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Zeit seines Lebens ein Pionier. Der Musiker Holger Czukay

© imago/Future Image

Zum Tod von Holger Czukay: Du darfst nicht zu viel denken

Er wollte Musik noch einmal ganz neu erfinden. Ein Nachruf auf Holger Czukay, den Mitbegründer und Bassisten der legendären Band Can.

Als Holger Czukay sich 1963 bei Karlheinz Stockhausen für einen Studienplatz an der Kölner Musikhochschule bewarb, klagte er: „Herr Stockhausen, ich kann gar nichts!“ Als der Professor fragte, was er denn werden wolle, antwortete Czukay: „Komponist“. Der Kandidat wurde angenommen. Czukay studierte drei Jahre beim Mitbegründer der Neuen Musik und lernte, „dass man als kreativer Mensch immer irgendwann gegen eine Wand läuft. Und dass man diese Wand überspringen kann“. Bloß wie? Stockhausen ermahnte ihn: „Czukay, Sie denken zu viel.“ Das war eine Lektion, an die Czukay sich fortan halten sollte: „Man muss weniger denken.“

Holger Czukay, der 1938 als Holger Schüring in Danzig zur Welt gekommen war, hat sich zeitlebens als Dilettant verstanden. Als er 1968 zusammen mit dem Keyboarder Irmin Schmidt, der ebenfalls bei Stockhausen studierte hatte, die Band Can gründete, übernahm er den Bass, obwohl er, wie er später in Interviews beteuerte, das Instrument gar nicht spielen konnte. Die Musik der Band, der sich bald der Schlagzeuger Jaki Liebezeit, der Gitarrist Michael Karoli und der Sänger Malcolm Mooney anschlossen, hatte mit dem bis dahin gekannten Pop nicht viel gemeinsam. Die Songs entstanden als „Spontankompositionen“ bei stundenlangen Jam Sessions, Elemente von Free Jazz, Progrock, Elektronik und Motorik-Beats verschmolzen zu einem Sound, dem begeisterte britische Musikjournalisten das Etikett „Krautrock“ verpassten.

Er experimentierte als einer der ersten Musiker mit Samplen

„Wir waren studierte Leute“, hat Czukay erzählt. „Aber alles, was wir gelernt hatten, wollten wir vergessen.“ Es ging um den Versuch, die Musik noch einmal von einem Nullpunkt aus neu zu erfinden. Die Vorbilder kamen nicht aus dem Pop, es waren E-Musik-Größen wie John Cage und Edgar Varèse. Als die Band 1971 ein eigenes Tonstudio in einem ehemaligen Kino in Weilerswist bei Köln bezog, wurde Czukay zum Toningenieur.

Mit den dort aufgenommenen Alben wie „Ege Bamyasi“ und „Future Days“ stiegen Can zur einflussreichsten deutschen Musikformation neben Kraftwerk auf. Damon Albarn zählt genauso zu ihren Fans wie Kanye West oder Johnny Rotten. Nur in Deutschland hat man ihre experimentell vor sich hinfließende Musik lange nicht verstanden. Erfolgreich waren hier bloß die Soundtracks, die Can für „Tatort“-Folgen, Durbridge-Krimis oder Kinofilme wie „Deadlock“ lieferten. „Spoon“, Erkennungsmelodie des Thrillers „Das Messer“, schaffte es bis auf den sechsten Platz der deutschen Single-Charts.

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„Wir wollten spontan sein und frei sein, auch frei von Ideen“, beschrieb Czukay die Arbeitsweise der Band. „So, dass sich die Musik in alle Richtungen entwickeln könnte.“ Als der Bassist 1977 ausstieg, hatten Can ihre besten Zeiten hinter sich. Neun Alben hatte er mit der Band aufgenommen, doch in Erinnerung blieb ihm vor allem die Energie ihrer mitunter endlosen Konzerte.

„Manchmal spielten wir nicht mehr die Musik, sondern die Musik spielte uns.“ Ein Pionier ist Czukay auch nach seiner Zeit bei Can geblieben. 1979 veröffentlichte er sein Soloalbum „Movies“, auf dem er als einer der ersten Musiker mit Samples experimentierte. Dafür hatte er nächtelang Kurzwellensender gehört und arabische Gesänge oder italienische Opernarien mitgeschnitten. Es folgten Kollaborationen mit David Sylvian, Jah Wobble und The Edge von U2. Am Dienstag ist Holger Czukay tot in seinem Musikstudio gefunden worden. Er wurde 79 Jahre alt.

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