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Zu Blooms berühmtesten Arbeiten gehören „The Western Canon“ und „Einflussangst“.

© mauritius images/Alamy/Luc Novovitch

Update

Zum Tod des Literaturwissenschaftlers Harold Bloom: Mein Name sei Falstaff

Der Literaturwissenschaftler Harold Bloom war einer der großen Streiter eines westlichen Literaturkanon. Nun ist er im Alter von 89 Jahren gestorben.

Von Gregor Dotzauer

Einen wie ihn hatte die Welt noch nicht gesehen – und wird es auch nie wieder tun. Harold Bloom war der einzige wirkliche Literaturpapst inmitten von Möchtegern-Stellvertretern Gottes, Bischöfen und Aushilfsministranten, und er inszenierte sich mit entsprechendem Pomp. Er verkörperte eine romantische Kunstreligion, an deren Reinheit er gegen alle hermeneutischen Störenfriede bis zur Lächerlichkeit festhielt.

Stephen Greenblatt, der mit seinem New Historicism die geschichtlichen Entstehungsumstände von Literatur betonte, war ihm dabei ebenso ein Gräuel wie das identitätspolitische Milieu, das dabei war, die Macht an den amerikanischen Universitäten zu übernehmen. Mit Verachtung strafte er auch seine unter dem Einfluss von Jacques Derrida zusehends in Richtung Dekonstruktivismus abwandernden literaturwissenschaftlichen Kollegen an der Yale University, Geoffrey Hartman oder Paul de Man.

Harold Bloom, 1930 in eine Familie orthodoxer New Yorker Juden geboren, war seine Leidenschaft für das Englische nicht in die Wiege gelegt worden. In seinem Elternhaus wurde Jiddisch gesprochen, und bevor er mit sechs Jahren die Sprache seiner Umgebung in der Bronx erlernte, stürzte er sich auf das Hebräische. Für die Welt der amerikanischen Dichtung entflammte ihn die Poesie des Modernisten Hart Crane.

Danach gab es für ihn kein Halten mehr. Der junge Harold, von überragender Intelligenz und geradezu übermenschlicher Auffassungsgabe, konnte, wie er in Interviews glaubhaft versicherte, innerhalb weniger Stunden tausend Seiten verschlingen und sie in allen Details rekapitulieren. Bis ins hohe Alter konnte er eine Vielzahl von Gedichten auswendig vortragen.

Während seiner Studienjahre an der Cornell University in den späten 1940er Jahren war er Stammgast in Minton’s Playhouse, einem Eldorado des Bebop, wo er insbesondere den Jazzpianisten Bud Powell bewunderte: Er versuchte, Powell auch vom Genie des Craneschen Langgedichts „The Bridge“ zu überzeugen. Seine Leidenschaft für die Country-Folk-Töne von The Band mag eine späte guilty pleasure gewesen sein. Doch ihm vorzuwerfen, er habe sich in einem elitären Hochkulturverständnis eingerichtet, trifft nicht das Wesen seines Denkens. Bloom legte nur Wert darauf, die Grenze zur Populärkultur ebenso unnachgiebig zu ziehen wie die zwischen dichtenden Groß- und Kleinmeistern.

Eine Geschichte von Kämpfen

Harold Bloom vertrat eine an Freud und Nietzsche geschulte Deutung von Literaturgeschichte. Er las sie als Geschichte von Kämpfen, in denen Texte andere Texte überwinden und Dichter aus dem Schatten anderer Dichter heraustreten müssen, um originell zu sein. Das war die Lehre von der „Einflussangst“ (The Anxiety of Influence), dem Buch, mit dem er 1973 Furore machte.

Wenn man es nicht individualpsychologisch liest, haben seine Grundideen heute noch etwas für sich. Bloom verteidigte sein Plädoyer für die Imaginationskraft des großen und starken, alle Epigonen hinter sich lassenden Dichters mit Zähnen und Klauen. Er wollte sich die Autonomie von Werken von keiner außerästhetischen Lesart verderben lassen.

Schon 1994 warnte er in „The Western Canon“, einem späten Hauptwerk, das zum ersten Mal eine breite außerakademische Leserschaft erreichte, vor einer moralisierenden school of resentment, die sich mit gendertheoretischen und postkolonialen Ressentiments über Texte beugt.

Dabei entwickelter er mitunter auch gehörigen Witz. „Die Moralität der gegenwärtigen Lehrtätigkeit“, ätzte er, „besteht darin, jedermann zu ermutigen, schwierige Vergnügungen durch allgemein zugängliche Vergnügungen zu ersetzen, eben weil sie leichter zugänglich sind. Trotzki bat seine marxistischen Freunde, Dante zu lesen, aber an unseren heutigen Universitäten würde er auf wenig Gehör stoßen. Ich bin Ihr wahrer marxistischer Kritiker und folge eher Groucho als Karl, indem ich mir als Motto Grouchos große Ermahnung wähle: ,Was immer es ist, ich bin dagegen.’“

Shakespeare im Zentrum

Das Fundament des in seinem Grundbestand 26 Namen umfassenden westlichen Kanons bildete für ihn Shakespeare. Ja er selbst sah sich, eitel, angeberisch und genusssüchtig, wie er war, als Wahlverwandten von Sir John Falstaff. Der ominöse Mann aus Stratford-upon-Avon schrieb Bloom 1998 in „Shakespeare – Die Erfindung des Menschlichen“, sei der wahre Schöpfer des modernen Individuums.

Er sei – Gott. Was nur eine Metapher sein sollte, vergaß Bloom auf den restlichen tausend Seiten gleich wieder. Lest Shakespeare wie die Bibel, forderte er. Wer sie kennt, kann sich den Rest der Weltliteratur fast schenken. Denn wer erst bei Herman Melvilles „Moby Dick“ anfängt, hat das Beste schon verpasst.

Über Jahrzehnte konnte seiner monströsen Produktivität, die neben hochtheoretischen Sprödigkeiten und flotten Herausgebertexten auch viel Aufgusshaftes hervorbrachte, kein Studierender entgehen. Nun ist Harold Bloom mit 89 Jahren in einem Krankenhaus in New Haven, Connecticut, gestorben. Noch vergangene Woche soll er unterrichtet haben.

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