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Reinhard Rürup war der Mitbegründer des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin.

© picture-alliance / dpa

Zum Tod des Historikers Reinhard Rürup: Topograph des Terrors

Reinhard Rürup sah in der Erinnerungskultur einen Garant für die deutsche Demokratie. Nun ist der Historiker im Alter von 83 Jahren gestorben.

Er war ein Hochschullehrer mit gewinnenden Umgangsformen, von vollendeter Höflichkeit, fern dem Habitus so mancher Lehrstuhlinhaber oder Titularprofessoren, die sich durch hohes Selbstwertgefühl und ruppige Manieren gegenüber niedriger Statuierten in Szene setzen. Der Sozialdemokrat Rürup positionierte sich durch sein Werteverständnis – wissenschaftlich, politisch, menschlich –, aber auch durch akademisches Standesbewusstsein und, wenn notwendig, auch mit harter Kante gegenüber geschwätziger Eitelkeit und jener Unredlichkeit, die an Universitäten gedeiht und sich mit steilen Thesen, Plagiaten und anderen Formen geistigen Diebstahls, durch Servilität gegenüber medialer Öffentlichkeit und dem Publikumsgeschmack Ausdruck findet.

So fand man den Historiker Rürup selbstverständlich auf der Seite der Vernünftigen, als Daniel Jonah Goldhagen im Ornat des Charismatikers, der fachliche Kompetenz ersetzte, seine flachwurzelnden Behauptungen vom eliminatorischen Antisemitismus der Deutschen und deren spezifischer Disposition zum Judenmord predigte und ein verbreitetes Bedürfnis Spätbetroffener nach Scham und Zerknirschung bediente. Rürup brachte die Debatte des von simplen Thesen berauschten Publikums auf den Punkt: „Was an den Thesen des Buches richtig ist, ist nicht neu, und was neu ist, ist nicht richtig.“

Gründung des Zentrums für Antisemitismusforschung

Der gebürtige Westfale studierte ab 1954 Geschichte und Germanistik in Freiburg und Göttingen. Er beschäftigte sich auch mit Jurisprudenz und Theologie, promovierte 1962 bei Percy Ernst Schramm über „Johann Jakob Moser – Pietismus und Reform“ und war weder als Hilfsassistent in Göttingen noch als Oberassistent am Friedrich-Meinecke-Institut der FU auf eine Karriere als Hochschullehrer fixiert. Den Dienst am Gymnasium hätte er sich gut vorstellen können und jeder Höheren Schule hätte er zur Ehre gereicht. Mit der Habilitation 1970 war dann die Entscheidung gefallen.

Reinhard Rürup, 1975 zum Professor für Neuere Geschichte an die Technische Universität berufen, sah sich dort bewusst am richtigen Wirkungsort, solange die Gründungsphilosophie des Neustarts der TH Charlottenburg von 1946 galt. Nach den Diensten, die sie mit ihrer Fakultät für Wehrwissenschaften dem NS-Regime geleistet hatte, wollte die Hochschule als Volluniversität mit der Pflicht der Techniker und Naturwissenschaftler zum Studium Generale dauerhafte Konsequenzen aus der Regimenähe ab 1933 ziehen. Rürup hat der Geschichtswissenschaft an der TU Berlin zu internationalem Ruhm verholfen. Zu seinen Verdiensten gehört auch das Zentrum für Antisemitismusforschung, das als eigenständiges und einzigartiges Institut 1982 an der TU Berlin gegründet wurde. Konzeption und erfolgreicher Start sind vor allem das Werk Reinhard Rürups. Antisemitismus und deutschjüdische Geschichte waren ihm nicht nur als Forschungsgegenstände wichtig, er hat auch dafür Sorge getragen, dass die Themen im öffentlichen Raum präsent sind. Rürup blieb der TU treu, trotz anderer Angebote, die er ausschlug. Gastprofessuren u.a. in Berkeley und Harvard, Stanford und Jerusalem hat er aber gerne wahrgenommen. 1999 resignierte er und ließ sich emeritieren, als wegen der Sparzwänge durch die Preisgabe der Geisteswissenschaften auf Druck der Politik, die Technische Universität Berlin ihre Gründungsidee verworfen sah.

Die Stiftung „Topographie des Terrors“ ist sein Lebenswerk

Rürup hat nicht sehr viel publiziert. Seine Medien waren die akademische Lehre, Diskussionsforen, Gremien. Statt in Büchern hat er sich in bahnbrechenden Ausstellungen wie der von 1987, die die Topographie des Terrors begründete, verwirklicht und in Katalogen und Begleitbänden darüber Rechenschaft abgelegt. In Vorträgen verband er in Analyse und Synthese das Problemverständnis des Historikers mit dem politischen Impetus des demokratischen Bürgers. Der Publikation von Vortragstexten in Sammelbänden gegenüber war er allerdings skeptisch und manchen Herausgeber und Verleger hat er durch sein Zögern erzürnt, denn ein brillanter Vortrag war für Rürup nicht automatisch auch als Aufsatz tauglich und er hat den Druck entweder gleich verweigert oder durch endlose Qualitätskontrollen verhindert. Die Schriften Rürups zur Novemberrevolution 1918 und zum Räteproblem, zum Antisemitismus und zur Emanzipation der Juden, zum Verhalten deutscher Historiker gegenüber dem Nationalsozialismus haben Bestand. Zwei Festschriften wurden ihm gewidmet, sie bezeugen seinen Rang als akademischer Lehrer.

Das Monument zu seinem Gedächtnis ist längst errichtet. Die Stiftung „Topographie des Terrors“ würde es ohne Reinhard Rürup nicht geben. Als spiritus rector und wissenschaftlicher Direktor von 1989 bis 2004 setzte Rürup Maßstäbe des Erinnerns und Gedenkens. Am Ort der ehemaligen Gestapozentrale war, maßgeblich von ihm initiiert, eine der erfolgreichsten Einrichtungen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus entstanden. Der Täterort ist das älteste Element der Trias Jüdisches Museum, Denkmal für die ermordeten Juden Europas und Topographie des Terrors. Rürup beendete seine Tätigkeit an der Spitze der „Topo“ im März 2004 mit einem Paukenschlag. Aus Protest gegen das unfruchtbare Wirken eines Elite-Architekten und der Berliner Bauverwaltung, die in elfjährigem Stillstand resultierte, legte Rürup das Amt in dem Moment nieder, als eine kongeniale Bürokratie den Zuwendungsvertrag des Bundes kündigte, weil der Bau nicht voranging. Ein Interview im Deutschlandfunk begann mit den Worten, jetzt sei die Topographie des Terrors, so scheine es, von allen guten Geistern verlassen.

Beitrag zum Grundkonsens unserer Gesellschaft

Rürup, der sich auch bei dieser Gelegenheit als Rigorist zeigte, machte deutlich, dass es ihm um den weiteren Erfolg der Institution gehe, dass er ein Zeichen gegen Bürokratie und Stararchitektentum setzte, weil er hoffe, dass allen Beteiligten und der Öffentlichkeit klar werde, was auf dem Spiel stehe und er fügte hinzu, „sollte das nicht der Fall sein, dann wäre der Rücktritt unnütz gewesen“. Das Opfer war schmerzhaft, aber nicht umsonst. Die Topographie des Terrors ist als Ausstellungs- und Veranstaltungsort nicht nur für Berlin unverzichtbar. Auch dafür ist Rürup mit dem Großen Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnet worden. Bei aller Bescheidenheit war ihm diese Anerkennung seines Wirkens wichtig.

Zum 80. Geburtstag ist 2014 unter dem Titel „Der lange Schatten des Nationalsozialismus“ eine Anthologie mit Aufsätzen Rürups erschienen, als Summe und Querschnitt seines Schaffens. In einer „schnörkellos-verständlichen Sprache“ heißt es in einer Rezension, lautet das Vermächtnis Rürups, dass die Erinnerung an den Nationalsozialismus Garant der Stabilität der Demokratie sei. Vorgetragen ist diese Überzeugung „mit dem dezenten Pathos eines Mannes, der weiß, dass auch er zu dem Grundkonsens unserer Gesellschaft und unserer Politik beigetragen hat“.

Der Historiker Wolfgang Benz ist ehemaliger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin.

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