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Der US-amerikanische Komponist und Pianist Frederic Rzewski.

© imago/Hartenfelser

Zum Tod des Komponisten Frederic Rzewski: Radikal zärtlich

Sein bekanntestes Werk ist ein furioser Variationszyklus, Igor Levit hat für das fast unspielbare Stück unermüdlich geworben. Ein Nachruf auf den US-Komponisten und Pianisten Frederic Rzewski.

Bach, Beethoven, Rzewski. Rzewski wer? Als der Pianist Igor Levit 2015 sein Album mit Variationszyklen herausbrachte, kombinierte er zwei der anspruchsvollsten Klassiker des Genres, Bachs Goldberg- und Beethovens Diabelli-Variationen, mit einem weiteren Monsterwerk, das hierzulande eher unbekannt war.

„The People United Will Never Be Defeated“ von Frederic Rzewski basiert auf dem chilenischen Revolutionslied „¡El pueblo unido, jamás será vencido!“ von Sergio Ortego und spinnt es in 36 Variationen fort. Eine Stunde lang, an der Grenze der Unspielbarkeit, eine Herausforderung für jeden Pianisten

Rzewski vereint darin Protest und Avantgarde, Virtuosität und musikalischen Aufschrei, Märsche und Poesie. Er hebt an mit der schlichten, volksliedhaft tänzerischen Melodie und entfesselt die Töne, einschließlich Klavierdeckelschlägen und lauten Rufen des Pianisten. Ein Hymnus auf die Kraft der Gemeinschaft, auf ihre Anfeindungen, das Standhalten, die Vision einer besseren Welt. Das Visionäre dann eher geflüstert, hingetupft, als utopische Skizze - Rzewski war kein Illusionär.

Der US-amerikanische Komponist, der 1938 in Massachusetts geboren wurde, hatte in den Siebzigern in Italien gelebt und unter anderem bei Luigi Dallapicolla studiert, später lehrte er im belgischen Lüttich und an vielen Hochschulen, auch in Berlin. Den Variationszyklus zum Anti-Pinochet-Lied schrieb er nicht zufällig zum 200. Geburtstag der USA -  Pinochet hatte sich mit Hilfe der CIA an die Macht geputscht.

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Bei der New Yorker Uraufführung 1976 saß eine Freundin am Klavier, Ursula Oppens. Später setzte sich unter anderem der Pianist Marc-André Hamelin für das Werk ein, und neben Igor Levit zuletzt auch der Komponist selbst, als er sich 2019 beim Berliner MaerzMusik-Festival selbst an die Tasten setzte, mit 80 Jahren. So wurde „The People United…“ zum bekanntesten Werk des Tonkünstlers, der sich der Protestbewegung verbunden fühlte und Musik immer auch als Politikum verstand.

Wenn es die Posaunen von Jericho nicht schon in der Bibel gegeben hätte, Rzewski hätte sie wohl erfunden. Denn er spielte den Verhältnissen ihre eigene Melodie vor, indem er sie zertrümmerte und neu zusammensetzte. Ein Non-Konformist wird er gerne genannt: In „Coming Together“ wob er Gefängnisbrief-Texte des militanten Aktivisten Sam Melville ein – Melville war ein Jahr zuvor beim Attica-Gefängnisaufstand ums Leben gekommen. Rzewskis „Dreams“-Zyklus ist wiederum von Kurosawas gleichnamigem Episodenfilm inspiriert.

Ruhe in Frieden, twitterte sein Freund Igor Levit

Igor Levit spielte 2015 die Uraufführung von „Dreams II“, die beiden waren inzwischen befreundet. Auch dieses Stück lebt von Wut und Zärtlichkeit, und ein Lied von Woody Guthrie ist auch noch darin versteckt.

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Elekronik, Jazz, Rock, Improvisation, Neue Musik, Minimal Music, Serielles: Rzewski hatte keine Scheu, die Stile und Genres zu mischen, auch musikalisch sprengte er Grenzen. „Realität ist beides, rational und irrational“, hat er einmal gesagt, und dass auch die Schöpfung aus Chaos und Ordnung besteht. Die ihn kannten, rühmen sein Improvisationstalent – und seinen Humanismus.

„Rest in Peace, dear Frederic. Rest in Peace, dear friend. I am devastated”: Ruhe in Frieden, ich bin am Boden zerstört, twitterte Igor Levit am vergangenen Samstag, den 26. Juni. An diesem Tag ist sein Freund, der Komponist Frederic Rzewski, im italienischen Montiano gestorben, mit 83 Jahren. Es gibt noch viel zu entdecken in seinem Werk.

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