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Lebt jetzt in Florida. Ula Stöckl.

© Doris Spiekermann-Klaas

Zum 80. Geburtstag von Ula Stöckl: Der Zeit voraus

Eigenwillige Frauen, abgründige Beziehungen und widerborstige Kinder sind ihr Thema. Die Filmregisseurin Ula Stöckl wird 80. Das Arsenal widmet ihr eine Retrospektive.

Zuhause ist da, wo ich was verändern kann. Dieses Motto, meint die Regisseurin, Drehbuchautorin und Filmprofessorin Ula Stöckl, passe gut zu ihrem Leben. Der Aufbruch in den Beruf einer Filmemacherin, der Frauen ihrer Generation vermeintlich nicht zustand, prägte sie ebenso wie das Gefühl ewiger Unbehaustheit, das die am 5. Februar 1938 in Ulm Geborene seit ihrer Kriegskindheit verfolgt. Verluste und Enttäuschungen weiß sie bis heute willensstark in Kreativität zu verwandeln.

Ihren 80. Geburtstag feiert Ula Stöckl in Florida, wohin sie 2004 auswanderte, um amerikanischen Greenhorns beizubringen, was man über den deutschen Film wissen sollte, vor allem: was es über die lückenhafte Geschichte weiblichen Filmschaffens noch zu entdecken gibt.

Guerillafilme fürs Kneipenkino

Ab 9. Februar wird die Regisseurin in Berlin anwesend sein und mit einer Werkschau im Arsenal Kino geehrt, für die geduldige Recherchen zu ihren zum Teil verschollenen oder beschädigten Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen nötig waren. Zusätzlich präsentiert Ula Stöckl während der Berlinale mit Edgar Reitz die endlich restaurierte Fassung von "Kübelkind", ihrer gemeinsamen Guerilla-Filmserie über eine anarchisch-erotische „Femme terrible“, die 1970 von dem damals liierten Filmemacherpaar direkt für den Vertrieb in Kneipenkinos produziert wurde, aber dann verschüttging.

Ula Stöckls bekanntester Film, „Neun Leben hat die Katze“, zugleich ihr Abschlussfilm nach dem Filmstudium, hätte sie im gefühlten Umsturzjahr 1968 mit einem Schlag bekannt machen können, wäre da nicht die Pleite ihres Verleihers gewesen. Das farbenfrohe, rätselhafte Kinostück erzählt in lockerer Dramaturgie von zwei gegensätzlichen Freundinnen, die im revolutionären Schwung des Frühsommers 1968 in München ein paar Tage zwischen boulevardjournalistischem Alltag, WG-Partys, Flirts und Krisen erleben. Avant la lettre schuf Ula Stöckl einen Film über die neuen Frauen der Ära, der heute nichts von seiner sinnlichen Kraft verloren hat.

Früher Verlust im Bombenkrieg

Für Ula Stöckl war die Grenzüberschreitung ein existenzielles Muss. Sie hatte im Bombenhagel auf Ulm drei Geschwister und die Orte ihrer Kindheit verloren. Das blanke Funktionieren der Mutter in der Familie konnte schon früh nicht ihr Vorbild sein. Sie studierte Sprachen in London und Paris und arbeitete als Sekretärin in der französischen Hauptstadt, bis sie nach Ulm zurückkehrte, um als eine der ersten Frauen an der neu gegründeten Hochschule für Gestaltung zu studieren. Alexander Kluge riet ihr zur Regie, Edgar Reitz förderte ihr visuelles Talent, mit dem Kameramann Thomas Mauch, neben Bärbel Freund einer der Kuratoren der Werkschau im Arsenal, drehte sie erste Filme.

Eigenwillige Frauen, abgründige Paarbeziehungen und widerborstige Kinder prägen ihr Werk, das sie trotz enger Budgets immer fern der eingefahrenen Spuren realisierte. „Ein perfektes Ehepaar“ führt das schicke Modell der offenen Ehe ad absurdum, indem die Frau, ausgerechnet eine Fernsehpsychologin, der Verlogenheit ein blutiges Ende bereitet. „Erikas Leidenschaften“, ein fulminantes Zwei-Personen-Drama, konfrontiert eine eher konsensfreudige passive junge Frau mit ihrer übergriffigen dominanten Freundin. Das Spiel um Macht in einer Freundinnenbeziehung, mit autobiografischen Bezügen von Vera Tschechowa und Karin Baal verkörpert, passte nicht in den utopischen Rahmen der damaligen Frauenbewegung – einer von vielen Filmen, in denen sich der Freigeist Ula Stöckl eine undogmatische Perspektive auf Machtverhältnisse erlaubte.

Medea als Heldin

Viele Jahre wirkte Ula Stöckl im Auswahlgremium des Berlinale-Wettbewerbs, arbeitete in gleicher Funktion für das berühmte französische Frauenfilmfestival in Créteil bei Paris, lehrte und moderierte weltweit als Expertin nicht nur ihres eigenen Werks. Eigene Filmprojekte, von denen viele in ihrem Schreibtisch schlummern, konnte sie seit den 1990er Jahren nicht mehr durchsetzen. Der wachsende Quotendruck im Fernsehen und schwer durchschaubare Diskurshoheiten im Fördersystem schlossen ihren Blick auf die Wirklichkeit, ihre Anlehnung an mythische Frauengestalten und den cineastischen Anspruch auf Bilder jenseits planer Handlungsdramaturgie aus.

Einmal noch gelang ihr mit „Schlaf der Vernunft“ ein modernes Medea-Drama. Ida de Benedetto verkörpert in dem Schwarz-Weiß-Film eine Ärztin, die sich der Forschung über die Nebenwirkungen der Antibabypille widmet und damit die Beziehung zu ihrer Yuppie-Tochter und ihrem Mann, einem auf den Pillenboom setzenden Frauenarzt, aufs Spiel setzt.

Heute ist umso klarer zu erkennen, dass Ula Stöckls Filme ihrer Zeit voraus waren. Den Tenor bestimmen nicht mehr ihre ungedrehten, abgelehnten Projekte, sondern das überraschende Spektrum ihrer auffindbaren und aufführbaren Filme. Einige davon kann die Jubilarin in den kommenden Wochen nach langer Zeit selbst wieder entdecken, wenn sie nach Berlin kommt und ihre Filme mit dem Publikum diskutiert.

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