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Humboldt-Objekte. Drucktypen der Nagari-Schrift, die Wilhelm erforschte.

© Atelier du Livre d'art & de l'Estampe de l'Imprimerie/DHM

Zum 250. eine Ausstellung im DHM: Die Brüder Wilhelm und Alexander Humboldt

Bruder-Kosmos: Das Deutsche Historische Museum Berlin präsentiert erstmals Wilhelm und Alexander von Humboldt.

Kinder der Aufklärung waren sie, und das im wahren Sinne des Wortes. Die Brüder Humboldt gehörten zu der ersten Generation Europäer, die mit der Aufklärung aufwuchs. Von aufgeklärten Gelehrten wurden sie erzogen, in den Salons der Berliner Aufklärung trainierten sie Denken und Sprechen, sie sogen den kritischen Geist mit der Muttermilch ein.

Wer über sie spricht, schreibt, sie ausstellt, kommt nicht darum herum, sich über Rolle und Ambivalenz der Aufklärung Gedanken zu machen. Über all das, was mit ihr verbunden ist: Reiselust. Wissensdurst. Messinstrumente. Tabellen. Fortschrittsglaube. Europa. Freiheitssehnsucht. Die neue Welt. Wir!

Zum Ende des Humboldt-Jahres eröffnet nun die Ausstellung „Wilhelm und Alexander von Humboldt“ im Deutschen Historischen Museum (DHM) – zu einem Zeitpunkt, da mancher vielleicht denkt, er habe genug von den Humboldts gehört.

Sind sie doch ausgiebig gefeiert worden: Wilhelm, der Bildungsreformer, Sprachwissenschaftler und Diplomat, im Jahre 2017, als sich sein 250. Geburtstag jährte; Alexander, Naturforscher und Abenteurer, in diesem Jahr.

„Sie sind uns vertraut und unvertraut zugleich.“

Kaum eine wissenschaftliche oder kulturelle Institution in Berlin, die nicht irgendwie auf Alexanders 250. Geburtstag eingegangen ist, dazu eine Fülle von Neuerscheinungen, und nun als krönender Abschluss – erstaunlicherweise – die erste große Ausstellung in Deutschland, die beiden Brüdern gewidmet ist.

Keine Heldengeschichten wolle man präsentieren, betont DHM-Präsident Raphael Gross, sondern die Brüder kritisch in den Gegensätzen ihrer Zeit verorten: „Sie sind uns vertraut und unvertraut zugleich.“ Die Kuratoren, die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und der Historiker David Blankenstein, kommen aus dem Schwärmen kaum heraus.

Etwa 350 Objekte haben sie zusammengetragen, aus Paris, London, dem Baskenland, Rom und Ecuador. 70 Leihgeber, darunter die Vatikanischen Sammlungen, der Louvre und Windsor Castle, haben ihnen Originalobjekte überlassen, die zum Teil zum ersten Mal zu sehen sind.

Savoy und Blankenstein präsentieren ihre Schätze in sieben Themenbereichen, die nur durch weiße Stoffbahnen voneinander getrennt sind. Transparenz und Bezüge herzustellen, ist das Ziel dieser luftigen Ausstellungsgestaltung. Der Rundgang folgt nicht chronologisch den Biografien der Brüder, sondern den Themenfeldern, die für beide prägend waren: Kindheit ohne Gott, offene Beziehungen, politische Schlachtfelder, globale Interessen, Bildungskapital, Kräftemessen.

Die beiden haben sich gleichermaßen als gegensätzlich wie als verwandt empfunden

Der Bereich „Ausweitung der Denkzone“ zum Beispiel umfasst die Reisen Alexanders – Messinstrumente und die kostbaren amerikanischen Reisetagebücher aus der Staatsbibliothek, in Russland gesammelte Mineralien –, aber auch Bilder und Zeichnungen, die Wilhelm und seine Frau Caroline im Baskenland zeigen. Denn auch Wilhelm, der intensiv die baskische Sprache studierte, war gut unterwegs.

In den Jahren, in denen Alexander durch Amerika tourte, legte Wilhelm in Europa 9000 Kilometer zurück. Ein Doppelsattel aus der Zeit, Cacolet genannt, vermittelt eine Idee davon, wie man damals reiste – ein Glücksfall für die Kuratoren, so Savoy, denn „es war schwieriger, zu Wilhelm Objekte zu finden als zu Alexander“. Ein Prunkstuhl, auf dem der Diplomat Wilhelm während des Wiener Kongresses saß, ist eins davon.

[Wilhelm und Alexander von Humboldt, Deutsches Historisches Museum (Pei-Bau, Hinter dem Gießhaus 3, 10117 Berlin). 21. November 2019 bis 19. April 2020. Katalog bei wbgTheiss, 28 Euro.]

Alexanders Schreibtisch
Alexanders Schreibtisch

© S. Pelly/Observatoire de Paris/DHM

Briefe, Schreibinstrumente, Karten, Zeichnungen spielen naturgemäß eine große Rolle. So kann man sich vertiefen in winzige Weltkarten, die der 13-jährige Alexander zeichnete; eine ganze Wand voller Lehrbücher betrachten, mit deren Hilfe die jungen Brüder ihr anspruchsvolles Bildungsprogramm absolvierten; oder einen Chiffrenbrief bewundern, den Wilhelm der von ihm verehrten Salonière Henriette Herz schrieb – auf Deutsch, aber in hebräischer Kurrentschrift.

Handfester dagegen der „Lichterhalter“, den Alexander während seiner Tätigkeit als preußischer Oberbergmeister in Franken erfand und bei dessen Erprobung im Bergwerk er fast erstickt wäre. Oder ein Marmorkrokodil aus den Vatikanischen Museen, geschaffen von einem antiken römischen Bildhauer.

Alexander beschrieb es, als er 1805 seinen Bruder in Rom besuchte, und hielt messerscharf fest: Das marmorne Krokodil hatte, anders als die von ihm beobachteten Tiere auf Kuba, keine Zunge!

Auch der Originalschreibtisch von Alexander ist zu sehen, den die beiden Kuratoren im Observatoire in Paris aufspürten, wo sie 2014 die Ausstellung „Les frères Humboldt. L’Europe de l’esprit“ organisierten. Das Möbel steht auf Rollen, mobil wie sein Besitzer.

„Forschungsreisende waren unverzichtbarer Bestandteil jenes kulturellen Prozesses"

Wie unterschiedlich waren die Brüder, die sich selbst als gegensätzlich und doch aufs Engste verwandt empfunden haben? Wilhelm, an den Schöpfungen und am Funktionieren des Geistes interessiert, Alexander, der die ganze Natur fassen und erleben wollte: In ihren Arbeitsweisen unterschieden sie sich nicht so sehr.

Beide sammelten – Wilhelm Sprachen, Grammatiken, Wörter, Alexander Pflanzen, Minerale, Messergebnisse –, beide hielten das Gefundene in Tabellen fest, und beide versuchten hinter den Einzelheiten das große Ganze zu erfassen.

Vertreter der „ganzheitlichen Aufklärung“ seien sie gewesen, so schreibt die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston im Katalog, mit einer „weltumfassenden Vision von menschlicher und natürlicher Vielfalt, lange bevor Vielfalt und Diversität zu einem Wert als solchem wurden“.

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Wissenschaft ist nicht neutral

Doch, und auch das wird in der Ausstellung deutlich, Wissenschaft ist nicht neutral. Wer lückenlos erfassen möchte, wer Kategorien bildet, klassifiziert, Fachwörter einführt, der beansprucht für sich Benennungsmacht.

Systematik und Terminologie der in der Humboldt-Zeit entwickelten Wissenschaft waren europäisch, die „Matrix Europa“ legte sich damals über die Welt. „Wissen hat immer auch mit Politik, mit Macht zu tun“, sagt Savoy, und der kolumbianische Historiker Mauricio Nieto Olarte schreibt im Katalog: „Forschungsreisende waren unverzichtbarer Bestandteil jenes kulturellen Prozesses, mit dem Europa seinen globalen Herrschaftsanspruch definierte“.

Wie immer im DHM ist die Ausstellung auf vorbildliche Weise inklusiv – Brailleschrift, Gebärdensprachvideos, Geruchsstationen erlauben es allen Besucherinnen und Besuchern, sich sehend, hörend, riechend oder auch fühlend einen eigenen Reim auf die Brüder Humboldt zu machen. Wie hat Alexander gesagt? „Die Natur muss gefühlt werden.“ Ein Gefühl für die Zeit um 1800 und ihre Widersprüche bekommt man im Pei-Bau.

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