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Ausgangspunkt fürs Exil. Die Ausstellungs-Installation mit ehemaligen Flüchtlingscontainern haben Studierende der TU Berlin entworfen.

© dpa/Annette Riedl

„Zu/Flucht“ am Anhalter Bahnhof: Diese Open-Air-Schau gibt einen Vorgeschmack aufs Exilmuseum

Das Exilmuseum soll 2025 eröffnet werden. Die Schau „Zu/Flucht“ erlaubt bereits einen Ausblick auf die Zukunft. Sie zeigt, wie sehr dem Thema die Sichtbarkeit im Stadtbild fehlt.

Verschlafen und schlecht gelaunt sei er am 30. Januar 1933 zum Anhalter Bahnhof gefahren, schreibt Klaus Mann, „keinen Blick für die morgendlich schläfrige Stadt“ habe er gehabt. Er verlasse Berlin ohne Abschied. Klaus Mann war einer von Tausenden Literaten, Künstlerinnen und Wissenschaftlern, die vor Hitler und den Nationalsozialisten aus Deutschland flohen.

Startpunkt für die Reise ins Unbekannte war oft der Anhalter Bahnhof. Dort, wo heute nur noch ein Teil des prunkvollen Eingangsportals geisterhaft in die Luft ragt. Und dort, wo in etwa vier Jahren ein neues Museum an die Schicksale der während der NS-Zeit vertriebenen Exilanten erinnern soll.

Die Eröffnung des von Ex-Kultursenator Christoph Stölzl und Kunsthändler Bernd Schultz initiierten Exilmuseums ist für 2025 geplant. Beim Architekturwettbewerb, den die private Stiftung Exilmuseum gemeinsam mit der Stadt und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ausgelobt hat, wurde 2020 der Entwurf des Kopenhagener Architekturbüros Dorte Mandrup gekürt. Den kann man jetzt noch einmal im Freien betrachten.

Denn auf dem Bauland, der Brache hinter der Portalruine, mit Fußballplatz und Tempodrom im Rücken, eröffnet an diesem Samstag die Open-Air-Ausstellung „Zu/Flucht“. Sie ist vor allem als Ausblick auf die Inhalte des neuen Museums gedacht, mit den Geschichten berühmter und weniger bekannter Exilanten im Zentrum, die zwischen 1933 und 1945 ins Ausland fliehen mussten. Neben Hannah Arendt, Billy Wilder und Bertolt Brecht sind das auch Wissenschaftlerinnen wie die Historikerin Gerda Lerner, die an ihrem New Yorker Lehrstuhl das Fach Frauengeschichte begründete, als noch kaum jemand an so etwas wie Gender Studies dachte.

Vorbote für die künftige Arbeit unter Beteiligung verschiedener Gruppen ist die Kooperation mit der TU Berlin. Studierende des Natural Building Lab am Institut für Architektur untersuchten im Rahmen der Ausstellung die Wohnräume Geflüchteter. Viele leben am Zufluchtsort erst einmal in Containern.

Ein spannender Ausstellungsparcours

Unwirtlich sieht es auf den ersten Blick hinter der Bahnhofsruine aus. Bauzäune umstellen die Brache. In eines der Gitter ist mit rot-weißem Absperrband der Ausstellungstitel „Zu/Flucht eingeflochten. Aus sechs ehemaligen Flüchtlings-Wohncontainern haben die Studierenden einen spannenden Ausstellungsparcours entwickelt. Jeder Container wurde auf eine andere Art umgebaut. Bei manchen wurde das Dach abgenommen, die Seitenteile zu Ausstellungswänden umfunktioniert. Einer bekam ein aufgestocktes Dach, zusätzliche Fenster und Markisen, er sieht jetzt aus wie ein Kiosk; einer anderer wurde zum Pavillon für eine Bühne.

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Einer wurde hochkant aufgestellt und ermöglicht als Aussichtsturm den Blick von oben. Ein weiterer illustriert ein Forschungsprojekt der Habitat Unit des Instituts für Architektur der TU, bei dem zwei Flüchtlingscamps in Jordanien und an sechs Standorten in Berlin untersucht wurden.

Wie gestalten Geflüchtete den beengten Containerwohnraum, um in der Fremde handlungsfähig zu werden, vielleicht ein Gefühl von Heimat zu entwickeln? In den Berliner Behausungen darf man nicht mal Nägel in die Wand schlagen darf? Ein Schaubild zeigt die Wanderungsbewegung der Container, teils über Kontinente hinweg. Ihre schiere Zahl macht deutlich, wie sehr sie im Stadtbild sonst offenbar untergehen.

Deutschland als Erinnerungsort des Exils

Eines der zentralen Anliegen des Exilmuseums ist es, die persönlichen Geschichten der rund 500 000 während der NS-Zeit aus dem deutschsprachigen Raum vertriebenen Exilanten mit der Gegenwart in Verbindung zu bringen, also mit der aktuellen Zuwanderung nach Deutschland, die 2015 einen Höhepunkt fand und in den nächsten Jahrzehnten weiter virulent bleibt.

Ein Brief der Schriftstellerin Herta Müller von 2011 an Kanzlerin Angela Merkel spielte eine gewichtige Rolle bei der Genese des Museums. In dem Schreiben mahnte Müller die Notwendigkeit eines Exil-Erinnerungsortes in Deutschland an, empört darüber, dass es so etwas noch nicht gibt. „Erziehung zur Anteilnahme" könne ein Exilmuseum sein. „Das Risiko der Flucht, das verstörte Leben im Exil, Fremdheit, Angst und Heimweh“ sollten Themen sein. „Es sei wichtig, den „Inhalt des Wortes Exil zu begreifen“, wird die Literaturnobelpreisträgerin zitiert.

Dazu tragen die von den Studierenden recycelten Container sehr plastisch bei. „Im Sommer 2015 kaufte allein Berlin fast 5500 Wohncontainer“, ist an einer der Wellblechwände zu lesen. Aus welchen Materialien sie bestehen, wie man sie recyceln für NGOs oder Jugendzentren wiederverwenden kann, ist eine der Forschungsfragen der Studierenden.

Der Spatenstich ist für den Herbst geplant

Der Anhalter Bahnhof, 1841 erbaut und 1880 um eine riesige Halle erweitert, war einst der größte Bahnhof Kontinental-Europas. Züge fuhren nach Wien, Paris, Athen und Konstantinopel ab. Die Judenverfolgung ist ebenso Teil der künftigen Ausstellung wie die Geschichte des Bahnhofs, neben den Lebensgeschichten der ins Exil getriebenen Kulturschaffenden, dem Wissen, der Energie und dem Erfindergeist, der in Deutschland dadurch verloren ging. Umgekehrt trugen die Exilanten den „Geist der Weimarer Republik“ ins Ausland. Eine erste Form der Globalisierung, wie Christoph Stölzl sagt.

[12. Juni bis 31. Oktober, weitere Informationen und Hinweise zum Veranstaltungsprogramm: zuflucht.org]

Der Spatenstich für den Museumsneubau ist für Herbst 2022 geplant, so Stölzl, der als Gründungsdirektor das Deutschen Historischen Museums den langwierigen Prozess von der Idee zum fertigen Museum schon einmal begleitet hat. Beim Exilmuseum geht alles bisher vergleichsweise schnell, vielleicht weil das Thema Exil und das Schicksal der einst Geflüchteten zuvor so lange ignoriert worden war.

Bernd Schultz, Gründer des Auktionshauses Grisebach, verkaufte 2018 seine Zeichnungssammlung und legte so den Grundstein für die Finanzierung. Im Moment sei Schultz unermüdlich in Europa unterwegs, um weitere Mitfinanzierer und Spender für das Haus einzuwerben. Das Filetgrundstück im Zentrum Berlins verpachtet die Stadt für 99 Jahre an die private Stiftung Exilmuseum, die Verträge dazu würden gerade aufgesetzt, so Stölzl. Es soll ein Multimediahaus werden, so können die Ausstellungsthemen leicht angepasst werden, sollten zukünftige Generationen einmal andere Fragen zu Flucht und Migration haben.

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