun ausfallen. Normalerweise würden ihre künftigen Ansprüche auf das befristete Arbeitslosengeld verfallen.

New Deal für die Kultur

Der Forderung nach einer Corona-Sonderregelung ist Macron gerecht geworden: Die Ausfallzeiten sollen die Künstler und Techniker nicht in den Ruin treiben. Wenige Tage vor der gewohnt improvisierten und gestenreichen Programmrede des Präsidenten hatte der Altmeister der französischen Szene und Kulturminister unter François Mitterrand, Jack Lang, einen New Deal angemahnt.

Roosevelts nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 unter diesem Namen aufgelegte Wirtschaftshilfe enthielt auch ein umfassendes Künstlerförderungsprogramm. Der Präsident hat sich den Gedanken zu eigen gemacht: „Wir wollen klotzen bei einem Programm öffentlicher Aufträge vor allem für Künstler unter 30 Jahren; in der bildenden Kunst, in Theater und Tanz und Literatur.“

In etwas wirren Satzfetzen schwärmt Macron von der Rolle der Künstlerinnen und Künstler bei der Neuerfindung der Gesellschaft und ruft zur Revolution in der schulischen Kunsterziehung auf. Das Wort „Imagination“ benutzt er immer wieder. In sozialen Medien wurde moniert, Macron habe vermeintlich neue Ideen formuliert, die längst Teil der alltäglichen Praxis in Kultureinrichtungen seien.

Wie aber können die Kulturproduzenten mit den coronabedingten Milliardenverlusten umgehen? Ein Fonds soll Entschädigung für Frankreichs Filmindustrie bereithalten, die ihre Projekte derzeit nicht realisieren kann, während geplante Filmstarts im Coronastau stecken.

Ab dem 1. Juni sollen für abgebrochene Dreharbeiten 50 Millionen Euro bereitstehen. Die Verleiher hoffen auf eine Kinoöffnung im Juli. Kunstgalerien konnten ab dem Tag des „Déconfinement“, dem 11. Mai, öffnen. Sie gelten als Verkaufsräume; es ist also kurioserweise ihre Käuflichkeit, die die Kunstwerke für der Öffentlichkeit wieder zugänglich macht.

Auch öffentliche Sammlungen sollen folgen, kleine Museen den Anfang machen. Das Institut Giacometti öffnete am 15. Mai, das Musée Jacquemart-André in einem Stadtpalais am Boulevard Haussemann will am 2. Juni folgen.

Das Musée des Beaux-Arts de la Ville de Paris im Petit Palais will bis zum 16. Juni die strengen Auflagen erfüllen. Das Picasso-Museum in Antibes wird nur wenig mehr als 200 Zuschauern den Zutritt erlauben, das Museum Unterlinden in Colmar mit Matthias Grünewalds berühmten Isenheimer Altar wird auf seiner gesamten Fläche nur 100 Besucher zulassen.

Es liegt in Frankreichs besonders von Covid-19 gezeichnetem Nordosten. Fast alle Museen planen, das Publikum über Terminvergaben zu steuern, und bereiten ihre Räume mit Klebebändern und neuer Wegeplanung auf die Abstandsregeln vor.

Die von der Coronakrise existenziell bedrohten Ausstellungsmacher fordern von der französischen Kulturpolitik die Schaffung eines Centre National de l'Exposition. Das wäre eine staatliche Dachorganisation nach dem Vorbild des Centre National du Cinema, das in Frankreich alle Bereiche der Filmproduktion von der Drehbuch- bis zur Kinoförderung mit staatlichen Förderprogrammen begleitet.

Google mischt mit

Während die großen Museen von den Öffnungen noch ausgenommen sind, beginnt man sich dort über die Kollateralschäden des von Covid-19 beschleunigten Wechsels im Medienverhalten Sorgen zu machen.

Um sich in der Generation der Digital Natives Aufmerksamkeit zu sichern, haben viele der großen französischen Sammlungen mit „Google Arts and Culture“ an Digitalisierungsprojekten des Bestandes gearbeitet und erleben in diesen Wochen einen explosionsartigen Anstieg der Zugriffe auf ihren visuellen Content.

Auch wenn sie ihre Rechte nicht abgetreten haben, droht die kalifornische Datenkrake zum physischen Welt-Bilderspeicher des digitalen Zeitalters zu werden. Ebenso wenig wie Paris Musée, ein Zusammenschluss von 14 städtischen Museen, hat das Musée du Louvre Googles Dienste in Anspruch genommen und arbeitet an einem eigenen Digitalisierungsprojekt. Aber auch so haben sich die Zugriffe auf den Louvre-Server fast verzehnfacht.

Misstrauen gegenüber Digitalisierung

Auch in Frankreich steht eine breite Debatte über die Digitalität der Kultur noch aus, die vor allem für die darstellende Kunst zur Existenzfrage werden kann. Aber immerhin ist, anders als in Deutschland, wo sich die Bühnen willfährig dem Diktat digitaler Präsenzpflicht unterwarfen, das französische Streaminggeschehen eher widerwillig und beiläufig.

Man bereitet sich auf eine abgespeckte neue Spielzeit vor, die gegebenenfalls auf die Mitwirkung ausländischer Theatertruppen verzichtet. Das ist vor allem für die Metropole Paris ein Schock, denn sie versteht sich als europäische Vitrine für die internationale Kultur. Leicht könnten all jene Rückenwind bekommen, die ohnehin für eine Entglobalisierung der französischen Kultur plädieren, für nationalere und lokalere Angebote.

Kampf um Systemrelevanz

Der Pariser Opernchef Stéphane Lissner sagte in „Le Monde“: „Die Krise ist wenigstens für etwas gut: Sie hat die Situation des öffentlichen Dienstes ganz klar gemacht. Im Gesundheitssektor ist sie offensichtlich dramatisch, aber auch, weniger direkt sichtbar, nicht weniger desaströs in der Kultur.“

Es wird aber auch wieder eine trotzige Statistik ins Spiel gebracht: Die Kultur schaffe mit ihren 1,3 Millionen Beschäftigten siebenmal mehr direktes Bruttosozialprodukt als die französische Autoindustrie, behauptet eine Studie von Wirtschafts- und Kulturministerium.

Aber die stammt aus dem Jahr 2014, als François Hollande mit seinem linken Kabinett glaubte, dem Neoliberalismus die Stirn bieten zu können. Systemrelevanz ist eben auch in Coronazeiten kein unverrückbares Kriterium. Frankreichs Kultur will sie für sich in Anspruch nehmen.

Eberhard Spreng

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