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Sittengemälde eines Meisters: "Ein Herz und eine Seele" gehört zu den großen Erfolgen Wolfgang Menges.

© dapd

Zum Tod des Fernsehautors Wolfgang Menge: Ein Weltverbesserer, gleichzeitig ein Vollprofi

Unterhaltung als Aufklärung: Der Drehbuchautor Wolfgang Menge ist hierzulande einflussreichsten Künstler der letzten Jahrzehnte gewesen; und ein Fernsehmacher mit einem ehrenwerten Anliegen: ein modernes Deutschland in spannende Geschichten zu verpacken. Nachruf auf einen Visionär.

Damals, Ende der Fünfziger, als Wolfgang Menges Karriere anfing, begann das Fernsehen gerade, sich selbst zu erfinden. An das Fernsehen knüpften sich ähnliche Ängste, auch ähnliche Erwartungen wie heute an das Internet. Würde das Fernsehen die Familie zerstören? Die Gesellschaft und die kulturellen Hierarchien umkrempeln? War das Fernsehen, im Kern, Schund? Ja, brauchte man das Fernsehen überhaupt? Wie immer in solchen Fällen waren die Befürchtungen nicht ganz aus der Luft gegriffen, und wie immer sind die schlimmsten Befürchtungen der Alarmisten nicht eingetroffen.

Auf viele der Fragen, die damals im Raum standen, hat Wolfgang Menge eine Antwort gegeben. Er machte jedenfalls keinen Schund. Er hatte ein ehrenwertes Anliegen, das moderne Deutschland im Sinne Willy Brandts, und er konnte dieses Anliegen in spannende Geschichten verpacken. Menge war schon mehr als nur ein bisschen pädagogisch, etwa, wenn er im „Millionenspiel“ von 1970 die Sensationsgier der Medien in einer von einem Privatsender organisierten realen Menschenjagd geißelte. Dschungelcamp extrem, sozusagen. Das war Fiktion. Privatfernsehen gab es damals noch gar nicht. In „Smog“ schilderte Menge eine Umweltkatastrophe, die ebenfalls viele für real hielten. 1973 war das, als noch keiner an die Grünen dachte. Er war pädagogisch, ein Weltverbesserer, und gleichzeitig ein Vollprofi mit einem Riecher für Themen, die gerade erst anfangen, wichtig zu werden.

Mit ihm betrat eine neue Figur die Szene: der kritisch unterhaltende Fernsehkünstler. Der Drehbuchautor Wolfgang Menge ist, es klingt immer noch ein bisschen überraschend, wenn man es ausspricht, tatsächlich einer der in Deutschland einflussreichsten Künstler der letzten Jahrzehnte gewesen, einer, der den Zeitgeist der 70er und 80er Jahre mitprägte. Er hat unzählige Fernsehspiele verfasst, etliche Bücher für den „Tatort“ geschrieben, den Zollfahnder Kressin erfunden und immer für ein Millionenpublikum gearbeitet. Dass auch ein paar Flops dabei waren, versteht sich von selbst.

Nicht jeder Deutsche kennt seinen Namen, aber es gibt so gut wie niemanden, der sein Werk nicht kennt. Menge war originell, fleißig und witzig, ein unerschöpfliches Ideenkraftwerk mit großer Klappe und viel Gesinnung, und im Rückblick sieht es beinahe so aus, als hätte dieser Wolfgang Menge die frühe deutsche Fernsehgeschichte alleine bestritten – die anderen hat man meist vergessen. Menge war, auf seinem Feld, ein Unikat, der Loriot des Fernsehfilms mit Botschaft.

Wolfgang Menge behauptete gern, er sei Hamburger, vor allem, wenn er sich gerade wieder einmal über seine eigentliche Heimatstadt geärgert hatte. Geboren wurde er 1924 in Berlin, als Sohn eines Studienrats, und er lebte jahrezehntelang in Zehlendorf, wenn er nicht gerade auf Sylt war, in seinem zweiten Domizil. Mit seiner Frau, der Journalistin Marlies Menge, mit der er drei Kinder hatte, teilte er sich auch nach der Trennung die beiden Häuser. Er stand nie im Ruf, ein pflegeleichter Typ zu sein, wohl aber fair und geradeheraus. Sein kahl geschorenes, markantes Haupt war überall leicht zu erkennen.

Menges Mutter, die aus Rumänien stammte, war Jüdin. Sie überlebte. Es gab auch Nazis in der Familie, eingezogen wurde Menge trotz seines Status als „Halbjude“. Nach dem Krieg arbeitete er zuerst als Journalist, reiste viel, unter anderem für die Tageszeitung „Die Welt“. Dann schrieb er ein Theaterstück. Darauf legte er in Interviews Wert: Auch er sei über das Theater zum jungen Medium Fernsehen gekommen, wie die meisten Fernsehmacher seiner Generation.

Menges große Erfindungen: Stahlnetz, Ekel Alfred, das Genre Talkshow

Menges erster großer Erfolg als Autor, die Serie „Stahlnetz“ ab 1958, hat für lange Zeit das Bild vom deutschen Fernsehkrimi bestimmt. Seine wichtigste Erfindung aber wird Alfred Tetzlaff bleiben, das „Ekel Alfred“, gespielt von Heinz Schubert. Die Familienserie „Ein Herz und eine Seele“ wird bis heute wiederholt, hier ist das Wort „Kult“ ausnahmsweise mal angebracht.

Alfred Tetzlaff, der Spießer, Besserwisser und Familientyrann, der leidenschaftliche Pantoffelträger, eine lächerliche, hilflose, aber, das verlangt die Dramaturgie, nicht ganz unsympathische Figur. Mehr als als jede andere Gestalt der deutschen Populärkultur verkörperte er den Abschied der Deutschen von den autoritären 50er und 60er Jahren. Mit „Ein Herz und eine Seele“, zuerst im Dritten Programm, ab 1973 in der ARD, etablierte sich Wolfgang Menge als der große Epiker der sozialliberalen Ära.

Im Hause Tetzlaff wurde der Konflikt zwischen der Kriegsgeneration und den 68ern und der Kampf um gesellschaftliche Reformen als lustiger Familienstreit ausgetragen. Es ging um die Ostpolitik, um Willy Brandt, die schrecklichen Sozis und die Emanzipation. Dabei war in jeder Sekunde klar, auf welcher Seite der Drehbuchautor steht, der linken natürlich.

Menge hatte damit seine eigene Methode gefunden, Zeitgeschichte in Unterhaltung zu verwandeln, so, wie es Heinrich Breloer mit seinen Doku-Dramen geschafft hat. Im Rückblick ist erstaunlich, wie politisch, wie frech und wie einseitig der Autor Menge in seinem öffentlichrechtlichen, von Gremien regierten Sender sein durfte. Das, was heute wie Mainstream aussieht, war damals ja heftig umstritten. Von den Kämpfen, die hinter den Kulissen stattfanden, vermitteln Menges späte Interviews manchmal einen Eindruck. Er äußerte sich gerne ein bisschen abfällig über den Intelligenzquotienten der Fernsehchefs. Menge sagte: „Das Dumme ist, die sitzen am längeren Hebel.“ Dass es für die Figur Alfred Tetzlaffs ein erfolgreiches britisches Vorbild gab, hat in den Diskussionen sicher geholfen.

Es gab später einige Versuche, an diesen Quotenhit anzuknüpfen. Die Idee, ostdeutsche und westdeutsche Vorurteile nach der Wende in der Serie „Motzki“ aufeinanderprallen zu lassen, hat nicht sehr gut funktioniert. Tetzlaff war 1973 schon eine historisch erledigte Figur, zum Ablachen freigegeben, die echten Tetzlaffs wehrten sich nicht mehr. Ostdeutsche und Westdeutsche aber waren hochsensibel, streitbar und schnell beleidigt, für Humor waren die Räume sehr eng.

Wolfgang Menge gehört auch zu denen, die in Deutschland das Genre „Talkshow“ eingeführt haben. Jahrelang moderierte er, im impressionistisch-improvisierenden Stil, die von ihm miterfundene Sendung „3 nach 9“, wobei er nur beim Fragen seine Pfeife aus dem Mund zu nehmen pflegte. Eine seiner späten Ideen lief darauf hinaus, die Talkshows in ihrer bisherigen Form wieder abzuschaffen. Stattdessen sollten immer die gleichen Leute beisammensitzen und reden, Leute, die einander wirklich etwas zu sagen haben und zwischen denen es funkt – also das Prinzip des „Literarischen Quartetts“. Erstaunlicherweise tauchen in letzter Zeit solche Gesprächsrunden immer häufiger in den Sendern auf. Menge blickte also immer noch durch.

Zuletzt hat er trotzdem nur noch wenig ferngesehen. Den Computer und das Internet scheint er geliebt zu haben, wie zu lesen war, da schloss sich ein Kreis. Am liebsten seien ihm inzwischen die Verkehrsmeldungen im RBB, sagte er, das finde er im Fernsehen eigentlich am besten. Was natürlich ein bisschen ungerecht ist. Über den Tod äußerte er sich auf typisch Berliner Weise, also unsentimental: „Jeder stirbt. Der eine früher, der andere später. Was soll’s.“ Was den ersten Satz seines Nachrufs betrifft, hatte er allerdings eine genaue Vorstellung. Wolfgang Menge ist tot, er starb am Mittwoch in einem Berliner Krankenhaus im Beisein von einem seiner Söhne, er wurde 88 Jahre alt. Er wünschte sich, dass in den Zeitungen steht: „Er war einfach der Beste.“

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