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Dichterbühne Bar jeder Vernunft.

© XAMAX

Zum Tod des Berliner Dichters Tilmann Lehnert: Zusammen mit dem Maler Johannes Grützke bildete er ein Gespann

„Fabelhafte Gespräche“ und anderer Klamauk. Tilmann Lehnert war ein West-Berliner Original, wie es nur noch wenige gibt.

Wer Tilmann Lehnert als Musiker am Piano erlebt hat, und zwar mit den von seinem Freund Johannes Grützke schon 1965 gegründeten Erlebnisgeigern, dürfte stets überrascht gewesen sein ob des offensiv zur Schau gestellten Dilettantismus dieser Band, die sich angeblich nie zum Proben, sondern nur zu Konzerten traf. Fragen wie „Was machen wir jetzt?“ oder „Wo ist denn der Schluss hingekommen?“ gehörten zum Repertoire. Genau wie die Antworten darauf: „Ach, richtig, das soll es sein“. Oder: „Ah, da ist er ja.“ Ob Grützke, Lehnert und Co das vorher nicht doch einstudiert hatten?

Es war grotesk, absurd, komisch – so wie die Gedichte und die Prosa, die Lehnert geschrieben hat, die herrlichen Szenen und Dialoge, in Büchern wie „Fabelhafte Gespräche“, „Widerstandsprosa für ziellose Fußmärsche“ oder „Oben ist nur der Boden. Von Menschen und Tütenmietern“. Sie alle sind in kleinen Berliner Verlagen erschienen, 2014 zuletzt die „Fabelhaften Gespräche“ mit Zeichnungen von Grützke im Kreuzberger Klak Verlag. Lehnert verstand es, alltägliche Floskeln und leere Worte zu etwas Besonderem zu machen, sie wieder zu füllen, sie zu hell schimmernden Bizarrerien zu verwandeln. Zum Beispiel ein Wörtchen wie „bitte“: „Wer soll das lesen bitte! / Na bitte! / Was soll das heißen bitte! / Bitte! / Das weiß ich doch nicht! / Zu dumm bitte!/ Was soll ich hier noch bitte! / Bitte! / Wir kennen uns doch! / Vielleicht kann ich Ihnen helfen bitte!“

1980 führte er im Café Einstein die Oper „Im Fundbüro“ auf

Lehnert wurde 1941 in Darmstadt geboren, wuchs in Stuttgart auf und arbeitet nach einem Deutsch- und Französischstudium als Gymnasiallehrer. In West-Berlin lernte er früh den Maler Johannes Grützke kennen und schrieb für die Erlebnisgeiger Lieder mit Zeilen wie dieser: „Komm um achte mal vorbei! Bis achte muss ich eh was tippen! Ab achte bin ich frei!“ Er ließ seine Bücher von Grützke illustrieren oder führte mit diesem 1980 im Café Einstein die Oper „Im Fundbüro“ auf. Mitte der neunziger Jahre gründete er mit dem 2017 verstorbenen Maler den Goethe Verlag. Hier veröffentlichten die Künstlerfreunde gemeinsame Bücher wie zum Beispiel „Der Frauentunnel“ oder „30 Jahre Bohren“.

Lehnert verstand sich als Dichter, war aber gern Stammgast auf Kleinkunstbühnen wie der Bar jeder Vernunft oder dem Chamäleon; auch in Filmen von Werner Schroeter oder Rosa von  Praunheim spielte er mit. Er war ein West-Berliner Original, wie es deren leider nur noch wenige gibt. Am vergangenen Freitag ist Tilmann Lehnert im Alter von 79 Jahren in Berlin verstorben.

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