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Erster Akt? Mitglieder der Gruppe „Staub zu Glitzer“ bei der Volksbühnenbesetzung im September 2017. Foto: Imago/Christian Mang

© imago/Christian Mang

Update

Zukunft der Volksbühne: Der Traum vom kollektiven Theater

Die Theater-Aktivisten von "Staub zu Glitzer" machen einen Kongress – mit dem künftigen Intendanten René Pollesch. Mit dem ehemaligen, Chris Dercon, ging es vor Gericht weiter.

Manche nannten es eine Besetzung, andere sprachen von einer Inszenierung. Im September 2017 jedenfalls fand dies für sechs Tage das erste Mal statt. Die Gruppierung "Staub zu Glitzer" hatte die Volksbühne auf dem Rosa-Luxemburg-Platz an sich gerissen, also "bespielt" – bis mit Hilfe der Polizei geräumt wurde. Fast zwei Jahre später wollen die Theateraktivisten nun die Aktion wiederholen, kündigte Sarah Waterfeld an, die sich selbst als "Anarcho-Kommunistin" beschreibt, an einem Sonntagnachmittag Anfang Juni auf einer Terrasse im Charlottenburger Biergarten - also bevor René Pollesch zum neuen Intendanten ernannt wurde.

Die Literatur-, Politik- und Medienwissenschaftlerin, geboren 1981 in Berlin, trat 2012 eine Stelle im Bundestag als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Linksfraktion an und veröffentlichte im Anschluss ihren Debütroman "Sex mit Gysi" im Eulenspiegel-Verlag. Gregor Gysi habe übrigens geklagt, erzählt sie, allerdings vergeblich. Sie hat auch mal als Vorsitzende der Linkspartei kandidiert – eher satirisch gemeint allerdings. Jetzt ist sie Sprecherin von "Staub zu Glitzer".

"Tag X" wird kommen, kündigte das Kollektiv im Internet an. Ein genaues Datum wird nicht genannt. Vielleicht werden sie sich kollektiv Karten für ein Theaterstück kaufen oder anders ins Haus gelangen, ob zur Spielzeit oder in der Spielpause - so schwer ist das nicht, dort reinzukommen. Besonders dann nicht, wenn man Komplizen unter den rund 150 Volksbühnen-Mitarbeitern hat.

Denn "Staub zu Glitzer" ist aus dem Gewerk des traditionsreichen Produktionshauses entstanden. Im Januar 2017 hatte sich eine Gruppe Volksbühnen-Mitarbeiter an eine Gruppe von Besetzern gewandt, die gerade im Zuge der Debatte um den Soziologen und ehemaligen Staatssekretär Andrej Holm das Institut für Sozialwissenschaften in der Humboldt-Universität besetzt hatten, mit der Bitte, dies doch auch bei der Volksbühne zu tun. Hieraus bildete sich "Staub zu Glitzer" – mit dem Ziel der "Enthierarchisierung des Theaterbetriebs".

Dörr verändere die Volksbühne in ein "stinknormales Theater"

Seit der Besetzung vor zwei Jahren werden sie gelegentlich als Spinner beschimpf. Aber Waterfeld ist da resistent, das Kollektiv macht weiter und hat eigentlich auch nichts zu verlieren. Aufgeben? Nein, dafür war man zu nah dran, dafür hat man viel zu viel Resonanz bekommen – mehr als zahlreiche Theaterstücke, die nach Spielplan stattfanden. Aber, so gibt Waterfeld zu, das Kollektiv musste sich schon neu orientieren.

Der ungeliebte Chris Dercon hat mittlerweile Berlin verlassen, doch das sei, hingegen zahlreicher Berichte, niemals das Ziel von "Staub zu Glitzer" gewesen. Waterfeld wirft die Arme in die Höhe und lässt sie langsam wieder fallen. Auch Übergangsintendant Klaus Dörr verändere die geliebte Volksbühne in ein "stinknormales Theater". Waterfeld redet jetzt lauter, sie muss die gerade eingetroffene Gruppe Touristen am Nebentisch übertönen. Dörr mache, was man Dercon immer vorgeworfen hatte: Elitentheater. Es sei Verrat an der Kunst, dort überhaupt Stücke zu zeigen, unter dieser Leitung solle dort niemand inszenieren.

Was Pollesch zu einer Zusammenarbeit mit "Staub zu Glitzer" sagt

Dörr ist noch bis Ende der Spielzeit 2020/21 Leiter der Volksbühne. Als Nachfolger wurde bereits René Pollesch benannt – zu Freude von "Staub zu Glitzer". Gespräche über eine Zusammenarbeit laufen bereits, erzählt Waterfeld. Pollesch jedenfalls wird zum "alternativen Volksbühnengipfel" von "Staub zu Glitzer" kommen, am 6. Juli um 16 Uhr im Club- und Kulturhaus "Mensch Meier". Nach Vorstellung vom "Staub zu Glitzer" soll die Ein-Personen-Intendanz vollständig abgeschafft werden, bis die Volksbühne rund zwei Jahren später vollständig kollektiv geführt werden könne – Pollesch könnte dieser "Übergangs-Intendant" werden. Dieser sagt zu einer möglichen Zusammenarbeit: "Das versuchen wir jetzt herauszufinden."

Die Aktivisten sind derzeit bei der Planung des Gipfels. Es werden noch Leute gesucht, die eine Rede halten möchten "gegen das Dreckssystem, gegen Gentrifizierung, gegen die eigenen scheißprekären Lebensumstände", oder ihre Kunst präsentieren wollen – so heißt es in einer Rundmail. Dabeisein wird auch Frank Künster, der Türsteher, Clubbesitzer, Filmproduzent und Schauspieler. Er war auch 2017 bei der Besetzung der Volksbühne dabei. "Kommt alle zum alternativen Volksbühnengipfel, am besten nackt", sagt er in einer Videobotschaft. "Es lebe die Revolution."

"Ehrenamtliche Arbeit für künstlerische Aufmerksamkeit."

Staub zu Glitzer hatte angekündigt, dass ihre "Inszenierung" zwei Jahre andauern würde – ein "lebendes, organisches und soziales Gesamtkunstwerk" soll es sein. Waterfeld zitiert aus "Operation Staub zu Glitzer", geschrieben vom Kollektiv selbst – nun wieder etwas leiser und ruhiger, sie kennt es fast auswendig – und die Touristen am Nebentisch sind gegangen. Staub zu Glitzer betrachtet alles, was geschieht, als Teil der Inszenierung: Jeder Tweet, jeder Zeitungsartikel und jede Äußerung mit Bezug zum Thema – ein interaktives, transmediales Stück also.

Das Theater soll ein Ort für alle sein, jederzeit frei zugänglich. Jede*r soll an der Volksbühne inszenieren oder ausstellen können, so die Idealvorstellung. Kollektive Intendanz also: Wenn eine Person beispielsweise Fotos im Foyer ausstellen möchte, so könnte sie oder er dafür im Gegenzug Geschirr abwaschen in der täglichen "Volkxküche" (VoKü), die es dann geben soll, erklärt Waterfeld. "Ehrenamtliche Arbeit für künstlerische Aufmerksamkeit."

"Wir sagen nicht, so oder so soll es sein", ergänzt sie schnell. "Wir fordern einen Werkvorgang, eine Beteiligung der Menschen." In einem "Begleitheft zur Inszenierung" von "Staub zu Glitzer" heißt es: "Ein neoliberales Kunst-Management werden wir unter keinen Umständen akzeptieren". Man wolle die Volksbühne vom "kapitalistischen Finanzdruck" befreien, welchem diese derzeit unterliege. Nicht jedes Stück, das dort aufgeführt werde, müsse "genial, perfekt oder bahnbrechend" sein.

Dercon: "Teil der systematischen Krise des europäischen Theaters"

Der "Alternative Volksbühnengipfel" ist nur eine Station für "Staub zu Glitzer". Das Rivoli Theater in Porto, Portugal, habe sie eingeladen, dort mitzuwirken, erzählt Waterfeld weiter. Nach der Besetzung 2017 hatte sich das Kollektiv gespalten: Das "NIE-Kollektiv" entwuchs, das zuletzt zum Beispiel versucht hatte, die Schauspielschule Ernst Busch in Oberschöneweide zu besetzen.

Seit der Volksbühnen-Besetzung vor zwei Jahren ist ohnehin Einiges passiert, außerhalb der Bühne, weit weg vom Volksbühnen-Rasen mit dem bekannten Rad:

Es war auf einer Konferenz im Londoner Goethe Institut im April 2018, als Dercon sagte, Künstler hätten die Zusammenarbeit mit der Volksbühne abgesagt – "und einige haben abgesagt, weil Sarah Waterfeld Briefe geschrieben hat." Diese Briefe seien "Teil der systematischen Krise des europäischen Theaters". Waterfeld klagte auf Unterlassung dieser Aussage, denn sie sei nicht schuld an den Absagen der Künstler, erzählt sie – auch wenn sie diese Absagen durchaus begrüße.

Gerichtsstreit um Briefe an Judith Butler und Alain Badiou

Nun waren es keine Briefe, die sie geschrieben hat, sondern E-Mails, zwei in der Anzahl, an die Philosophen Judith Butler und Alain Badiou. Dort schreibt Waterfeld unter anderem, dass das Kollektiv "Staub zu Glitzer" die "Inszenierung" fortsetzen werde. "Wir möchten Sie einladen, Ihr Gespräch an der Volksbühne mit uns zu organisieren, anstatt mit dem neuen Direktor." An Badiou hat sie, laut Gericht, geschrieben: "Wir möchten Sie bitten, Ihren Auftritt am 16. März abzusagen."

Das Landgericht Berlin sieht darin eine Aufforderung, nicht mit dem Antragsgegner Dercon und der Volksbühne zusammenzuarbeiten und äußerte daher Bedenken gegen den Erlass der einstweiligen Verfügung. Auch Waterfelds Antrag auf Prozesskostenhilfe lehnte es ab. Waterfelds Anwalt sieht das natürlich anders: Es sei eine unwahre Tatsachenbehauptung von Dercon, dass Künstler aufgrund der Briefe seiner Mandantin der Volksbühne abgesagt hätten.

Butler sagte ihren Auftritt an der Volksbühne am 16. März 2018 tatsächlich ab, allerdings, so schrieb sie in einer Antwortmail an Waterfeld: "aus unabhängigen Gründen". Die Philosophin wünscht Waterfeld noch "viel Glück". Das Landgericht befand jedoch, dass es darauf nicht ankomme, denn es sei hier auch das Recht auf Meinungsfreiheit des Beklagten (Dercon) zu sehen. Im Übrigen seien "unabhängige Gründe" ein "derart vages und substanzarmes Motiv, dass es der Kammer verwehrt wäre, hierüber zu befinden." Waterfeld und ihr Anwalt haben Beschwerde eingelegt vor dem Kammergericht.

Waterfeld schreibt Volksbühnen-Roman

Sarah Waterfeld besitzt nicht nur vier Terabyte Video- und über 250 Seiten Dokumentationsmaterial von Sitzungen, Emails, Telefonaten, sie hat auch ein Buch über die Besetzung geschrieben. "Das Theater" soll ihr dritter Roman werden. Es handelt nun von den sechs Tagen Volksbühnen-Besetzung, von Hinterzimmergesprächen und Verhandlungen, der Kollektivarbeit und wie sich der Protest gegen den Intendantenwechsel in die Geschichte der Volksbühne einbetten lässt. Weite Teile des Buchs sind fiktionalisiert und anonymisiert. Da gibt es die erfolgreiche Arte-Produzentin, die sich in einen jungen Besetzer verliebt, oder den chinesischen Regisseur, der von den Besetzer überwacht wird. Die Literaturagentur Simon hat ihr Werk bei über 50 deutschsprachigen Verlagen angeboten – alle lehnten ab. Ein renommierter Verlag schickte einen Kommentar hinterher: man sei ohnehin anderer Meinung als die Autorin, was die Volksbühne angehe.

Besetzer mussten vor Gericht

Für einige Besetzerinnen und Besetzer ging die "Inszenierung" auch vor Gericht weiter: 22 Personen sind nun vorbestraft unter anderem wegen Hausfriedensbruch, einige mussten 600 Euro Strafe zahlen. Zwar hatten Dörr und die Volksbühne die Anzeigen zurückgezogen, allerdings erst als die Verhandlungen schon gelaufen waren. Waterfeld sagt, Kultursenator Klaus Lederer (Linke) habe Dörr "dazu anstupsen müssen". Dieser verneint das auf Nachfrage jedoch vehement, man habe zu dieser Zeit ganz andere Sorgen gehabt und das mit den Strafanzeigen nicht so auf dem Zettel, erzählt Dörr an einem Dienstag in seinem von der Sonne erhitzten Büro.

Die Anarcho-Kommunisten stehen vor den Toren

Wenn man ihn auf die Besetzung anspricht, rollt er kurz mit den Augen. "Staub zu Glitzer" schwebt durch die Räume der Volksbühne wie ein Geist, der den Intendanten manchmal nicht gut schlafen lässt. Dörr war nicht dabei, hat die sechs Tage nicht persönlich miterlebt. Wenn die Worte "Tag X" und "Besetzung" fallen, agiert er kurz wie ein Burgherr, der eine drohende Belagerung abzuwehren hat – die Anarcho-Kommunisten stehen vor den Toren und könnten jeden Tag einfallen. Doch als genau das will er nicht gesehen werden: Als Fürst der Volksbühne, der als alleiniger Herrscher entscheide, was auf der Bühne und im Haus geschehe. Viele Entscheidungen würden nicht nur von ihm getroffen, sagt er – viele Leute hätten ein Mitspracherecht und würden sich einbringen.

Aber eine Besetzung, die gelte es abzuwehren: Man habe da Sicherheitsvorkehrungen getroffen, sagt Dörr, hinter dem großen Holztisch in seinem Büro, der leise knirscht. Man werde auch versuchen, eine Besetzung im Vorfeld zu unterbinden und alles dafür zu tun, dass die Arbeit weitergehen kann. Man werde definitiv vom Hausrecht gebraucht machen, sollte "Tag X" kommen – und nicht sechs Tage warten. Bei der letzten Besetzung sei ein Schaden in Höhe von 10.000 Euro entstanden. Löcher in denkmalgeschützten Türen, kaputte Kabel … Es sei damals eine lange Woche gewesen und für viele Menschen bedrohlich.

"Kunst und Basisdemokratie, das geht nicht zusammen"

"Theater und Gesellschaft basieren auf Spielregeln – wenn diese durchbrochen werden, löst das enormen Stress aus", sagt Dörr. Absurde und utopische Vorschläge für Theaterstücke oder Projekte würden nahezu jeden Tag eintreffen. Die Idee hinter "Operation Staub zu Glitzer" sei eine davon – mit dem Unterschied, dass diese sich die Volksbühne einfach aneignen wollen würden. "Kunst und Basisdemokratie, das geht nicht zusammen", sagt Dörr weiter über das Konzept, das ihm "Staub zu Glitzer" bereits im Mai 2018 in einer Power-Point-Präsentation vorgestellt hatte. Fragt man Waterfeld zu dem Treffen, berichtet sie, Dörr habe nicht viel dazu gesagt und lediglich knapp gefragt, wie das finanziert werden solle.

Und könnte so ein Kollektiv-Projekt wie "Staub zu Glitzer" erfolgreich sein, unabhängig von der Volksbühne, an einem anderen Ort, vielleicht auf dem Tempelhofer Feld? "Wenn das Land Berlin so einen Feldversuch mitmachen würde, klar, das könnte interessant sein", meint Dörr. "Aber ob dabei Kunst herauskommt, ist eine andere Frage."

Waterfeld wirft Dörr auch vor, die Gleichstellung von Männern und Frauen in der Volksbühne nicht aktiv genug voranzubringen. Dörr lehnt sich auf seinen schweren Schreibtisch und hebt zur Verteidigung an. Man sei schon viel weiter als vor zwei Jahren. "Das spielt bei jeder neuen Einstellung hier eine Rolle." Und er könne ja auch nicht einfach 30 Männer entlassen. "Mit dem aktuellen Stand der Diversität hier bin ich nicht zufrieden", sagt er. Aber Veränderungen brauchten mehr Zeit als nur eine Spielzeit.

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