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Berserker, Bürgerschreck, Enfant terrible des deutschen Films: und immer mit Lederjacke und Zigarette. Eins der ikonischen Bilder von Rainer Werner Fassbinder.

© Peter Gauhe

Zum 70. von Rainer Werner Fassbinder: Geliebt und gehasst

Fassbinder auf allen Kanälen: eine RWF-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau, Veranstaltungen beim Theatertreffen, neue Dokumentarfilme. Er drehte 44 Filme, starb mit 37 Jahren, geliebt und gehasst. Versöhnt sich die Nation jetzt mit dem streitbaren Filmemacher? Wird der Bürgerschreck nun zum Schöngeist?

Sie liegt nackt auf dem Bett, er sitzt davor, breitbeinig, stumm. Die Familie versammelt sich am Esstisch, die Kamera scannt Gesichter, Blicke, knappe Sätze. Und die Partyleute auf der Terrasse regen sich kaum, als Hanna Schygulla in Zeitlupe tanzt. Liebespaare, Familienaufstellungen, Gruppenbilder mit Stars: Fassbinders Filme sind Installationen einer erstarrten Gesellschaft, tableaux vivants der Nachkriegsrepublik. Spröde, präzise, von glühender Kälte. Im Berliner Martin-Gropius-Bau kann man seine Sittengemälde nun in Augenschein nehmen und die Zeichenschrift seiner Deutschlandbilder in einer Dunkelkammer mit drei großen Leinwänden entziffern.

Fassbinders Helden, schrieb Oskar Roehler einmal, sind einzigartig, weil er nie behauptet, sie zu verstehen. Roehlers Hommage an RWF zu dessen 20. Todestag erschien 2002 im Tagesspiegel. In seinem jüngsten Film „Tod den Hippies – Es lebe der Punk!“ lässt Roehler sein einstiges Vorbild kurz auftreten. Fassbinder als zugedröhnter Lederschwuler im Club – so sah ihn Roehler einmal am Tresen des „Dschungel“, 1981 in West-Berlin. Nach der Hommage die Entsorgung, ein kurzer, heftiger Todesstoß.

Neuerdings ist ganz Deutschland mit Fassbinder beschäftigt. Am 31. Mai wäre er 70 geworden; nach der ersten großen Retro zum 10. Todestag 1992, nach internationalem Ruhm mit Ausstellungen im New Yorker MoMA und dem Pariser Centre Pompidou kehrt der Prophet nach Hause zurück und ist in Mode wie nie. Wird gefeiert, restauriert, digitalisiert, re-inszeniert, musealisiert, aktualisiert, eingemeindet, auf den Kunstsockel gehoben – und alle verstehen ihn jetzt. Die Kulturnation versöhnt sich mit dem großen Außenseiter des deutschen Films, diesem unmöglichen Typen, der in nur 16 Jahren 44 Kino- und TV-Filme drehte.

Wie aktuell ist Fassbinder, wie historisch? "Fassbinder JETZT" heißt die Ausstellung in Berlin

Fassbinder, einer von uns. Einschließlich seiner Homo- und Bisexualität, seiner Politisierung des Privaten, seiner Arbeitswut, seines Drogenkonsums (der zu seinem frühen Tod mit 37 Jahren führte, am 10. Juni 1982), seiner Melancholie, seines Leidens an Deutschland, der statischen Einstellungen und der legendären Kamerakreisfahrten. Rainer Werner Fassbinder, eine Marke, ein Label.

„Fassbinder JETZT“ heißt die Ausstellung in neun Räumen des Gropius-Baus, eine erweiterte Schau des Frankfurter Filmmuseums von 2013, mit Dokumenten, Devotionalien, Interview-Collage, den legendären Kostümen von Barbara Baum, Fotos, Filmausschnitten und jüngerer Videokunst, die Fassbinders Werk reflektiert. Das Theatertreffen widmet ihm eine Focus-Reihe mit Bühnenstücken, theatralischen Aktionen, Dokumentationen, Symposium (8.5.), dazu eine Filmnacht im Delphi (12.5.) und eine begleitende Werkschau im Arsenal. Hanna Schygulla singt Fassbinder-Lieder (auch am 31.5. im Heimathafen Neukölln), Fassbinder-Schauspieler Harry Baer liest mit Axel Pape „Fassbinders ,Lola’ – nur anders“ (11.6., Bar jeder Vernunft) – und seit letzter Woche läuft Annekatrin Hendels Porträtfilm „Fassbinder“ im Kino (sowie am 27. 5. auf Arte, am 16.6. in der ARD).

Sittengemälde. „Warnung vor einer heiligen Nutte“ (1970), mit Lou Castel als Regisseur (M.) und Fassbinder als Herstellungsleiter, rechts im weißen Anzug.
Sittengemälde. „Warnung vor einer heiligen Nutte“ (1970), mit Lou Castel als Regisseur (M.) und Fassbinder als Herstellungsleiter, rechts im weißen Anzug.

© Rainer Werner Fassbinder Foundation, Berlin

Ein Film, der das Phänomen Fassbinder klein macht, trotz vieler Gespräche mit Weggefährten, mit Schygulla, Baer, Irm Hermann, Margit Carstensen, Hark Bohm, Volker Schlöndorff und etlichen mehr. Fassbinders Werk zerhäckselt, verschüttet im Gewirr der Stimmen und Statements. Hendel legt dar, wie RWF in seinen Filmen unentwegt von sich selber erzählt. Stimmt schon, seine Figuren waren seine Alter Egos, seine Partner, sein Team. Aber vom Liebeskummer in „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ bis zur Selbstentblößung in „Deutschland im Herbst“ schlug er sich dabei immer auch mit der Krankheit Deutschland herum, mit dem kollektiven Unbewussten der Nation, der Macht der Gefühle und dem Missbrauch der Liebe, dem sozialen Gefüge, der Schuld, der Gewalt, den Ängsten und Sehnsüchten von Land und Leuten.

Eine Putzfrau liebt einen Schwarzen, in „Angst essen Seele auf“: Ja, Fassbinder ging auch mit Schwarzen ins Bett, aber er wollte ebenso wissen, wie die Deutschen ihre Ausländerfeindlichkeit überwinden und mit Migranten leben können.

Der Streit um das Erbe wird in Annekatrin Hendels Porträtfilm nicht einmal erwähnt

Das Unbehagen als künstlerischer Motor, der Schmerz als Energiequelle – Fehlanzeige in Hendels Film. Ebenso Fassbinders Geist der Freiheit, von dem der Däne Christian Braad Thomsen in seinem ungleich ruhigeren Interviewfilm „Fassbinder – Lieben ohne zu fordern“ zu berichten weiß (7. 5., Haus der Berliner Festspiele, 20 Uhr). Fassbinder wuchs mit Frauen auf, in einem Mehrgenerationenhaushalt, er durfte machen, was er wollte, wurde nie bestraft. Die Geburt der Anarchie aus der Großfamilie, da ist das Private tatsächlich politisch.

Fassbinder-Schauspielerin Hanna Schygulla (l.) erklärt der Dokumentaristin Annekatrin Hendel, wie sie für ihre Bilder Fassbinder-Szenen übermalt.
Fassbinder-Schauspielerin Hanna Schygulla (l.) erklärt der Dokumentaristin Annekatrin Hendel, wie sie für ihre Bilder Fassbinder-Szenen übermalt.

© Realfictionfilme/Beate Nelken

Stattdessen betont Juliane Lorenz, Fassbinders Cutterin und letzte Lebensgefährtin, seine „Sehnsucht nach einem Kind, einer Familie“. Lorenz, Chefin der Fassbinder-Foundation, betreibt seine Entpolitisierung, indem sie den Traum von einem bürgerlichen Leben und den unerbittlichen Blick auf das Bürgerliche voneinander abkoppelt. Kein Wort im Film darüber, dass die Erbverwalterin in der Fassbinder-Family umstritten ist und es mit Familienmitgliedern wie der Schauspielerin Ingrid Caven oder dem Kameramann Michael Ballhaus Zoff um das Erbe gab. Auch um ästhetische Fragen wurde gestritten, vor allem bei der Restaurierung des TV-Zehnteilers „Berlin Alexanderplatz“.

Künstler reagieren auf Fassbinders Filme, mit Skulpturen und Videoarbeiten. Die Originale sind stärker

Die ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Foundation entstandene Ausstellung lenkt den Blick bewusst weg vom Bürgerschreck und Berserker RWF. Die Schau zum 10. Todestag, damals am Alexanderplatz, war um sein Bett in seiner Münchner Wohnung herum arrangiert. Diesmal kann sich der Besucher auf der Kaskaden-Couch fläzen, die ebenfalls in München stand. Sitzelemente, die sich zur coolen Sofalandschaft fügen. Ein paar Meter weiter Fassbinders Trumm von Videorekorder und die Schreibmaschine, mit der seine Mutter Liselotte Eder die nächtlichen Drehbuchdiktate transkribierte. Relikte aus dem analogen Zeitalter, zum Staunen für junge Besucher.

Neben der Frage, was an Fassbinder aktuell ist und was an seinen Filmen gealtert sein mag (die Mustertapeten, Brigitte Miras Kittelschürze in „Angst essen Seele auf“), rückt die Ausstellung vor allem die Filmkunst ins Zentrum. Wer den politischen Fassbinder sucht, etwa seine Auseinandersetzung mit der RAF oder die wohl heftigste Fassbinder-Debatte um sein Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod", sucht vergeblich. Nichts über den jüdischen Frankfurter Immobilienspekulanten des Stücks, in dem viele Ignatz Bubis erkannten, nichts über die wiederholten hitzigen Auseinandersetzungen um Antisemitismus, die dazu führten, dass das Stück erst vor fünf Jahren in Deutschland überhaupt aufgeführt wurde.

Aber auch das Ästhetische ist politisch, Fassbinders Erkundung der Machtverhältnisse in der Liebe, des Faschismus im Privaten. „Diese verstörenden Bildarrangements, mit Spiegeln, Rahmungen, Tiefenstaffelung, das sieht man heute nur in der Videokunst. Damals lief das im Fernsehen!“, sagt die Frankfurter Museumschefin Claudia Dillmann. Während der Katalog Fassbinder-Spuren im Werk von Almodóvar, Ozon oder Wong Kar-wei ausmacht (und an Fassbinders Kampf mit den öffentlich-rechtlichen Sendern erinnert), gehört die Dunkelkammer mit den Filmkompilationen zum Eindrücklichsten der Schau selbst. Die acht Fassbinder-inspirierten Kunstwerke sehen blass aus dagegen: Runa Islams Videoarbeit „Tuin“ von 1998, ein Re-enactment der virtuosen Kamerakreisfahrt in „Martha“, genauso wie Maryam Jafris „Costume Party“ als theatralisch-queere Erkundung von „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ oder Rirkrit Tiravanijas Arbeiten, der „Fear Eats The Soul“ auf T-Shirts und Zeitungen druckt.

Auch Fassbinders Sprache lässt sich in der Ausstellung entdecken

Vielleicht liegt es schlicht daran, dass Fassbinder immer Menschengeschichten erzählte, seine Ästhetik war kein Selbstzweck. So ist die Kreisfahrt in „Martha“ Ausdruck einer gefangen nehmenden, alle Freiheit erdrosselnden Liebe.

Auch Fassbinders Sprache lässt sich entdecken, ihre Präzision, ihre Poesie. „Bin aus München. Ich hab ein Mädchen da. Die hab ich lieb“, heißt es zu Beginn seines Debütfilms „Liebe ist kälter als der Tod“. Büchner, Kleist, Kafka, Horváth, Brecht, das alles klingt an. Bei den im Werkstattraum präsentierten Dokumenten kann man auf Entdeckungstour gehen. Da ist sein fehlerfrei ins Diktafon gesprochenes „Berlin Alexanderplatz“-Script (78 Stunden!), da sind seine in eleganter Kleist’scher Grammatik formulierten Verträge. Und der Brief von Romy Schneider, die 1975 seine Anfrage wegen „Die Ehe der Maria Braun“ beantwortete. Irre, wie oft darin das Wort Angst vorkommt. Dazu Fassbinders Liebe zu Listen, zu Besetzungs-, Kalkulations- wie Fußballerlisten. Von wegen Chaot.

Eros und Ethos, Glamour und Politik, all das vereinte Fassbinder in seiner Person

In einer der Vitrinen findet sich auch Fassbinders DFFB-Bewerbung, die Berliner Filmhochschule lehnte ihn 1966 ab. Zu den Bewerbungsaufgaben gehörte eine Kritik über Godards „Vivre sa vie“, Fassbinder zitiert darin das Montaigne-Motto des Films. „Man muss sich den anderen hingeben und sich selbst treu bleiben.“

Vielleicht hat der RWF-Hype ja mit dieser Hingabe und dieser Treue zu tun. Damit, dass Fassbinder in seiner Person vereinte, was sonst himmelweit voneinander entfernt ist: Eros und Ethos, Kunst und Leben, Glamour und Politik, Melodram und Aufklärung, Hollywood und Autorenkino. Theater, Film, Bildende Kunst – neuerdings will sich das alles mischen und strengt sich gehörig an, in der Hochkultur wie in der freien Szene. Fassbinder hatte die Mischung im Blut.

Das Rätsel Rainer Werner Fassbinder, gelöst? Viele Weggefährten sind tot, an Drogen gestorben, an früher Krankheit, an einer Überdosis Arbeit, an Nichtversöhntheit. Es wäre gut, Fassbinders sperrigen Rest nicht so schnell zu entsorgen.

"Fassbinder JETZT": Martin-Gropius-Bau Berlin, Niederkirchner Str. 7, bis 23. 8., Mi–Mo 10–19 Uhr. Katalog 25 €. Publikation zu Barbara Baums Kostümen: „Film/Stoffe“, 19,80 €. – Infos und Begleitprogramm: www.gropiusbau.de. „ Focus Fassbinder“ beim Theatertreffen: www.berlinerfestspiele.de

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