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Schreibtischtäter. Ein Dienstzimmer der Nebenstelle Montabaur des Arbeitsamtes Niederlahnstein, um 1940.

© SEAD-BA/Topographie des Terrors

Zwangsarbeiter in Nazi-Deutschland: Tödliche Bürokratie

Die Ausstellung „Das Reichsarbeitsministerium 1933 – 1945“ in Berlin zeigt, wie bereitwillig sich Beamte in den Dienst Hitlers gestellt haben.

Ein Arbeiter, in heroischer Untersicht fotografiert, trägt einen großen Baustein auf der Schulter. „Europa arbeitet in Deutschland“, lautet die Schlagzeile dazu, etwas kleiner gedruckt formuliert sich Siegesgewissheit: „Sauckel mobilisiert die Leistungsreserven“. „Europa siegt“, verkünden gigantische Buchstaben über einer mit Hakenkreuzflagge geschmückten Bühne, auf der Fritz Sauckel, „Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz“, 1943 eine Rede bei einem Kongress der „Deutschen Arbeitsfront“ hält.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die deutsche Wehrmacht halb Europa unterworfen, aber für die Unterworfenen sah die Wirklichkeit anders aus als in der Propaganda. In der Topographie des Terrors hängen gleich daneben Aufnahmen, die bei einer Razzia zur Rekrutierung von Zwangsarbeitern in Weißrussland entstanden. Militärfahrzeuge sind auf einem Fabrik- oder Lagergelände vorgefahren, Soldaten mit Stahlhelm und umgehängten Gewehren kontrollieren die Ausweise von Frauen und Männern. Angst liegt auf den Gesichtern der Zivilisten.

Europa arbeitete tatsächlich in Deutschland. Allerdings nicht unbedingt auf eigenen Wunsch. Wegen der Einberufungen zur Wehrmacht war die deutsche Kriegswirtschaft dringend auf neue Arbeitskräfte angewiesen. In den besetzten Gebieten hatte der Krieg zu hoher Arbeitslosigkeit geführt, deshalb meldeten sich zunächst viele Frauen und Männer freiwillig. Das änderte sich, als bekannt wurde, wie miserabel die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Deutschland waren. Es folgten immer drastischere Zwangsmaßnahmen. Knapp acht Millionen Zwangsarbeiter kamen während des Kriegs ins Deutsche Reich. Das waren über zwanzig Prozent aller Beschäftigten.

Die Ausstellung „Das Reichsarbeitsministerium 1933 –1945“ in der Topographie des Terrors zeigt mit bestürzender Materialfülle, wie bereitwillig sich eine Bürokratie in den Dienst des Nationalsozialismus gestellt hat. Hervorgegangen ist sie aus der Arbeit einer Historikerkommission, die seit 2013 die Geschichte des Ministeriums erforscht. Lange hatte das Arbeitsministerium als unbedeutende, eher schwache Behörde gegolten. Dieses Bild, so die Kuratorin Swantje Greve, ist durch die Forschungen widerlegt worden. Nicht nur für Aufrüstung und Kriegsführung, sondern auch für die „Schaffung einer rassistischen NS-Volksgemeinschaft“ sei das Arbeitsministerium von großer Bedeutung gewesen. Wer nicht zu diesem Kollektiv zählte, wurde zunehmend entrechtet. Dazu gehörte die Verfolgung von als „arbeitsscheu“ stigmatisierten Menschen. Jüdische Versicherte wurden beim Bezug von Rentenleistungen schikaniert, man verweigerte ihnen etwa Kuren in Lungenheilstätten. 1940 stellte das Ministerium die Rentenzahlung an deportierte Juden ein.

Die Behörde, 1918 gegründet, war bereits in der Weimarer Republik zum Superministerium geworden, zuständig für Arbeitsvermittlung, Arbeitsrecht, Sozialversicherung, Wohnungsbau und Kriegsopferfürsorge. Kein anderes Ressort verfügte über einen größeren Etat, keines über mehr Personal. An der Spitze des Ministeriums stand von 1933 bis 45 Franz Seldte, der zwar nicht mit Kenntnissen der Arbeits- und Sozialpolitik aufgefallen war, aber als Gründer des paramilitärischen Stahlhelm-Bundes fest auf der Seite der Antidemokraten gestanden hatte. Der studierte Chemiker verlor im Laufe seiner Amtszeit Kompetenzen an Konkurrenten wie Robert Ley, den Chef der „Deutschen Arbeitsfront“, einer Zwangsvereinigung von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Seldtes Rücktritt lehnte Hitler mehrfach ab.

Viele Mitarbeiter hatten der SPD oder der Zentrums-Partei nahegestanden, dienten aber, so der Sprecher der Historikerkommission Alexander Nützenadel, loyal den neuen Machthabern. Jüdische Beamte wie der Abteilungsleiter Oscar Weigert oder die ehemalige Direktorin der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung Dorothea Hirschfeld verloren ihre Posten. Hirschfeld überlebte das Konzentrationslager Theresienstadt. Sauckel, ab 1942 oberster Zwangsarbeit-Organisator und einer von Seldtes Gegenspielern, wurden zwei Hauptabteilungen des Ministeriums unterstellt. Überall in Europa rekrutierten Mitarbeiter der Arbeitsämter Zwangsarbeiter, allein in der Sowjetunion arbeiteten knapp tausend, im sogenannten Generalgouvernement, den besetzten polnischen Gebieten, mehr als 500.

Flucht zu den Partisanen

Eines der sechs Kapitel der Ausstellung zeigt in einem Fallbeispiel, wie sie in der Ukraine vorgingen. Gleich nach dem Einmarsch wurde der Arbeitszwang und eine Arbeitspflicht für die übrige Bevölkerung eingeführt. Nur wer bei den Arbeitsämtern gemeldet war, bekam Lebensmittelkarten. Als die Werbekommissionen ab Herbst 1942 Arbeitseinsatzstäbe genannt wurden, spiegelte sich darin semantisch die Verschärfung der Situation. Selbst Kinder und Jugendliche wurden nach Deutschland verschleppt.

Manche Ukrainer flohen vor der Rekrutierung und schlossen sich den Partisanen an. „Die Tätigkeit der ,Werbekommissionen’ ist heute eigentlich nur noch die einer zivilen Musterungskommission, die beauftragt ist, unter allen Umständen ihr Soll zu stellen“, urteilte Cajetan Graf von Spreti, der eine Kommission leitete. Der SA-Mann aus Freising beteiligte sich an „Antipartisanenaktionen“. Für seine Verbrechen in der Ukraine ist er nie belangt worden. Ein wandgroßes Bild zeigt Zwangsarbeiterinnen, die unter dem Schild „Kiew-Hbf“ auf den Abtransport warten. Ein deutscher Soldat weist ihnen den Weg zu den Viehwaggons. Die Szene erinnert beklemmend an die Deportationen in die Vernichtungslager. „Der 350 000. ukrainische Arbeiter fährt nach Deutschland“, verkündete ein Plakat, als ginge es in die Sommerfrische.

Bürokratie ist kompliziert und sperrig, ein Thema, das sich nicht leicht so ausstellen lässt, dass es Neugier weckt und Augenlust befriedigt. Ein Organigramm, prominent am Beginn der Schau platziert, zeigt den Aufbau des Reichsarbeitsministeriums und seiner nachgeordneten Behörden in acht verschachtelten Säulen wie ein Tafelbild aus dem Mathematikunterricht. Die Eckigkeit passt zur Architektur des Reichsarbeitsministeriums, das ab 1934 in einem modernen Stahlbetonbau untergebracht war, der heute Sitz des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit an der Berliner Stresemannstraße ist.

Anschaulich wird die Ausstellung in den Biografien von Tätern, Mitläufern und Opfern, die auf Stelen zusammengefasst sind. Während Fritz Sauckel im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde und Franz Seldte 1947 in der Haft starb, konnten viele, teilweise auch hochrangige Protagonisten nach 1945 ihre Karrieren fortsetzen. Joseph Schneider, der im „Protektorat Böhmen und Mähren“ die Verfolgung von Juden vorangetrieben hatte, fungierte ab 1954 als erster Präsident des Bundessozialgerichts. Aber es gab auch Formen von Opposition. Oskar Karstedt setzte sich für jüdische Kollegen ein, Ludwig Münz landete wegen Kontakten zum Widerstand in der Haft. An ihr Beispiel zu erinnern, ist ein Verdienst der Ausstellung.

Topographie des Terrors, bis 8. Oktober. Täglich 10–20 Uhr. Der Katalog kostet 16 €

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