zum Hauptinhalt
Der Geiger Hellmut Stern war von 1961 bis 1994 Mitglied der Berliner Philharmoniker und viele Jahre Konzertmeister.

© Promo

Zum Tod des Geigers Hellmut Stern: Der musizierende Weltbürger

Berlin, China, Israel, Chicago, Berliner Philharmoniker: Die Lebensgeschichte des Geigers Hellmut Stern ist abenteuerlich. Nun ist er 91-jährig gestorben.

Hellmut Stern ist fünf Jahre alt, als die Nazis an die Macht kommen und die Synagoge in der Prinzregentenstraße brennt. Er läuft in den Straßen von Friedenau herum, er will alles sehen. Die Eltern sind Musiker, das Geld reicht nicht für ein Amerika-Visum, der Papierkrieg dauert, die Westmächte verschließen sich den Nöten der vom Holocaust bedrohten Juden. Schließlich dürfen sie 1938 nach China ausreisen, in die Mandschurei. Er jobbt als Geiger bei Hochzeiten und im Eisenbahnerclub; bei einem Straßenhändler in Harbin, dem „Paris des fernen Ostens“, entdeckt er seine zweite Geige, auf einem Haufen Sonnenblumenkerne, . Sein erstes Instrument stammte aus einem jüdischen Nachlass.

Wer Hellmut Stern, der von 1961 bis zu seiner Pensionierung 1994 Mitglied der Berliner Philharmoniker und lange Konzertmeister war, wer diesen Berliner und Kosmopoliten einmal erlebt hat, lernte einen wunderbaren Erzähler kennen. Einen, der vor Witz sprühte, etwa wenn er berichtete, wie er nach dem Umzug der Sterns nach Israel 1948 – wieder Papierkrieg, Baracken, Armut – als Hotelpianist seinen Namensvetter Isaac Stern kennenlernt. „Da ich nicht wusste, ob er Russisch sprach, ich aber kein Englisch konnte, sagte ich: Ich spreche Russisch. Darauf antwortete er: Ich auch. Ich weiter: Entschuldigen Sie, dass ich Sie anspreche, ich heiße Stern. Er: Ich auch. Und ich: Ich bin Geiger. Er: Ich auch.“

So kommt er zum Israel Philharmonic Orchestra, bis die Familie weiter nach Chicago auswandert. Wieder folgt ein aberwitziger Formalitätendschungel, Stern jobbt als Schuhverkäufer, Hammond-Orgel-Vertreter und Barpianist, bis das St. Louis Symphony Orchestra ihn engagieren kann. Die Arroganz hochmögender Orchestermusiker gegenüber Unterhaltungsmusikern hat Stern nie verstanden.

Aber Stern will zurück nach Berlin, er ist deutscher Jude, es ist seine Heimat. Wenn es um Bezeichnungen für Leute wie ihn ging, konnte er scharf werden. Ich bin Jude, sagte er dann, nicht jüdischer Mitbürger oder Mensch jüdischen Glaubens! Bitte keine verbale Ausbürgerung – und Kollektivschuld nein, Kollektivscham ja, lautete sein Credo. 1961 kehrt er an die Spree zurück, zwei Tage später wird die Mauer gebaut. Vier Tage später, am 15. August, wird er Mitglied der Berliner Philharmoniker. Die Orchesterrepublik hat er im Vorstand und im Fünferrat entscheidend mitgestaltet. Der mündige Musiker und bitte nicht das immer gleiche Repertoire, das ist ihm in seinen Philharmoniker-Jahren immer wieder ein Anliegen.

Nachlesen kann man all das in seiner Autobiografie „Saitensprünge“ (Transit 1990, später Aufbau): Wie Stern den deutschen und den russischen Antisemitismus erlebt, wie er als Junge Prügel von den Japanern einsteckt, als die im Krieg China besetzen, wie er in Israel friert und in Amerika erfahren muss, dass es auch hier Rassismus gibt. Es ist ein immer noch hochaktuelles Buch gegen Nationalismus und Patriotismus jeglicher Art, gegen Xenophobie, Ausgrenzung und den Personenkult der deutschen Kulturpolitik um den damaligen Philharmoniker-Chef Herbert von Karajan.

1990 organisierte Stern mit Barenboim das erste Philharmoniker-Konzert in Israel

In David Dambitschs Hörbuch „Weil ich überall auf der Welt zu Hause bin“ (Airbuch Entertainment, 2007) erzählt neben Stern auch sein Freund Daniel Barenboim. Gemeinsam mit dem Maestro landet Stern den größten Coup seines Musikerlebens: Die beiden organisieren 1990 das erste Philharmoniker-Konzert in Israel nach dem Krieg, allen Anfeindungen wegen der NS-Verstrickung des ehemaligen „Reichsorchesters“ und der doppelten NS-Mitgliedschaft Karajans zum Trotz. Karajan war 1989 gestorben.

Bis ins hohe Alter ist Stern als Zeitzeuge mit seiner abenteuerlichen Lebensgeschichte unterwegs, im In- und Ausland. Auch die Begegnung mit rechtsradikalen Jugendlichen scheut er dabei nicht. An diesem Samstag ist der Geiger und Weltbürger Hellmut Stern gestorben, in seiner Heimatstadt Berlin. Er wurde 91 Jahre alt.

Zur Startseite