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Der Kabarettist Dieter Hildebrandt ist am 19. November 2013 im Alter von 86 Jahren gestorben.

© imago

Zum Tod von Dieter Hildebrandt: Der große Wutwandler

Demokratie funktioniert nicht ohne gesunden Menschenverstand. Dafür trat Dieter Hildebrandt ein und lehrte als Kabarettist die Deutschen, über ihre Schwächen zu lachen. Ein Nachruf von seinem Kollegen Frank Lüdecke.

Das politische Kabarett ist tot. Das wissen wir ja. Wenn Sie heute eine Theaterkritik lesen und das Stück wird schlecht besprochen, dann war es allenfalls „Kabarett“. Das sagt einem, wie es um die Theaterkritik bestellt ist, aber mehr noch drückt es das Elend des Kabaretts aus, mit etwas anderem als sich selbst verglichen zu werden.

Das Kabarett war aber schon immer tot. Eigentlich ist es schon tot geboren worden. Für Dieter Hildebrandt war es schon seit Aristophanes tot, also seit 2000 Jahren. Er, Hildebrandt, zog daraus die Konsequenz, es erst recht nicht aufzugeben.

Kabarett und Hildebrandt sind Synonyme

Als ich als Amateur in den 70er Jahren anfing, Kabarett zu machen, sagten viele: Kabarett? Ach so – wie Hildebrandt! Für viele Zuschauer waren das Synonyme: „Kabarett“ und „Hildebrandt“. Und eigentlich gilt das bis heute.

Das liegt natürlich an ihm selbst, an Hildebrandt, was zu erklären der schwierigste Teil ist. Also fangen wir mit dem leichteren und damit an, dass Dieter Hildebrandt zu einer Zeit mit Kabarett im Fernsehen erschien, als es nur drei Sender gab. Die Einschaltquoten waren exorbitant und „Schimpf vor 12“ am Silvesterabend eine öffentlich-rechtliche Pflichtveranstaltung der alten Bundesrepublik. Hildebrandts „Scheibenwischer“ avancierte zur am längsten laufenden Sendung der ARD.

Denn Dieter Hildebrandt war ein Überzeugungstäter. Er konnte sich über Dinge aufregen und diese Wut in einen überraschenden Witz transformieren. Er konnte einen geschriebenen Text so spielen, als sei er ihm gerade eingefallen. Oder er spielte einen Text, der ihm tatsächlich gerade erst eingefallen war. Das war nicht immer genau voneinander zu unterschieden. Denn da war sein unverwechselbares Markenzeichen, die Pausen nach den Halbsätzen. Oft wurden die Sätze nicht zu Ende geführt und das Satzende musste sich im Bewusstsein des Zuschauers bilden. Das war dann ein Akt der Aufklärung. Ein geistiger Appell an den mündigen Bürger, an den Hildebrandt nicht aufhörte zu glauben.

Angriffslust und Glaubwürdigkeit

Was er inhaltlich auf der Bühne tat, war manch einem zu „links“ und manch anderem zu wenig „links“, zu sehr „systemerhaltend“. Für die einen zu nah dran an der SPD und für die anderen zu weit weg. Aber Hildebrandt war immer glaubwürdig. Man nahm ihm seine Wut ab, aber auch seinen Spaß, querzuschießen, sich anzulegen. Ob nun mit Politikern oder irgendwelchen Figuren aus der Fernsehverantwortlichkeit. Die Idee ist natürlich abstrus, aber wenn er gewollt hätte, die Mehrheit der Deutschen hätte ihn sich als Bundespräsidenten gewünscht. Da bin ich mir sicher. Ob sie ihn dann auch ertragen hätte, ist natürlich eine andere Frage.

Hildebrandt wusste als Spross der Diktatur, dass es nicht selbstverständlich ist, in einer Demokratie zu leben. Kabarettist ist er geworden, um für diese Staatsform zu kämpfen, die für ihn ein fragiles Gebilde, immer wieder bedroht war, nicht zuletzt durch die Politiker. „Die Hoffnung sinkt“, schrieb er in seinem autobiografischen Buch „Denkzettel“, „es könnten ein paar Parteinasen wittern, dass Demokratie ohne Leidenschaft, Glanz und Rhetorik, ohne den Einsatz von Witz und Polemik zur Umverpackung ohne Inhalt wird.“ Hildebrandt war, wie viele aus seiner Generation, ein Skeptiker und Pessimist. Seine Botschaft war, dass nicht die Politiker, sondern die Bürger der Souverän sind, deshalb rief er: „Wir bezahlen eure Gagen, eure Dienstwagen, Dienstwohnungen, Staatsreisen, Festbankette – und alle eure Bodyguards!“

Der Textkenner

Hildebrandt besaß ein untrügliches Gespür für die Qualität eines Textes. Seine Textversiertheit hing wahrscheinlich auch damit zusammen, dass er schon sehr früh auf absolute Koryphäen des Kabaretts gestoßen war. Hildebrandt war Anfang der 50er Jahre Platzanweiser der „Kleinen Freiheit“ in München. Dort lernte er Erich Kästner kennen, Martin Morlock, Robert Neumann und Werner Finck. Kein schlechter Umgang für einen jungen Kabarettisten, der zuvor, ein Kind beinahe noch, als Flakhelfer zum letzten Aufgebot Hitlers gehört hatte und bei der Schlacht um Berlin in der Heeresgruppe Wenck beinahe verheizt worden wäre. Beherzt war er in die Elbe gesprungen und ans westliche Ufer geschwommen. Er wollte, wenn schon, in britische Gefangenschaft geraten.

Später gründete er sein eigenes Kabarett „Die Namenlosen“ und nach deren Auflösung zusammen mit Sammy Drechsel die „Lach- und Schießgesellschaft“. Drechsel, der ja noch fußballverrückter als Hildebrandt gewesen sein soll (und dazu gehörte einiges!) und der wohl immer tunlichst darauf geachtet hat, dass die Tourtermine der Münchner Lach- und Schießgesellschaft nicht mit wichtigen Fußballspielen kollidierten. Teilweise wurden die Programmpausen verlängert, weil es irgendein Elfmeterschießen gab.

Lach- und Schießgesellschaft

Während der Kanzlerschaft Willy Brandts gab es erbitterte Diskussionen über die Funktionsweise von Kabarett, was es bewirken kann und ob es überhaupt eine gesellschaftliche Berechtigung habe. Im Zuge dieser Diskussionen lösten sich einige Kabaretts auf, darunter auch die Lach- und Schießgesellschaft.

Nach deren Auflösung spielte Hildebrandt dann viele Jahre Duo-Programme mit Werner Schneyder. Legendär ihr Auftritt 1985 in der DDR auf Einladung der Leipziger Pfeffermühle. Dieses Gastspiel hat Hildebrandt als ein absolutes „Highlight“ seiner Karriere eingeschätzt. Denn die beiden waren schon Stars, als sie im Osten auf ein Publikum trafen, das jede Anspielung sofort verstand. Das in Pausen hineinlachte, weil es die quasi schon als Zensurbalken verstand. Viel näher als in dieser aufgeladenen Situation konnte man dem, was Hildebrandt ausmachte, nicht kommen.

"Scheibenwischer" und "Kir Royal"

Ohne Zweifel, er hat Zeitgeschichte begleitet und dadurch TV-Geschichte geschrieben. Nicht nur mit den „Notizen aus der Provinz“, die er zusammen mit Volker Kühn konzipierte. Über Helmut Kohl spottete er im „Scheibenwischer“: „Wo er eine Kamera wittert, da optimistelt er hinein.“ Ronald Reagan hielt er für einen gefährlichen Quereinsteiger: „Der Mann wollte immer John Wayne werden. Das hat er nicht geschafft. Aber als er zum Präsidenten gewählt wurde, da hat überall auf der Welt das Porzellan gezittert.“ Als 1986 in Tschernobyl ein Kernkraftwerk explodierte, zog Hildebrandt eine Verbindungslinie zum Kalten Krieg: „Vier Jahrzehnte lang hat man gesagt: Die Russen kommen. Jetzt sind sie da. Aber sie werden anders gemessen. Nicht nach Panzern, sondern nach Becquerel.“ Der Bayerische Rundfunk klinkte sich aus der Live-Übertragung aus dieser Tschernobyl-Sendung aus, so gefährlich konnte Hildebrandts Kabarett sein.

Und als 1989 die Mauer zu wanken begann, rief er in seiner Sendung: „Mir ist immer wieder empfohlen worden: Gehen Sie doch rüber! Aber wie denn, bei dem Gegenverkehr?!“

Und dann war er auch noch der Fotograf Herbie in Helmut Dietls „Kir Royal“, ein schnaufender Zuträger des großen Klatschreporters Baby Schimmerlos. Eine blasse Figur. Ein Schwächling, den er umso liebevoller darstellte, als dass er ja um die Bequemlichkeit der Menschen wusste. Gerade das machte ihn zu einem moralischen Anker.

Ein uneitler Mensch

Fast 25 Jahre leitete er den „Scheibenwischer“ mit einer unvergleichlichen Mischung aus Kollegialität und Professionalität. Ich habe selbst als Gast eine Situation miterleben dürfen, die mich schwer beeindruckt hat. Die Beiträge der Live-Sendung waren offensichtlich zu kurz geraten, so dass der zuständige Redakteur Hildebrandt und seinen Partner Bruno Jonas mit dem Hinweis auf die Bühne schickte: „Zwei Minuten! Wir brauchen noch zwei Minuten!“ Beide traten vor die Kameras, live!, und spielten einen Text, den es nicht gab! Ich kann nicht sagen, worum es da im Einzelnen ging, aber die Szene war witzig, spontan, erhielt Applaus und war exakt nach zwei Minuten zu Ende.

Heimat im Rucksack

Hildebrandt war Schlesier, Jahrgang 1927, aufgewachsen in Bunzlau, und trug seine Heimat, wie er selber sagte, sein Leben lang mit sich herum. Aber kabarettistisch ausgenutzt hat er sie natürlich auch. Als vor einigen Jahren Vorwürfe laut wurden, er sei in die NSDAP eingetreten, wies er dies vehement zurück. Das müsse ohne sein Wissen geschehen sein. Und eine Unterschrift seinerseits, die seine – wenn auch jugendliche – Einwilligung belegt hätte, ist ja nie gefunden worden. Geheimnisse hatte er nicht. Dass er Alkoholiker war, hat er jedenfalls nicht verschwiegen. Zumal, als er dem Trinken abschwor und vom Epikureer zum „Spielverderber“ wurde, wie er selbst sagte.

Vor allem aber war Hildebrandt in seinem Auftreten ein freundlicher und uneitler Mensch. Er stellte keinerlei Anforderungen. Und er war damit auch eine Pein für manche Kollegen, die auf ihren Tourneen mitunter das fehlende Licht, die schäbige Garderobe monierten. Und zu hören bekamen: „Aber Hildebrandt hat hier auch schon gespielt.“

Er war überall präsent

Es gibt kein Kabaretttheater, keinen Gasthof mit Bühne, keine Kulturscheune, Kunstmühle oder alternativen Jugendklub in dem er nicht aufgetreten wäre. Und zwar weder in den alten noch in den neuen Bundesländern. Das war auch in seinen letzten Auftritten so, die oft als „Lesungen“ angekündigt waren und die natürlich in spontanen Kabarettaufführungen mündeten. Hildebrandt spielte den einen Tag vor 1000 Zuschauern und den nächsten vor 99. Er war stets ausverkauft und „ausgebucht“, so wie der Titel einer seiner Bücher lautet.

Es soll eine lange Liste existieren, auf der Dieter Hildebrandt verfügt hat, welche Musik auf seiner Beerdigung definitiv nicht gespielt werden soll. Dazu gehört wohl „My Way“.

Das kann man verstehen.

Und es wäre wohl in seinem Sinne, wenn es fröhlich zuginge.

Daher ist dieser Text völlig daneben. Lieber Dieter, sieh mir das nach. Sie haben mir nur vier Stunden gegeben.

Der Autor war Mitglied des Düsseldorfer Kom(m)ödchens und leitete von 2006 bis 2008 die Distel. Am Sonntag drucken wir Auszüge aus dem Briefwechsel von Dieter Hildebrandt und Peter Ensikat, der als Buch im Aufbau-Verlag erschienen ist: „Wie haben wir gelacht. Ansichten zweier Clowns“.

Frank Lüdecke

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