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Clown vor Leinwand. Armin Mueller-Stahl lebt bei Lübeck. Hier steht er vor eigenen Werken.

© Imago/Oliver Langel

Zum Geburtstag von Armin Mueller-Stahl: Meine Kindheit war Musik

Ein Ostpreuße in Hollywood: Armin Mueller-Stahl hat als Schauspieler Weltkarriere gemacht. Aber mit 90 malt er hauptsächlich. Eine Würdigung

Die naheliegendste Laufbahn zog er gar nicht erst in Erwägung: Der Sohn eines Bankkaufmanns wird wieder Bankkaufmann? In Jim Jarmuschs wunderbarem „Night on Earth“ wird der New Yorker Taxifahrer Helmut Grokenberger das seinem Fahrgast so erklären: „Money is not important to me. I’m a clown.“ Und er spielte zum Beweis auf zwei Flöten gleichzeitig. Mueller-Stahl, der Musiker.

„Night on Earth“ entstand 1991, da hätte er schon längst Chefarzt der „Schwarzwald-Klinik“ sein können. Es fällt schwer, Armin Mueller-Stahl anzuschauen und nicht den Idealtypus eines Chefarztes zu erblicken. Aber er lehnte ab. „Money is not ...“ Auch schien ihm die Herausforderung zu überschaubar.

Der Thomas Mann war eine Lebensrolle

Es war ein weiter Weg von Tilsit, Ostpreußen, bis nach Los Angeles. Er hatte ein zweites Zuhause dort, in Pacific Palisades wie einst Thomas Mann. Der in die Literatur emigrierte Lübecker Kaufmannssohn war wohl die Rolle seines Lebens. Wahrscheinlich war er nicht einmal überrascht, als Breloer ihm die Rolle in seinem Mehrteiler „Die Manns“ anbot. Typus Weltweiser und Repräsentant, sehr störbar, musikalisch hochempfindlich.

Meine Kindheit war Musik, hat Mueller-Stahl sie zusammengefasst, selbst gemachte Musik. Alle spielten ein Instrument, die Eltern riefen sich statt mit Namen mit melodischen Pfiffen. Und dazu der Sommer auf den großen ostpreußischen Landgütern der Verwandten.

Der Junge verstand die Welt nicht mehr, als sie Tilsit 1938 verließen. Es gab keinen Grund dafür, nur dieses Gefühl seines Vaters: Wir müssen mehr in die Mitte! Die Mitte hieß Prenzlau am Uckersee.

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Und dann zerfiel die Welt. Er beschloss, sein Leben ganz auf die völlig unpolitische Geige und das West-Berliner Konservatorium zu setzen. Er war schon ziemlich gut, als ihm etwas auffiel: Wer nimmt mich denn wahr in einem großen Orchester? Da gehe ich doch unter. Also zur Bühne!

An der Berliner Volksbühne erwarb er sich den Ruf, eine Rolle zerstören zu können, selbst wenn er nur einen einzigen Satz hatte. Das Gewicht der Welt in einen einzigen Satz legen! Vielleicht schlug die Geburtsstunde des Schauspielers Armin Mueller-Stahl genau in dem Augenblick, als er lernte, das Gewicht der Welt da wieder rauszunehmen. Dazu diese Augen, „klar wie ein Bergsee“ (Mueller-Stahls Mutter) und die zu vollen Lippen, die spezifisch gepresst, doch nie weichlich wirkten. In ihrem Druck lag wohl der Rückzugsort des Gewichts der Welt.

Kein Typus, einer der alles spielen kann

Er war kein Typus, er konnte alles spielen: den Spanienkämpfer („Fünf Patronenhülsen“) ebenso wie den KZ-Häftling („Nackt unter Wölfen“), den Spieler besserer Herkunft („Wolf unter Wölfen“), den Geheimagenten Ost wider alle Feinde des Sozialismus („Das unsichtbare Visier“).

Die meisten dieser Filme halten stand, sie scheinen noch zu wachsen beim Wiedersehen. In „Der Dritte“, einem der experimentellsten, großartigsten, verstörendsten Defa-Filme überhaupt, hatte Mueller-Stahl nur eine Episode lang Zeit, dem Publikum plausibel zu machen, dass eine junge Frau (Jutta Hoffmann) ausgerechnet ihn, einen Blinden, heiratet. Und verlässt.

Unvergessen auch „Geschlossene Gesellschaft“ 1978, wieder mit Jutta Hoffmann, eine Ehegeschichte als Parabel auf die Endzeit der DDR. Unter den Erst- und Zweitunterzeichnern des Protests gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns war er der Letzte, der ging. Und der Einzige vielleicht, der da schon ein Filmangebot West hatte.

Nur Hollywood arbeitet so perfekt wie die Defa

Es war ein Fernsehkrimi. Er staunte über den Dilettantismus am Set. Erst in Hollywood, sagt er, habe er sich wirklich wieder wie bei der Defa gefühlt. Nein, die „Schwarzwaldklinik“ war keine Option. Aber dafür Fassbinder, „Veronika Voss“ und „Lola“, kurz darauf Agnieszka Hollands „Bittere Ernte“ und István Szabós „Oberst Redl“. 1986 fand er sich bereits in Hollywood wieder: „Amerika“ war eine siebenteilige ABC-TV-Serie. Und er spielte den sowjetischen General Petya Samanov.

Samanov hatte Amerika besetzt, weshalb er auch eine Rede im Weißen Haus halten musste. Vor Hunderten Komparsen. Er sprach kein Englisch, aber das genügte nicht: Er musste es mit russischem Akzent tun und bekam in der Nacht vor dem Dreh zwei völlig neue Seiten Text. Es war unmöglich, aber Helmut Schmidt hat ihn gerettet. Armin Mueller-Stahl alias Petya Samanov stellte sich vor, wie Helmut Schmidt im Weißen Haus sprechen würde, mit welchen Betonungen, mit welchen Pausen. Und nie den russischen Akzent vergessen!

Rechthaberei West war ihm zuwider

Man weiß, was folgte: Barry Levinsons „Avalon“, Jim Jarmuschs „Night on Earth“, der Beinahe-Nebenrollen-Oscar für seine Rolle in „Shine“ und andere mehr. Bei den Dreharbeiten zu „Avalon“ erfuhr er vom Fall der Mauer. Dass er erst danach richtig nach Hollywood ging, lag auch an deren Fall. Er mochte das Nachwende-Deutschland nicht, die Rechthaberei West war ihm zuwider.

Von Armin Mueller-Stahl lernen heißt, zu wissen: Jedes Ende ist ein neuer Anfang. Er hat Erzählungen und Gedichte geschrieben. Mit fast achtzig Jahren nahm er seine erste Platte auf, inzwischen ist er vor allem Maler. Das kann er auch, und wie. Nach Art der Neunzigjährigen begründet er diese Tätigkeit so: „Malen ist die einzige Arbeit, bei der ich fliegen kann.“

Kurz vor seinem Geburtstag musste er ins Krankenhaus. Die Freunde hoffen, dass er ihn doch zu Hause feiern kann.

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