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Malen, übermalen, neu malen. Bernhard Heisig in seinem Atelier in Strohdehne im Havellandkreis.

© dapd

Zum Tod von Bernhard Heisig: Die Wut des Ikarus

Er ist der deutsche Künstler des 20. Jahrhunderts, unabhängig von Ost und West und Nazi und Stasi und Nachwende-Bitterkeit - oder eben gerade nicht unabhängig. Geschichte kann niemals abgeschlossen sein: Zum Tod des großen deutschen Malers Bernhard Heisig.

Berlin klirrt vor Kälte und Eis, im Winter 2010. Das Gelände rund um den Reichstag ist abgesperrt, Sicherheitsgründe, Anschlaggefahr. Wer es bis in den Kunst- Raum des Deutschen Bundestags am Spreeufer schafft, über Eisplanken und durch Sicherheitsschranken, trifft auf Eingeweihte. Keiner ist zufällig hier. Es gilt, Bernhard Heisig zu ehren. Im März 2010 ist er 85 Jahre alt geworden, die Ausstellung war ein besonderer Wunsch von Bundestagspräsident Norbert Lammert, der auch die Eröffnungsrede hält, mitten hinein in Sirenentöne, die die Abgeordneten zur Abstimmung über das Afghanistan-Mandat rufen. Und dann ist er da, der Künstler, im Rollstuhl, der mühsam durch den Raum bugsiert wird, alt ist er geworden, zerbrechlich, schmal. Aber hellwach ist er, vergnügt.

Die kleine Ausstellung in Berlin wurde eine seiner letzten. Und sie ist ein würdiger Abschied. Ein Rückblick auf das große Lebenspanorama, das Bernhard Heisig immer wieder neu begonnen hat und das gleichzeitig ein Deutschlandpanorama war, mit allen Brüchen und Schrunden. Der „Ikarus“ ist hier im Kunst-Raum zu sehen, das seit 1999 nicht mehr gezeigte Großformat, das Heisig 1976 für den Palast der Republik malte und das ihn endgültig als Staatskünstler (dis-)qualifizierte. Und die Vorzeichnungen dazu, die das Ringen um die Parabel von Höhenflug und Absturz dokumentieren.

Es sind die Begleitarbeiten, die Vorzeichnungen und Repliken, die Skizzen und Lithografien, die Heisigs Malprozess charakterisieren. Das beständige Kreisen um das gleiche Thema. Auch Fotografien von Bernd Kunert belegen es anhand des Entstehungsprozesses des Friesbildes „Zeit und Leben“, das für die Kantine des Deutschen Bundestags entstand und zu einem der großen Kunstdispute der Nachwendezeit führte. Heisig hat es gemalt und übermalt und neu gemalt, ein beständiges Auslöschen und Neuansetzen und Korrigieren, wie er es immer tat. Legendär ist sein Kampf um das fünfteilige Geschichtspanorama „Gestern und in unserer Zeit“, gemalt 1974 für den Neubau der SED-Bezirksleitung in Leipzig, 2002 wiederaufgetaucht und von Heilig übermalt, zumindest in Teilen, dann fordert die Berliner Nationalgalerie das Bild zurück. Heisig malt daraufhin eine zweite, kleinere Version. Das letzte Wort ist nie gefunden. Für Kuratoren, für Sammler, für Museumsleute ist das ein Albtraum. Für einen Künstler hingegen die einzig mögliche Sicht auf eine Welt, die sich als so widersprüchlich erwiesen hat.

Bernhard Heisig ist der deutsche Künstler des 20. Jahrhunderts, unabhängig von Ost und West und Nazi und Nachwende-Bitterkeit. Oder eben gerade nicht unabhängig, sondern im Gegenteil sehr abhängig von allen diesen deutschen Irrwegen, in seiner Kunst wie in seinem Leben. Auch wenn er sich selbst nie als „Historienmaler“ bezeichnen wollte, greifen seine Bilder immer wieder zurück auf die preußische Historie mit Friedrich II., in dem Heisig sich spiegelt, auf die 1848er-Revolution, den Zweiten Weltkrieg und den Kampf um die „Festung Breslau“, seine Heimatstadt. Es sind Geschichtsbilder, wie man sie heute selten sieht: Bilder, die Geschichte lebendig halten, weil sie für den Künstler bis heute lebendig geblieben ist als Stachel im Fleisch.

Otto Dix, Max Beckmann, Oskar Kokoschka sind Heisigs Vorbilder, Maler von Grausamkeit, Folter und Krieg, Zeugen einer zerfallenden Welt. Der Furor, mit dem da einer immer wieder das zeigt, was schmerzt, die nicht enden wollende Beschäftigung mit Schuld und Krieg machen Heisigs Werk so manisch wie monolithisch. Wut ist sein Arbeitsantrieb, hat er immer wieder bekannt, Wut auf die Bilder, die nie gelingen, aber auch auf die Täter, die Lügen, auf Feigheit und Missgunst, durchaus auch die eigene. „Man tat seine Pflicht. Keiner schuldiger als der Nachbar. Keiner feiger als der Nachbar“, heißt es in dem Bild „Pflichttäter“ von 2001. Er war ja selbst beteiligt, als 17-jähriger freiwilliger Waffen-SS-Soldat, der für Panzer schwärmt und weg wollte von der besorgten Mutter und endlich ein Mann sein. Dass der ihn rekrutierende SS-Mann nur noch einen Arm hatte und ihn siezte, hat ihn beeindruckt, erzählte Heisig gern. Und machte aus seiner Verführbarkeit keinen Hehl, Lemming-Verhalten hat er es genannt. So jemandem Opportunismus, Anpassung, Staatskünstlertum vorzuwerfen, wie es in den erregten ersten Nachwendejahren wiederholt geschah, heißt, den in Heisigs beständigen Übermalungen bildgewordenen Selbstzweifel zu ignorieren.

Bernhard Heisig hat Karriere gemacht in der DDR, keine Frage, eine Karriere mit Umwegen, aber auch mit Zugeständnissen und Kompromissen. 1947 schon tritt er in die SED ein. Gradlinig ist sein Weg gleichwohl nicht gewesen, eher impulsiv, temperamentgetrieben. Nach frühen Lehrjahren beim Vater, dem Maler Walter Heisig, an den Kunstgewerbeschulen in Breslau und Leipzig brach er das Studium 1951 ab, um 1954 doch an die Uni zurückzukehren, zunächst als Assistent, dann ab 1961 als Professor und Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Es folgt ein beständiges Hin und Her von Aufstieg, Relegation von der Hochschule wegen „politischer Unzuverlässigkeit“, Rückkehr, Kündigung, erneuter Rückkehr und erneuter Wahl zum Rektor. Heisig war wichtig, Heisig war mächtig, preisgekrönt, gefeiert, mit Aufträgen bedacht, an ihm kam keiner vorbei.

Gemeinsam mit Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke und Willi Sitte verkörpert er die erste Leipziger Schule, die bis heute weiterwirkt in der so erfolgreichen zweiten Leipziger Schule, in Künstlern wie dem Heisig-Schüler Neo Rauch. Auch wenn Heisig eigentlich nie zu einer Schule gehören wollte, zu eigen seine Position, zu streitbar sein Charakter. Heisigs Humanismus, sein scharfer und doch mitfühlender Menschenblick zeigen sich am ehesten in den verletzlichen Porträts von seiner Mutter, die er immer wieder malt, vor dem Bild des brennenden Breslau, bis sie sich auflöst in Alter und Vergessen. Aber auch in Auftragswerken wie dem des Musik lauschenden Dirigenten Václav Neumann, des Chirurgen Dr. Mättig, des Gewandhausdirektors Kurt Masur. Selbst das Auftragsbild von Helmut Schmidt für die Kanzler-Galerie ist das schlechteste nicht. Auch sich selbst hat Bernhard Heisig gemalt: den Puppenspieler, den Clown, den Schalk. Ein Shakespeare’scher Narr, im Gespräch mit den Geistern der Geschichte.

1977 ist die „Viererbande“ dann auf der Documenta vertreten: Mattheuer, Tübke, Sitte und Heisig, das sind die Exportkünstler der DDR. Feinde hat er sich damit genug gemacht, im Osten wie im Westen. Nach der Wende zieht Heisig die Konsequenz: Rückgabe aller Nationalpreise gleich im Oktober 1989. 1992 dann der Rückzug nach Strodehne, ins havelländische Künstlerdorf, wo die Störche übers Haus schweben und seine Frau, die Künstlerin Gudrun Brüne, malt. Auch Heisigs Sohn Johannes ist Maler. Landschaftsbilder entstehen fortan in Strodehne, leuchtender Himmel, Mohn, Kornfelder, Lithografien zu Goethe und Fontane, aber immer wieder auch Friedrich II. und das Ikarus-Motiv, sein Lebensthema. Der Flugpionier Otto Lilienthal war 1896 unweit von Strodehne in Stölln bei einem Flugversuch abgestürzt. Am Freitag ist Bernhard Heisig hier mit 86 Jahren gestorben.

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