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Trutziges romanisches Bauwerk: der Dom St. Peter in Worms am Rhein.

© imago images/epd

Zurück zu den WURZELN (1): Worms am Rhein

Verreisen ist schwierig. Und zu Hause sind alle Covid-Ecken ausgeleuchtet. Wir gehen an den Anfang zurück – an die Orte, wo die Autorinnen und Autoren unserer Sommerserie geboren wurden: Urlaub in Deutschland, Urlaub in der Kindheit und Jugend.

Die Schule lag am Fluss und hieß nur Altsprachliches Gymnasium. Was schon recht merkwürdig ist, denn sonst hat man in dieser Stadt jeden Winkel nach Kriemhild oder Brunhild oder Siegfried benannt, den Gestalten des Nibelungen-Mythos, der sich mir bis heute mit den von Artur Brauner produzierten Filmen aus den Sechzigerjahren eingeprägt hat. 

Schöne Frauen, die sehr wütend werden konnten, Männer wie Kraftpakete, finstere Ränkeschmiede und am Ende das große Gemetzel am Hof von Etzel. Der einzige anständige Kerl in der mittelalterlichen Entourage war Markgraf Rüdiger. 

Ich wäre lieber ein Schurke gewesen, aber dann muss man Hagen heißen, und das ist auch nicht leicht. Tarnkappe, Zauberschwert, Drachenblut helfen am Ende wenig. Noch eine Nibelungen-Lektion.

Reformation und Nibelungensage

Von der anderen Rheinseite kommend, aus dem Odenwald, fährt man über die Nibelungenbrücke durch den gewaltigen Torturm. Biegt man vor der alten Schule rechts ab, zum Rheinufer, steht der eiserne Tronjer da auf seinem Podest und versenkt seit Menschengedenken den Nibelungenschatz. 

Als Kind habe ich das Hagen-Denkmal sehr gemocht, aber auch ein wenig gefürchtet. Besser zum Klettern eignete sich das Luther–Denkmal in der Innenstadt, 1868 errichtet. 

Die Reformation ist eine andere Geschichte als die Nibelungensage, allerdings nicht weniger kriegerisch in ihren Konsequenzen. Beim Reichstag zu Worms anno 1521 soll sich Martin Luther geweigert haben, seine Kirchenpolitik zu widerrufen: Hier stehe ich usw.

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Worms steckt voller Geschichte, die rheinhessische Stadt von heute 80.000 Einwohnern erstickt geradezu unter der historischen Last. Zu meiner Zeit in den frühen Siebzigern sprach man von der „Niebelungen-Stadt“. 

Auch mit Wormatia Worms, dem Fußballverein, ging es nicht gut, sie spielten eine Zeit lang in der Zweiten Bundesliga, heute in der Regionalliga Südwest, viertklassig. Wir wohnten damals beim Wormatia-Stadion. Mein Held hieß Harald Braner, ein Mittelfeldspieler, er konnte Ecken direkt reinschießen. Nachher hatte er eine Toto- und Lotto-Annahmestelle.

Worms hat sich sehr verändert. Es ist sich seiner Geschichte bewusst geworden und wirbt auch damit. Das Stadtmarketing muss sich nichts ausdenken, es ist ja einiges schon immer vorhanden gewesen. 

Hagen versenkt den Nibelungenschatz im Rhein. Bronzeplastik von Johannes Hirt (1905) in Worms am Rheinufer. 
Hagen versenkt den Nibelungenschatz im Rhein. Bronzeplastik von Johannes Hirt (1905) in Worms am Rheinufer. 

© imago images/Manngold

Nur blieb es irgendwie verdeckt oder am Rand: der älteste jüdische Friedhof Europas aus dem 11. Jahrhundert, die Synagoge und das kleine jüdische Museum, 1982 eingeweiht. Als Kind wunderte ich mich auf dem Friedhof über die schiefen und verwitterten Grabsteine. Sie wirkten wie etwas Verbotenes.

2001 kam das Nibelungenmuseum in der alten Stadtmaueranlage dazu, 2002 wurden die Nibelungenfestspiele auf dem Domplatz wiederbelebt, mit einer lockeren Neufassung von Moritz Rinke. Es war auch meine Rückkehr in die Geburtsstadt, ein seltsames Gefühl. 

Die Häuser, die Straßen schienen geschrumpft, nur die Denkmäler hatten noch ihre alte Größe. Der Dom St. Peter übertraf sogar noch meine Erinnerungen: ein dunkles, trutziges romanisches Bauwerk, nicht unelegant. Im wahren Sinne überragend. Eine Art Gegenstück ist die Liebfrauenkirche, Gotik mit Weingärten am Rhein.

Mit dem Wein verhält es sich wie mit dem Geschichtsbewusstsein der gesamten Gegend. Jüngere Menschen haben mit frischen Ideen die Tradition zurückgeholt. Wer die Nibelungenstadt besucht, fährt auf die Wormser Weindörfer und in die Pfalz zur Weinstraße. Mit einem kalten Grauburgunder wird es immer gut.

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