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Robert Suckale.

© Markus Hilbich

Zum Tod von Robert Suckale: Einer der letzten Universalgelehrten seines Fachs

Kunstgeschichte ohne Kontext gab es für ihn nicht. Der Berliner Kunsthistoriker forschte ebenso zu Mittelalter wie Moderne.

Er war der einer der letzten Universalgelehrten seines Faches, der Kunsthistoriker Robert Suckale, ein weitsichtiger Entdecker und Kämpfer; „schwere ostpreußische Kavallerie“, wie der aus Königsberg Gebürtige, ab und zu hintersinnig bemerkte. Fast jedes seiner Bücher war ein „fighting book“, ein kämpferischer Beitrag, um der Kunstgeschichte eine neue Blickrichtung zu geben. Er hatte eine stupende Kenntnis der Monumente, verbunden mit scharfer Analyse, einer Mischung aus Kennerschaft und kulturgeschichtlicher Kontextualisierung über die Epochen vom Mittelalter bis in die Moderne. Dabei lagen ihm zwei Dinge besonders am Herzen, die Überwindung einer enggeführten nationalen Kunstgeschichtsschreibung und die Öffnung nach Osteuropa, die Einbeziehung der Kunst Polens, Ungarns, der baltischen Staaten sowie besonders Tschechiens und der Slowakei in den Kanon. Dafür schuf er Austauschplattformen, lange bevor die Mauer fiel.

Nach dem Studium in Berlin, Bonn, Paris und München wurde er bei Wolfgang Braunfels mit einer Arbeit zu französischen Madonnenskulpturen des 13. Jahrhunderts promoviert, die bereits den transnationalen, europäischen Rahmen seiner Forschungen absteckte. Seine dortige Assistentenzeit schloss er mit einer Habilitationsschrift zu den Mettener Handschriften des frühen 15. Jahrhunderts ab, womit die Buchmalerei als ein weiteres zentrales Forschungsfeld eröffnet wurde. 1980 erfolgte der Ruf an das Institut für Kunstgeschichte der Universität Bamberg. In dem „goldenen Jahrzehnt“ bis zu seiner Berufung an die TU Berlin entwickelte sich Bamberg zum Zentrum einer neuen „ikonologischen“ Kunstgeschichte, die Produktions-, Transfer- und Herrschaftsbedingungen von Kunst und Architektur in den Mittelpunkt stellte. Dieses innovative, damals als „links“ gebrandmarkte Vorgehen, flankiert durch eine begnadete Lehre, zog eine große Schar von Schülerinnen und Schülern an. Es brachte zudem eines seiner Hauptwerke, „Die Gotische Architektur in Frankreich“, 1985 zusammen mit Dieter Kimpel hervor. Es war eine Re-Lektüre der Gotik unter Berücksichtigung des politischen und ökonomischen Umfelds sowie der religiösen und bautechnischen Umbrüche der Zeit des 12. und 13. Jahrhunderts. Es sollte die Bibel einer ganzen Generation werden und gab in Übersetzung (1992) auch wesentliche Impulse an die französische Forschung. 

Deutschland war immer schon Immigration- und Transferland

Im raueren Klima der Berliner Umbruchsjahre nach der Wende intensivierten sich seine engagierten Stellungnahmen zu denkmalpflegerischen, hochschulpolitischen und methodologischen Fragen. Sein zweites Hauptwerk „Die Kunst in Deutschland“ entwickelt 1998 eine bezwingende Gesamtschau der Kunst Mitteleuropas „von Karl dem Großen bis heute“, eine kritische Gesamterzählung, die deutlich machte, dass Deutschland auch kulturell schon immer ein Immigrations- und Transferland mit engsten Beziehungen zu den heutigen Nachbarländern gewesen ist.

1996 gelang ihm zusammen mit Wolfgang Wolters und dem Bamberger Institut mit Manfred Schuller und Achim Hubel die Einrichtung des Graduierten-Kollegs „Kunstgeschichte – Bauforschung – Denkmalpflege“, das in seiner langen Laufzeit bis 2005 die architekturgeschichtliche Forschung und Berufsausbildung auf eine neue Grundlage stellte. Seine fruchtbare Hochschullehrertätigkeit wurde durch seine Parkinson-Erkrankung zunehmend erschwert, so dass er sich 2004 frühpensionieren ließ. Doch er hatte noch viel vor: Durch eisernen Willen, unter stoischer Verachtung des widrigen Körpers entstanden seit der Jahrtausendwende noch über 100 Publikationen. Das wäre ohne die Mitarbeit und zunehmende Unterstützung seiner Frau, der Kunsthistorikerin Gude Suckale-Redlefsen nicht möglich gewesen. Sie war seine „Sparringspartnerin“ und konstruktive Kritikerin seit Münchner Tagen und hat ihn buchstäblich durch die letzten Jahre getragen.

Bildwissenschaftliches Philosophieren kritisierte er scharf

Neue Themen entwickelten sich, so die Rolle der Frauenklöster und damit die Geschlechterfrage bei Auftrageberinnen und Künstlern/Künstlerinnen des Mittelalters. Wahrnehmung und Medialität der Kunstwerke spielten für Suckale sowohl bei der Entstehung als auch in der Rezeption eine große Rolle. International beachtet, konnte er unter anderem als Gastprofessor in Harvard und Princeton lehren. Mit seinem Monumentalwerk „Die Erneuerung der Malkunst vor Dürer“ (2009) eröffnete er einen neuen Blick auf die vernetzte Kunstproduktion des reichen Nürnbergs vor 1500 und stellte unser Bild von scharfen Epochengrenzen zwischen Mittelalter und früher Neuzeit in Frage, wie auch seine letzten Ausstellungskataloge zur Buchmalerei um 1500. Suckale forderte stets analytische Präzision und „Kärnerarbeit“ an den Kunstwerken. Modische Tendenzen, die das Objekt zugunsten bildwissenschaftlichen Philosophierens überflüssig machte, kritisierte er scharf. Kunstgeschichte war für Suckale ohne die Werke und Netzwerke, schon gar nicht ohne die politischen und theologischen Rahmenbedingungen zu denken. Seine Forschungen zum europäischen Mittelalter werden grundlegend bleiben. Robert Suckale verstarb am 15. Februar im Alter von 76 Jahren in Berlin. Seine für Ende März vorgesehen Beerdigung wird aufgrund der Corona-Vorkehrungen auf den Sommer verschoben.

Bernd Nicolai ist Professor für Architekturgeschichte und Denkmalpflege am Kunsthistorischen Institut der Universität Bern

Bernd Nicolai

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