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Hal Willner produzierte Alben von Allen Ginsberg, Marianne Faithful und Lou Reed.

© K. Winter/Getty Images/AFP

Zum Tod des Produzenten Hal Willner: Der verschmitzte Witz des Pop-Alchemisten

Der Produzent Hal Willmer nahm die Grenzen von Pop und Avantgarde nie richtig ernst. Jetzt ist er mit 64 Jahren an einem Corona-Infekt gestorben.

Von Andreas Busche

Am Ende seiner Karriere ist Hal Willner noch einmal melancholisch geworden. In einem Porträt in der „New York Times“ von 2017 beklagte sich der amerikanische Musikproduzent über den Stellenwert der Kultur heutzutage. Er selbst habe sich nach der Ermordung von John Lennon zwei Tage in seiner Wohnung eingeschlossen. „Ich verstehe nicht mehr, was die Menschen noch inspiriert“, wunderte er sich. „Haben die letzten beiden Generationen überhaupt noch Idole?“

Es erscheint wie eine Ironie des Schicksals, dass Willner nicht mehr erleben kann, wie seine Mitmenschen die integrative Kraft der Kultur gerade wieder verstehen lernen; jetzt, wo wir auf uns selbst und unsere wenigen Quadratmeter zuhause zurückgeworfen sind. Hal Willner, in Philadelphia als Sohn eines Holocaust-Überlebenden geboren, starb am 6. April mit 64 Jahren nach einer Coronavirus-Infektion.

Willner produzierte die Musik für „Saturday Night Life“

Vielleicht hätte er diese Ironie zu schätzen gewusst. Humor begleitete Willner seit seiner Kindheit – ob er sich die Erinnerungen seines Vaters mit Cartoonfiguren ausmalte oder ab Mitte zwanzig für die Sketch-Show „Saturday Night Life“ die Musikeinlagen produzierte. Mit 18 kam er nach New York, weil sich dort in den Siebzigern alle trafen, die sonst nirgendwo reinpassten.

Er hing mit dem Comedian Andy Kaufman herum, nahm mit Allen Ginsberg und Debbie Harry auf, zog mit Marianne Faithfull um die Häuser und bettete ihre von Lebenserfahrung verwitterte Stimme auf dem Album „Strange Weather“ von 1987 in luxuriös-orchestrale Arrangements ein.

Auf Spritztour mit Federico Fellini

In ihm fanden die zwei einflussreichsten musikalischen Strömungen im Amerika des 20. Jahrhunderts zusammen, das sogenannte „Great American Songbook“ zwischen George Gershwin und Irving Berlin sowie die Popmusik der „Tin Pan Alley“. Willner war kein Klassizist, sondern Entdecker.

Seine bekannteste Aufnahme ist „Amarcord Nino Rota“ von 1980 – anfangs eine Schnapsidee, die zur Blaupause seiner Arbeit als Produzent wurde. Er versammelte eine Gruppe von Musikern, darunter Wynton Marsalis und Debbie Harry, und spielte mit ihnen Neuinterpretationen von Rotas Soundtracks für die Filme von Federico Fellini ein. Den Segen holte er sich vom Meister persönlich ab, Fellini lud ihn zur Spritztour durch sein „Roma“ ein.

Erfinder des Pop-Mash-up

Willners nächste Projekte waren nicht weniger idiosynkratisch. Mit Todd Rundgren und Dr. John nahm er Stücke von Thelonious Monk auf; für ein Album mit Songs aus Disney-Cartoons gewann er Sinead O’Connor und die Punkband The Replacements. Tribute-Konzerte wie das 1991 für den Folkmusiker Tim Buckley wurden sein Markenzeichen – je abwegiger die Zusammenstellung, desto besser. Man könnte Hal Willner auch den Erfinder des populären Remix-Formats „Mash-up“ nennen.

Für Willner war Musik ein Lebenselixier. Er nahm die willkürlichen Grenzen von Unterhaltungsmusik, Pop und Avantgarde nie ernst. Vor wenigen Tagen schickte er dem Countrymusiker John Prine auf Twitter Genesungswünsche, sein letzter Eintrag – auch Prine starb diese Woche. Sein eigenes Tribute-Konzert erhielt Willner schon 2018, organisiert von Laurie Anderson. Die Gästeliste war, wie Willners Karriere, eklektisch.

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