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Seamus Heaney im Jahr 1995.

© AFP

Zum Tod von Seamus Heaney: Lied von der Erde

Der bedeutendste Dichter Irlands, wenn nicht der gesamten angelsächsischen Welt ist tot: Seamus Heaney, der 1995 den Literatur-Nobelpreis erhielt, war populär, aber nie einfach. Vieles, was ihm vor seiner Dubliner Haustür und den Wiesen und Feldern der Umgebung begegnete, wurde ihm zur Inspiration.

Von Gregor Dotzauer

Incertus – der Unsichere – war das Pseudonym, unter dem er als Student der Belfaster Queen's University seine ersten Gedichte schrieb. Wenn daraus ein Meister wurde, der sich seiner eigenen Stimme gewiss sein konnte, so verlor er doch nie seinen Sinn für das Vorläufige, sich ständig Umwälzende im Geschiebe und Gedränge der Dinge.

Seamus Heaney, am 13. April 1939 im nordirischen Castledawson in der Grafschaft Derry als ältestes von neun Bauernkindern geboren, war als Lyriker mindestens so sehr ein Mann des Auges wie des Ohres - oder vielmehr einer Wortprüfungskunst, die an den Lauten und ihren Verbindungen schmeckte, bis die Nähe dessen, was er ins Visier nahm, mit der Ferne, aus der er seine Funde zuweilen holte, zusammenpasste. Je älter er wurde, umso mehr bezog er sein Material auch aus den Speichern der Erinnerung: einer Form von Präsenz, auf die sich das innere Empfinden noch verlassen kann, wenn etwas im Äußeren längst dahin ist.

Heaney, zuletzt der bedeutendste Dichter seines Landes, wenn nicht der gesamten angelsächsischen Welt, arbeitete immer mit dem Gegebenen, dem Vorzufindenden, dem, was sich angesammelt hatte. Das war sein oft gerühmter sense of place, ein Land- und Lokalitätssinn, mit dem er das Erbe des zweiten großen Iren, William Butler Yeats, antrat, und die Eleganz von Philip Larkin mit den Naturbildern von Ted Hughes verband. Der transzendente Schimmer, der vielen seiner Gedichte eignet, liegt dabei ganz in der konkreten Gestalt dessen, was ihm vor seiner Dubliner Haustür und den Wiesen und Feldern der Umgebung begegnete. Das Titelgedicht seines Bandes „Die Hagebuttenlaterne“ formuliert das so: „Die winterharte Frucht erglüht zur Unzeit, / Apfel des Dorns, ein kleines Licht für kleine Leute, / das nur von ihnen will, dass sie den Docht / der Selbstachtung am Leben halten, / und es nicht nötig hat, mit Glanz zu blenden.“

Der Glanz seiner eigenen Dichtung ging von einer vergleichbaren Nüchternheit aus, und wenn er dabei manchmal auf religiöse Motive zurückgriff, bedeutete das nur, dass er, der vom Glauben früh abgefallene Katholik, auch auf diesem Gebiet damit haushaltete, was ihm die Tradition zur Verfügung stellte. „Claritas. Das Wort, lateinisch nüchtern“, heißt es im Titelgedicht seines Bandes „Seeing Things“, „Passt tadellos auf den behauenen Stein des Wassers, / Das Jesus bis ans unbenetzte Knie reicht, / Während der Täufer ihm weiteres Wasser / Über den Kopf gießt: All das im hellen Sonnenlicht / An der Fassade einer Kathedrale. Linien, / Hart und dünn und wellig, stehen für / Des Flusses Fließen. Unten, zwischen diesen Linien, / Sind komische Fischlein zugang. Weiter nichts, / Und doch ist bei all dieser Sichtbarkeit / Der Stein ganz voll von dem, was nicht zu sehen ist: / Wassermyrte, flüchtigem Sandgestöber“.

Erhabenes und Rustikales, das Kommen und Gehen der Jahreszeiten zwischen Moorspaziergängen, Torfstecherei, Kartoffelernte, Regengeruch und Kuhpisse: Dies waren die Elemente, mit denen er von Anfang an hantierte. Schon mit dem Titel seines ersten Bandes „Death of a Naturalist“ (1966) aber deutete er an, dass er sich nicht mit dem Einsammeln von Naturphänomenen zufrieden geben wollte. Wo der Spaten seiner Sprache knirschend die irische Ackerkrume trifft, wie er es in „Digging“ programmatisch festhielt, da gräbt vor allem ein Bewusstsein nach sich selbst.

Seamus Heaney war populär, aber nie einfach. Absolute Gegenwart und mythische Vergangenheit, bis tief in die griechische Sagenwelt hinein, umschlossen einander und wurden mit irischer Geschichte überblendet. Das Idyllische, das in seinem lyrischen Werk wohnt, das der vor zwei Jahren erschienene Band „Die Amsel von Glanmore“ (Fischer Taschenbuch) in zwei Sprachen weiträumig versammelt, wird von einem Bewusstsein der Gefährdung getragen, die er als Nordire gar nicht ignorieren konnte – und der er sich in einigen explizit politischen Gedichten auch nicht verschließen wollte.

Am Freitag ist der Lyriker, Dramatiker, Essayist, Literaturprofessor und Neuübersetzer des „Beowulf“, der vor zwei Jahren einen schweren Schlaganfall erlitten hatte, gestorben. Seamus Heaney, vielfach geehrt und 1995 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, wurde 74 Jahre alt.

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