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Ein Chor erinnert sich. Szene aus dem Auftaktstück „Tarzan rettet Berlin“ im Hebbel am Ufer.

© Francke/Schall/HAU

Zum 75. Geburtstag von Einar Schleef: Wenn ich aus dem Haus geh’

Körper, Räume, Textpassagen: „Tarzan in Berlin“ von Einar Schleef eröffnet das HAU-Festival zur Erinnerung an den Theaterberserker.

Tagebücher sind ja meist eine Zumutung. Entweder, weil sie Einblicke in das Intimste und Banalste geben, als verschämtes Selbstgespräch, dem besser keiner zuhören sollte. Oder weil sie auf die Veröffentlichung schielen, den literarischen Applaus, weswegen die Notizen zu Aphorismen gerinnen und sich jede Zeile nach kluger Zeitzeugenschaft streckt. Ebenfalls schwer erträglich. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Und selbstverständlich zählen die Tagebücher von Einar Schleef dazu. Aus dem einfachen Grund, dass der 2001 gestorbene Künstler aus Sangerhausen zu den wenigen Menschen zählte, die man mit gutem Gewissen „kompromisslos“ nennen durfte, ohne Assoziationen an einen Vorabendkrimi mit ungelöstem Verbrechen zu wecken.

Der Schriftsteller, Maler, Bühnenbildner und Regisseur Einar Schleef, der Theater-Rausschmisse sammelte wie andere Preise, ringt in seinen Hunderte Seiten starken, schon als Kind begonnenen Aufzeichnungen oft derart ungeschützt mit sich selbst, dass kein Zweifel an der Dringlichkeit seines Schreibens aufkommt. 1981, in der Selbsthilfegruppe der Stotterer, notiert er: „Heute ist Sprechen. Ich habe nie so viel nachgedacht, warum der Körper mich quält, niedergedrückt, wie das Sprechen in mir mich abwürgt. Jetzt kommen die Niederlagen. Ich bin kaum zu verstehen.“

Am HAU, wo Schleefs 75. Geburtstag posthum mit dem Festival „Erinnern ist Arbeit“ gewürdigt wird, skandiert ein zwölfköpfiger Chor diese Sätze. In roten Samtanzügen, auf einem Steg, der vom Rang des HAU 1 auf die Bühne führt, ackert sich das Kollektiv durch biografisches Geröll, das immer nur für Momente fassbar wird. „Das Individuum lügt, der Chor sagt die Wahrheit“ – auch so ein Satz, den Schleef hinterlassen hat. Ob man dem nun zustimmen oder den Massen-MenschenAuftritt wie Peter Zadek als „Faschisten-Scheiße“ abtun möchte – das Gemeinsame schützt im Theater vor überschießenden Solo-Eitelkeiten. Das ist doch schon mal was.

Schleef passte in kein System - weder in Ost noch in West

„Tarzan rettet Berlin“ heißt der Auftaktabend, ein Chorprojekt nach Tagebucheinträgen, inszeniert von Janina Audick, Martina Bosse, Brigitte Cuvelier und Christine Groß. Groß arbeitete mit Schleef noch zusammen, was sie in der Festivalpublikation prägnant beschreibt. „Nach einer Woche Probe habe ich gefragt, ob ich bleiben darf, und er sagte: ‚Na, ist doch Ihre Entscheidung, nicht meine. Jeder, der geht, ist mir lieb, jeder, der bleibt, ist mir lieb’. Das hat mich geprägt.“

Wohl auch aus diesem Grund gehen die „Tarzan“-Künstlerinnen nie Gefahr, den Denkmalsockel für Schleef zu hoch bauen zu wollen. Aus den Tagebüchern, eigenen Textpassagen und chorischen Liedern fügen sie das Bild eines Drifters zusammen, der weder in Ost-, noch in Westdeutschland ins System passte – was nie zur heroischen Rebellenpose überhöht wird. Auch Anecken ist Arbeit.

Kuratorin Aenne Quinones und ihr Team setzen beim Schleef-Festival eine vielversprechende Bespiegelung in Gang: mit dem WDR-Porträtfilm „Im freien Fall nach oben. Regisseur Einar Schleef und das Theater heute“ von 1993, einer Lesung unter anderem aus „Droge Faust Parsifal“ von Benny Claessens und Mira Partecke sowie dem Vortrag „Wenn ich nur schon zu Hause wäre“ von Fabian Hinrichs (am 12. Januar ab 18 Uhr). Alles im Bewusstsein, dass man Einar Schleef sowieso nie ganz zu fassen bekommt. Am ehesten noch, wenn man ihn auch als Scheiternden wahrnimmt.

Schleef entwirft einen kleinbürgerlichen Sozialismus-Albtraum

„Tarzan rettet Berlin“, so heißt auch ein frühes Stück von ihm, ebenfalls gesammelt unter den Aufzeichnungen, die der Junge Einar – so beschreibt er es einmal – vor dem Stasi-mäßigen Schnüffelfuror seiner strafenden Eltern verstecken musste. Ausgerechnet in der Schule, dem anderen Ort der Unfreiheit. Das Stück ist eine Groteske, angesiedelt in einem Hochhaus am Leninplatz, mit Blick auf das Denkmal des Namenspatrons, das wiederholt „Die Arbeiterklasse!“ quäkt. Schleef entwirft einen kleinbürgerlichen Sozialismus-Albtraum mit Schimpansen. Aus dem Westfernsehen schwappt das Wasser, unbefriedigte Kopulationsgelüste schaffen Spannung, und der verfluchte Affe Schita hat vergessen, in der Kaufhalle die Bananen zu besorgen. Krokodile, Tarzan und Erich Honecker kommen vor, am Ende versinkt die ganze Stadt in den Fluten, ganz ehrlich: nach spätem Ruhm schreit das Stück nicht.

Aber der „Tarzan“-Chor gibt es auch nicht der Lächerlichkeit preis. Es steht einfach seltsam und ein bisschen unbeholfen zwischen Erinnerungen an die eigene Konfirmation oder den Tod von Elvis, neben Beschreibungen der Zerrissenheit und des Wunsches nach Zugehörigkeit. In der DDR und später, nach der Flucht, auch im Westen, wo das Gefühl von Unbehaustheit nicht aufhört.

„1981. Wenn ich aus dem Haus geh, endet es an der Mauer. Das ist eine Beziehung unbewusst, nur ein Wort, mich zu trösten, die Augen zukleben, weil ich’s weiß, davor knie ich, steig das Gerüst hoch, über die Zementplatten gucken. In den Turm, wo die Jungs das Fernrohr anlegen,“ schreibt Schleef. Und weiter: „Zu ihnen gehören, den Wunsch hatte ich nie, trotzdem setze ich mich hin, verstehe ich ihre Sprache“.

Film-, Lesung- und Musikprogramm an diesem Samstag ab 18 Uhr. „Tarzan rettet Berlin“ wieder am 14.+15.1., 19 Uhr, HAU 1

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