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Zwei Powerfrauen: Marina Abramović 2014 vor dem Gemälde "le réveil" (1866) von Gustave Courbet in der Schweizer Fondation Beyeler.

© picture alliance / dpa

Zum Geburtstag der Künstlerin: Marina Abramović wird 70 - ein lebendes Bild

Sie hat ihren Körper gemartert, zerstoch sich die Finger, verbrannte sich die Beine. Das alles für die Kunst. Jetzt wird die große Performerin Marina Abramović 70 Jahre alt.

Zehn Stunden sitzen, das ist harte Arbeit. Der Po schmerzt, Blut staut sich, der Körper kribbelt vor Bewegungslosigkeit. Da wird es spannend für Marina Abramović, die kaum eine Marter ausgelassen hat. Wenn die Künstlerin an ihrem heutigen 70. Geburtstag zurückblickt, entfaltet sich hinter ihr ein Leben wie ein Kreuzweg. Nahezu jede ihrer spektakulären Performances seit den 70er Jahren barg Verletzungsgefahr: Es gab Russisch Roulette mit scharfen Messern, giftigen Rauch und Feuer oder einen Bogen, den ihr langjähriger Partner Ulay bis zum Bersten gespannt hielt, den Pfeil in der Sehne auf Abramović gerichtet.

Das klingt wie aus dem Arsenal von Artisten. Tatsächlich hat sich, bei aller Authentizität der frühen Arbeiten, ein Zirkus um die Künstlerin entwickelt. Inzwischen ist sie mehr gesellschaftliches Ereignis als Performerin, die Interviews und Artikel zu ihrer jüngst erschienenen Biografie beschäftigen sich vor allem mit Abramovićs ewiger Jugendlichkeit, ihren Retreatments zur Wiederherstellung der Gesundheit und immer wieder mit der Mutter – einer serbischen Partisanin, die die Tochter schlug und zu eiserner Disziplin erzog. Ach ja, über ihre Kunst wird auch gesprochen, so wie man auf die riskanten Manöver eines ehemaligen Formel-1-Fahrers zurückblickt. Sie hat sich die Finger zerstochen, die Beine verbrannt, hat bis zum Umfallen Kohlenmonoxid eingeatmet und es unfassbar lange auf einem winzigen Fahrradsattel ausgehalten. Ihr Auftritt als tableau vivant in der Berliner Ausstellung „11 Rooms“ 1997 haftet im Gedächtnis.

Vier Tage auf einem Berg von Rinderknochen

Performance war in den Siebzigern eine neue, unerhörte Kunst. Kommerziell uninteressant und ein Affront gegen den Markt, weil sich die Intensität der Aktion weder konservieren noch kommerziell nutzen ließ. Abramović blieb bei der immateriellen Sache und schaffte es: Sie gehört zu den wenigen Künstlern, deren Name vielen etwas sagt. Spätestens seit ihrer Dauerperformance im New Yorker Museum of Modern Art „The Artist is Present“ von 2010 agiert sie als viel beschäftigter Star. Damals saß sie drei Monate lang während der Öffnungszeiten still auf einem Stuhl, machte den Ort zu einem Erfahrungsraum für jeden, der sich zu ihr setzte – und sprach anschließend ausdauernd über das komplexe Projekt: die Gewöhnung ans Hungern, das nächtliche Wassertrinken, um tagsüber nicht aufs Klo zu müssen, die Selbstdisziplin. Bloß über die Kunst wird selten gesprochen.

Marina Abramović ist eine Pionierin und Avantgarde. Als die Performance Anfang der 80er Jahre altmodisch wurde, machte sie unbeirrt weiter. Während der Biennale von Venedig 1997 saß sie vier Tage lang auf einem Berg von Rinderknochen, schrubbte Fleischreste ab. Dazu sang sie Volkslieder ihrer serbischen Heimat: Klage und schauriges Bild für den Kriegswahnsinn auf dem Balkan. Für „Balkan Baroque“ gab es den Goldenen Löwen der Biennale; davor und danach unterrichtete Abramović an den Kunstakademien in Hamburg und Braunschweig.

Ihr Körper ist ihr Material, das macht es so schwer, zwischen Kunst und Künstlerin zu unterscheiden. Was ist die Botschaft, was verständlicher, auch verstörender Narzissmus? Ihre lange, intensive Beziehung zum Künstler Ulay endete 1989, nachdem beide drei Monate lang auf der Chinesischen Mauer gelaufen waren, um sich in der Mitte zu begegnen. Danach verschwand ihr Partner aus dem Werk, obwohl die Paar-Performances zu ihrenwichtigsten Arbeiten gehören. Alles zentrierte sich auf sie. Dass Ulay sehr wohl Teilhaber der Ideen ist, zeigte sich dieses Jahr, als ein niederländisches Gericht Abramović zur Nennung seines Namens und Zahlung von Tantiemen verurteilte – denn sie führt alte gemeinsame Aktionen wieder auf. So wie 2010 im MoMA, wo ihr eigener Auftritt von Reenactments gerahmt wurde. Etwa „Imponderabilia“: Ein Mann und eine Frau stehen nackt einander zugewandt in einem schmalen Eingang. Wer durchgehen möchte, berührt die beiden unweigerlich. 1977 standen Ulay und Abramović in derselben Position, zwei junge Künstler in ihrer körperlichen Unzulänglichkeit. Die Protagonisten von heute sind gecastet, makellos, ästhetisch unantastbar.

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