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Der Berliner Schauspieler Dieter Mann.

© Thomas Schulze/dpa

Zum 80. von Dieter Mann: Zeus auf der eigenen Bühne

Dieter Mann war ein Arbeiterkind, wurde Schauspieler und stieg auf zum Intendanten des Deutschen Theaters in Berlin. Jetzt wird er 80 Jahre alt.

Wir sehen Dieter Mann und vermissen den Urschrei, schrieb eine Kritikerin. Sie hat das sehr gut gesehen, sie hat nur vergessen, es zu bejahen. Urschrei kann jeder, aber wem gelingt es wie ihm, in dem schmalen Spaltbreit Mund - Lippen hat er eigentlich nicht - auf einmal ganze Stücke auszupressen?

Dieter Mann, fast ein halbes Jahrhundert am Deutschen Theater Berlin, gehört zu den Schauspielern, die nur eine Bühne zu betreten brauchen und schon sie ist voll. Sein Spiel besitze eine "animierende antithetische Rissigkeit", hat sein Regisseur Friedo Solter über ihn gesagt.

Mit 14 stand er schon an der Werkbank

Klingt schamlos abstrakt, aber konkreter lässt sich das kaum sagen. Mit dieser Charakteristik schlug Solter den Schauspieler 1985 für die Aufnahme in die Akademie der Künste vor.

Ein Junge aus dem Prenzlauer Berg, geboren 1941, in die Akademie der Künste! Er, bei dem zu Hause es nur ein einziges Buch gab, nein, nicht die Bibel, das "Handbuch des Sanitätsgefreiten". Sein Vater kam mit dieser Literatur durch den Krieg.

Seine Mutter schnitt jede Scheibe Brot einzeln ab und nie genug. Das Arbeiterkriegskind hat noch erfahren, was Hunger ist. Und dann dieser Weg! Weit nach 1990 wird die "Süddeutsche Zeitung" ihn zum "intelligentesten Leser auf deutschen Bühnen" promovieren. Seine Hörbücher, egal ob Fallada oder Tucholsky, sind von, sagen wir, absolut animierender antithetischer Rissigkeit.

Nicht schlecht für einen, der mit einem Notendurchschnitt von dreikommanochwas nach der 8. Klasse von der Schule abging, auch weil sein Vater ihm erklärte, er könne ihn nicht länger ernähren. Was wird aus dem Kind eines ungelernten Arbeiters? Mit vierzehn schon stand er an der Werkbank, Dreischichtsystem. Zahnräder und Gewindeschrauben.

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Dieter Mann ist ein Kind der DDR, er würde wohl nicht widersprechen. Wie nicht wenige seiner Generation wird er ihr Dankbarkeit bewahren für eine Lebenschance, die bislang für solche wie ihn nicht vorgesehen war. Die ABF, die Arbeiter- und Bauernfakultät, war der institutionalisierte Verdacht, dass solche wie er nicht nur Hände, sondern auch Köpfe haben. Natürlich gab es an der ABF auch Agitprop-Gruppen.

Es war die erste Bühne seines Lebens. Die übernächste war schon die des Deutschen Theaters. 400 DDR-Mark Anfangsgage. 3000 DM hielt das Theater der Bundesrepublik dagegen, nach einem Gastspiel von Rosows "Unterwegs", 1966 in Frankfurt a.M. mit Christine Schorn. Es war noch eine Studentenarbeit.

Als Intendant des Deutschen Theaters holte der Frank Castorf

"Theater heute" bescheinigte ihm "den Bewegungskanon der jungen Jazzer, die nervöse, immer wie von raffiniertem Schlagzeug pointierte Beinarbeit". Und Regisseur Gerhard Klein reichte es, ihn von hinten gesehen zu haben, die Art, wie er aus der Tür ging, um ihn für seine erste Filmrolle zu besetzen: "Berlin um die Ecke", 1965 sofort verboten. Mann sah ihn 1990 zum ersten Mal. Da war er noch Intendant des Deutschen Theaters, hatte Frank Castorf und Heiner Müller geholt.

Auch vom Deutschen Theater ging die friedliche Revolution in der DDR aus, von diesem Haus, das sich nie "auf Linie" bringen ließ. Fremd-Potentaten mussten wieder gehen, der Theater-Olymp wählte sich seinen Zeus selbst, einen von ihnen: Dieter Mann. Das Amt hinderte ihn nicht, zeitgleich als Truffaldino, als Molieres "Diener zweier Herrn" der Servilität ein unvergesslich-komisches Denkmal zu setzen, denn auch zu jedem Witz gehört vor allem eins: animierend antithetische Rissigkeit.

Keine Auftritte mehr, Parkinson erlaubt es nicht

Und Illo im "Wallenstein". Und Waldemar in Barlachs "Echten Sedemunds". Wie viele Rollen vor der Wende, wie viele danach. Man hat dem alten Deutschen Theater immer wieder "Verkopftheit" vorgeworfen. Aber das stimmt nur einer Voraussetzung: Dieser Kopf wurde wieder ganz und gar sinnlich, was für ein Ereignis! Und dazu die Präsenz im Film.

Am 20. Juni wird Dieter Mann achtzig Jahre alt. Kein Auftritt mehr, seine Krankheit, Parkinson, erlaubt es nicht. Man könnte "Auf der Suche nach Gatt" noch einmal sehen, oder "Glück im Hinterhaus", oder "Die Rache des Kapitän Mitchell", alle fürs DDR-Fernsehen.

Oder eines seiner Hörbücher einlegen, vielleicht "Krankenstation Nr. 6" von Anton Tschechow. Oder in "Schöne Vorstellung" lesen, dem eindringlichen Gesprächsbuch mit Hans-Dieter Schütt, mit dem er 2016 zum letzten Mal auf der Bühne seines Theaters stand.

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