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Erscheinung. Milva 2008 im deutschen Fernsehen zu Gast bei Carmen Nebel.

© dpa

Zum Tod der großen Sängerin Milva: Das Haar wallend rot, die Stimme tief und weit

In keiner Sprache als in der deutschen hat sie mehr Alben verkauft. Mit Brecht wurde Schlagersängerin Milva zum Star.

Sie konnte einem deutsche Fernsehpublikum glaubhaft versichern: „Hurra, wir leben noch!“ und Opernhäuser mit ihren Brecht-Programmen füllen, vom Schlagerfestival in San Remo zu den Experimental-Opern von Luciano Berio wechseln und auch wieder zurück, wie nebenbei Theatergurus und Filmregisseure für sich einnehmen.

Immer hinterließ Milva den Eindruck von Selbstermächtigung, das Haar wallend rot, die Stimme tief und weit. Eine ganze Generation musste feststellen, dass die eigenen Väter heimlich von „La Rossa“ träumten.

Geboren 1939 als Maria Ilva Biolcati in der Nähe von Ferrara, trat Milva nicht freiwillig vors Publikum. Ihr Vater hatte durch einen Unfall seine Arbeit verloren, mit 16 Jahren wurde sie zur Ernährerin der Familie, ein dürres, damals noch schwarzhaariges Mädchen.

Die kleine Schlagersängerin und der große Theatermann

Ein wenig Volksschule und in Kneipen auftreten, tanzen lernen und bei Nachwuchswettbewerben des italienischen Fernsehens teilnehmen – wenig deutete darauf hin, dass Milva über den puren Broterwerb hinaus zur Kunst finden würde. Es waren Bertolt Brecht und das Theater, die sie aus ihrer harten Schule befreiten.

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Giorgio Strehler engagierte Milva 1965 an sein Piccolo Teatro in Mailand. Die kleine Schlagersängerin und der große Theatermann, so sah sie es damals. Sie wurde für Jahre Strehlers Seeräuberjenny, privat seien sie nie auch nur zusammen essen gegangen, erzählte sie rückblickend.

Mit Liedern von Mikis Theodorakis eroberte sie Deutschland

Als Milva 1978 dann mit dem Album „Von Tag zu Tag“ mit Liedern von Mikis Theodorakis Deutschland eroberte, war sie schon eine theatralisch gefestigte Persönlichkeit. Das fiel auf in der Hitparaden-Welt, hatte etwas uneinnehmbar Großes, auch wenn nicht alle Songs, die Gold-Schallplatten gewannen, auch wirklich glänzten. Vor einem Auftritt, bekannte sie, sei sie ein Nervenbündel, danach leer und kaputt.

Dazwischen aber erlebte man eine Interpretin, die eine Ahnung davon vermittelte, was Stolz und Hingabe, Perfektion und die Kunst der Stilisierung bedeuten können. Milvas Kraft tauchte kurz auf aus der Einsamkeit. Sie eroberte ein Theater und verließ es allein durch den Bühnenausgang, geschützt von einem gewaltigen Hut und einer undurchdringlichen Sonnenbrille. Wer es dennoch wagte, die Davoneilende anzusprechen, wurde mit der Frage konfrontiert: War mein Deutsch gut? Wirklich gut?

Selbst Lotte Lenya überhäufte sie mit Lob

In keiner Sprache hat sie mehr Alben verkauft, Brecht wurde mit zu ihrem wichtigsten Textdichter, sie sang ihn auf der ganzen Welt und auch in Berlin. Sein distanzierter Blick ließ sie zu großer Form auflaufen, selbst Lotte Lenya überhäufte Milva mit Lob: „Sie ist die größte Fortsetzerin der besten Weill’schen Tradition!“

Mit einem anderen strengen Künstler spielte sie auf Anregung von Peter Brook eines ihrer besten Alben ein. Die artistischen Tangos von Astor Piazzolla, aufgenommen im morbiden Charme des Pariser Théâtre des Bouffes du Nord, vibrieren von ihrem erdigen Timbre.

Über ein halbes Jahrhundert stand sie auf der Bühne

Offensiv ging Milva mit ihrer Depression nach schwierigen Trennungen und dem gesundheitlichen Tribut um, den ihr Bühnenleben gefordert hatte. 52 Jahre stand sie auf der Bühne, beruhigte sich danach im Hotel mit dem Waschen ihrer Unterwäsche und Strümpfe.

Mit 71 kündigte sie sich selbst, denn Milva war ihre eigene Managerin, die im Ruf stand, knallharte Verhandlungen über Geld und Repertoire zu führen. In Mailand, wo Milva mit ihrer Lebensbegleiterin Einsamkeit lebte, ist sie am Freitag im Alter von 81 Jahren gestorben.

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