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Fürstliche Bleibe: Im Palazzo Vendramin am Canal Grande starb Wagner 1883. Fotochromaufnahme um 1890. Foto: akg-images

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Zum Wagner-Jahr 2013: Klingsor und der Gondoliere

Wie Venedig Wagners Schaffen prägte – und die Lagunenstadt sich an ihren berühmten Gast erinnert.

„Auf der Fahrt den großen Canal entlang zur Piazzetta melancholischer Eindruck und ernste Stimmung: Größe, Schönheit und Verfall dicht nebeneinander.“ Richard Wagner sieht zum ersten Mal Venedig am diesem Nachmittag des 29. August 1858. Er ist wieder einmal auf der Flucht. Das komfortable Asyl bei den Wesendoncks in Zürich mit Mathilde, dem Objekt seiner Wunschträume, ist verloren, seine Ehe mit Minna liegt in Scherben. Den „Tristan“ im Gepäck, folgt Wagner einer lang genährten Italiensehnsucht. Er mietet sich im gotischen Palazzo Giustiniani ein, umgeben von abgelebtem Mobiliar auf prächtigen Mosaikböden, mit Blick auf den Canal Grande.

Dort führt er Tagebuch für Mathilde und hält Zwiesprache mit seinen todessüchtigen Liebenden, mit Tristan und Isolde. „Hier sollt ihr ausbluten, hier sollen die Wunden heilen und sich schließen.“ Der seit den 1848er-Unruhen per Haftbefehl gesuchte ehemalige Dresdner Hofkapellmeister steht in Venedig unter Beobachtung seitens der österreichischen Polizei, speist am liebsten am Markusplatz und hört von den dortigen Kapellen auch den Marsch aus seinem „Rienzi“. Selbstbewusst schreibt er an Mathilde: „Sie werden einmal einen Traum hören, den ich dort zum Klingen gebracht habe!“

Nach einer desillusionierenden Wiederbegegnung mit Mathilde Wesendonck in Venedig fasst Wagner den Entschluss, „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Angriff zu nehmen – vom Tristan zum väterlich-entsagenden Hans Sachs. Später folgen Arbeiten am „Parsifal“. In den Kanälen der Lagune spiegelt sich auch Wagners lebenslanges Ringen zwischen Lustüberhöhung und Triebfeindlichkeit. Neapel erscheint ihm als ein permanenter Rausch. Er liebt die Stadt, doch er verlässt sie für Venedig, wo alles zum Traum werde. „Der Hauptreiz für mich besteht darin, dass mir alles doch immer so fremd bleibt, als ob ich eben nur im Theater wäre; ich hüte mich vor jeder Bekanntschaft und bleibe daher immer in der Stimmung“, schreibt Richard.

Dass sich der Kreis seines Lebens am Canal Grande schließt, ist kein Zufall. Wagner weiß, dass seine Zeit knapp wird. Nicht nur das Bayreuther „Scheiß- Wetter“ ist ihm zuwider. Fälschlicherweise oft als urdeutscher Komponist angesehen, hält er es unter den Deutschen immer weniger aus. Am 14. September 1882 bricht der Komponist mit Familie und Gefolge auf, um seine letzte Wohnstatt in dieser Welt zu beziehen. Entgegen seiner bisherigen Haltung, nur im Piano nobile logieren zu können, wird das Mezzanin im Quergebäude des Palazzo Vendramin Calergi angemietet. Das gewaltige Gebäude der Frührenaissance beeindruckt Wagner, seine modernisierte Heizungsanlage bemerkt er sogleich, und der Garten mit seinen exotischen Gewächsen regt die Fantasie des Schöpfers von Klingsors Zaubergarten an.

Ein letztes Mal verliebt Wagner sich, in ein Blumenmädchen aus seinem Festspielensemble. Für Carrie Pringle lässt er sich von seinen eigenen Anhängern auszischen, wenn er, unerkannt, nach dem Auftritt der Blumenmädchen Bravos in die heiligen Hallen ruft. Die Zischer hingegen glauben, den Willen des Meisters zu schützen, der keine Beifallsbekundungen in seinem „Parsifal“ dulden wollte. Bayreuth bewegt sich auch zu Beginn des Festspielwesens zielgerade in Richtung Kultstätte. Ein lebender Wagner stört dabei zunehmend, er spürt es.

In seiner fürstlichen Bleibe, der ersten, die er seiner als würdig erachtet, bilden fünf Zimmer den Kern von Wagners Privatwohnung. Vom Lieblingsgondoliere Luigi lässt er sich zum Markusplatz fahren und taucht immer weiter in die eigene Vergangenheit ein. Die Welt um ihn herum versinkt, die Kunstwerke in den Kirchen der Serenissima fesseln seinen Geist nicht mehr. Aus den Tiefen birgt er seine Jugendsinfonie, das Werk eines Neunzehnjährigen, das er als Geburtstagsgeschenk für Cosima unter großen Mühen mit Studenten des Konservatoriums einstudiert.

Am Abend des 24. Dezember erhebt er im eigens angemieteten Teatro La Fenice zum letzten Mal den Taktstock, vor kaum mehr als einem Dutzend geladener Gäste. Abschließend bittet er Liszt, den Schwiegervater, ans Klavier. „All mein Weibsen geht jetzt an mir vorüber“: Träume, die Lektüre der „Undine“ und sein Aufsatz „Über das Weibliche im Menschlichen“ – bis zuletzt widmet Wagner sich, auf einer gewaltigen Ottomane lagernd, der Inszenierung des Erotischen. In der Nacht vor seinem Tod spielt er das Klagemotiv der Rheintöchter am Klavier – Wassermusik, die der Götter spottet. Mit Cosima kommt es am nächsten Morgen über den geplanten Besuch des Blumenmädchens Carrie in Venedig zu heftigem Streit. Es ist der letzte. Wagner kann seinem Aufsatz noch das Wortpaar „Liebe – Tragik“ hinzufügen, dann sinkt seine Feder. Am Nachmittag des 13. Februar 1883 hört sein Herz auf zu schlagen.

2040 Cannaregio: Unter dieser Adresse findet man heute nicht nur den Wintersitz des städtischen Casinos, sondern auch die Associazione Richard Wagner di Venezia. 1992 an seinem Sterbetag gegründet, hat sie dafür gesorgt, dass Wagners letzte Gemächer heute nach Anmeldung offen für Besucher sind. 150 Gruppen hat die Associazione in diesem Jahr durch das Sterbezimmer und die angrenzenden Räume geleitet, in denen nach und nach das venezianische Wagner-Museum wächst.

Das Casino läuft nicht allzu gut, hört man. Vielleicht profitiert Wagner, der sein Leben lang gerne verschwendet hat, jetzt davon. Nach Haus Wahnfried beherbergt Venedig auch dank der Stiftung von Josef Lienhart die größte private Wagner-Sammlung der Welt. Memorabilienbeschau zum „Meistersinger“-Vorspiel: das Nibelungenorchester mit Hans Richter in einer Lithografie von 1876. Ein Bildnis Wagners, das dieser nicht signiert hat, mit dem Hinweis „Viel zu schön, kann deswegen nicht unterzeichnen“. Die Wagner-Kollektion des Fenice, der der verheerende Brand von 1996 im Palazzo Vendramin nichts anhaben konnte.

Die von der Gesangspädagogin Alessandra Althoff-Pugliese geleitete Associazione schultert auch im Jubiläumsjahr die Hauptlast des Wagner-Gedenkens in Venedig. La Fenice hat sich in dieser Saison bereits mit „Tristano e Isotta“ verausgabt, immerhin unter dem beseelten Dirigat von Myung-Whun Chung, und schweigt 2013 zu Wagner. Die Komponisten-Freunde hingegen richten ein Symposium über Wagner, Verdi und Meyerbeer aus und widmen sich der zuletzt in Bayreuth so sehr vermissten „Vocalitá Wagneriane“ – auch im ehemaligen Esszimmer der Wagners, das zum Konzertsaal umgestaltet wurde. Im Sterbezimmer soll die Wandbespannung erneuert werden und wieder in alter Pracht schimmern, mit wassergrüner Atlasseide.

Wagner wäre zufrieden, auch mit der Ausstellung, die im Palazzo Fortuny seinem Einfluss auf die bildenden Künste in Italien nachgeht (bis 8. April). Neben dem großen Wagner-Zyklus von Mariano Fortuny werden Werke von italienischen Künstlern gezeigt, die sich von Wagners Wirken inspirieren ließen. Einen Blick bis in die Gegenwart der Wagner-Erregung gewähren wiederum Exponate von Antoni Tapies, Bill Viola und Anselm Kiefer. Und immer wieder: Venedig selbst.

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