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Kein Vorbild. Margot Robbie in der Rolle des „Bad Girl“ Tonya Harding.

© DCM

Zum Kinofilm "I, Tonya": Das Eis war schmutzig

Klassengesellschaft USA: Der Kinofilm „I, Tonya“ erzählt das Leben der Sportlerin und Skandalfigur Tonya Harding.

Von Andreas Busche

Tonya Harding weiß, warum wir eingeschaltet haben. Wir sind auch nicht besser als die anderen. „Deswegen sind Sie doch hier“, sagt sie mit forschem Blick in die Kamera, „sie warten auf ’den Zwischenfall’. Ich wurde mein Leben lang misshandelt. Diesmal sind Sie es, auch Sie attackieren mich!“ Die Schauspielerin Margot Robbie sitzt, während sie mit der Öffentlichkeit abrechnet, in ordinärem Aufzug (blondierte Haare, Cowboystiefel) in ihrer Küche, im Hintergrund stapelt sich dreckiges Geschirr in der Spüle. Tonya Harding möchte, dass die Welt endlich die Wahrheit erfährt. Ihre Wahrheit. Dabei ist ihr eigentlich herzlich egal, was die Leute von ihr denken. „Ich hab mich nie dafür entschuldigt, dass ich in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs. Ich bin ein Redneck.“

Die Eiskunstläuferin Tonya Harding ist für zwei Dinge berühmt. 1991 gelang der damals 20-Jährigen als erster Amerikanerin im Wettkampf ein Dreifachaxel. Und dann war da „der Zwischenfall“. 1994 wurde ihre größte Konkurrentin Nancy Kerrigan wenige Wochen vor den Olympischen Spielen von einem Unbekannten angegriffen und am Bein verletzt. Wie sich herausstellte, war der Täter von ihrem Ex-Mann Jeff Gillooly und Hardings ehemaligem Bodyguard Shawn Eckhardt angeheuert worden. Harding bestritt ihre Mittäterschaft, die Medien – die Bilder der weinenden Kerrigan in Dauerrotation – verpassten ihr den Namen „Eishexe“, und der Eissportverband schloss sie auf Lebenszeit von allen Wettkämpfen aus.

Regisseur Craig Gillespie unterzieht in „I, Tonya“ diese weitgehend auserzählte Medienfabel – es gibt zahlreiche TV-Dokumentationen über „den größten Skandal der amerikanischen Sportgeschichte“ – einer Revision als böse Klassenfarce. Dem Problem der unsicheren Faktenlage begegnet er mit den Mitteln der Satire: „Basierend auf ironiefreien, hochgradig widersprüchlichen und absolut wahren Interviews mit Tonya Harding und Jeff Gillooly“ hat er seiner „Mockumentary“ vorangestellt. Harding und Gillooly standen für Interviews natürlich nicht zur Verfügung, sie kommen in „I, Tonya“ trotzdem ausführlich zu Wort. Die meiste Zeit widersprechen sie sich; einmal verfolgt Harding ihren gewalttätigen Mann mit einem geladenen Gewehr durchs Haus, während sie dem Publikum schwört, dass sich die Ereignisse anders zugetragen haben.

Die Revision der Geschichte kommt als Klassenfarce daher

Kronzeugin allerdings ist Mutter LaVona, die Allison Janney als schillernde White-Trash-Karikatur spielt. Während der Interviews hockt ein Wellensittich auf ihrer Schulter. „Mein sechster Ehemann“, meint Janney, die für ihre Rolle den Oscar erhielt, einmal genervt. „Der beste.“ Die Mutter ist die Schlüsselfigur für das Verständnis von „I, Tonya“, der weniger an einer Exkulpation von Tonya Harding interessiert ist. Robbie spielt ihre Figur zwar als Sympathieträgerin – ohne Kerrigan, die nur in Archivbildern auftaucht, zu diskreditieren. Doch Regisseur Gillespie und sein Autor Steven Rogers wollen eine größere Geschichte über mediale Repräsentation erzählen: der „guten Amerikaner“, in deren Namen Trump seinen Wahlkampf bestritt.

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Tonya Harding füllt diese Rolle perfekt aus, weil sie in einer Sportart erfolgreich war, in der es nicht nur auf Haltungsnoten, sondern auch aufs Image ankommt. Ihren ersten Pelzmantel lässt sie sich aus dem Fell der Kaninchen anfertigen, die sie mit ihrem Vater schießt, auf dem Eis läuft sie zum Entsetzen der Jury zum Südstaatenrock von ZZ Top statt zu klassischer Musik. Eine große Szene, wie überhaupt alle Eisläufe mit derselben eleganten Kraft inszeniert sind, für die Hardings muskulöse Technik so berühmt wie berüchtigt war. Für den Wettkampf trainiert sie mit echten Baumstämmen, „wie Rocky“, meint Robbie. „Sie hat das wirklich getan“, bestätigt ihre Trainerin Diane (Julianne Nicholson) in die Kamera.

Harding schlägt immer zurück

Gelegentlich lassen sich Gillespie und Rogers von ihrem Kolportagestil zu grobem Klamauk hinreißen, der ihrem Anliegen nicht dienlich ist. Aber in der postfaktischen Gemengelage von „I, Tonya“ behält Harding immer die Oberhand, selbst wenn sie in die Ecke gedrängt wird. Die Szenen häuslicher Gewalt, erst durch ihre Mutter, dann durch ihren Mann (Sebastian Stan), haben eine gewisse Hardboiled-Qualität, weil Harding immer wieder die Kraft aufbringt zurückzuschlagen – und zwischendurch sogar Zeit findet, die Gewalt, der sie sich gerade ausgesetzt sieht, sarkastisch zu kommentieren.

Dieser Effekt ist nur auf den ersten Blick komisch, Harding bleibt dadurch handelndes Subjekt ihrer Erzählung. Witzfiguren sind in „I, Tonya“ alle anderen, etwa Shawn Eckhardt (Paul Walter Hauser), der bei der Mutter lebte, aber behauptet, für die CIA zu arbeiten. Man kann die Strategie von Gillespie und Rogers geradezu dialektisch nennen. Ihr Film präsentiert die „Täterin“ Harding als Opfer einer Kampagne, das sich mit der Opferrolle nicht begnügen will.

Der Film kommentiert auch die Celebrity-Kultur. Der Skandal um Tonya Harding war das erste mediale Großereignis einer neuen Zeitrechnung, vier Jahre zuvor war während des Golfkriegs der 24-Stunden-Nachrichtenzyklus eingeführt worden. Die Kanäle benötigten ständig Nachschub, so prominent wie möglich. „Erst wurde ich geliebt, dann gehasst.“ Tonya Harding wollte sich nicht unterkriegen lassen. Am Ende spuckt Margot Robbie Blut – und steht wieder auf.

Ab Donnerstag in den Kinos

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